Kommentar

Die Verantwortung der Medien

"Wenn sich die Politik radikalisiert, muss guter Journalismus dagegenhalten." Das fordern unter anderem die Neuen deutschen Medienmacher*innen. Statt sich von Populisten vor sich hertreiben zu lassen, braucht es mehr denn je menschenrechtsbasierte Haltungen in Redaktionen. 

Es ist erstaunlich ruhig in der deutschen Medienwelt zum Tech-Putsch in den USA. Wenn man davon ausgeht, dass die USA noch immer der wichtigste Verbündete Deutschlands ist, wundert das sehr.

"In den Vereinigten Staaten von Amerika reißt seit Tagen ein nicht-gewählter Oligarch unermessliche Macht an sich, und deutsche Medien berichten weitgehend, als sei das alles 'politics as usual'" schrieb jüngst der Volksverpetzer. In dem Artikel wird insbesondere darüber nachgedacht, weshalb sich diese Staatskrise kaum in den Medien abbildet. "Die Lage ist (…) hochdramatisch. Wer weiß, worauf große deutsche Medienhäuser warten? Darauf, dass die Nachricht von Musks und Trumps administrativen Staatsstreich, von der Verletzung von Gesetzen und dem Mit-Füßen-Treten auf die Verfassung, auch auf der Startseite der New York Times oder bei CNN angekommen sind?" Die Autorin Annika Brockschmidt vermutet dahinter eine Überforderung. Dann jedoch sollten die Medien zumindest andere Stimmen veröffentlichen, "die in der Lage sind, die Situation in ihrer Brisanz zu überblicken."1

Es sind die gleichen Medien, in deren Talkshows ständig Führungspersonal der AfD und anderer Rechtspopulisten ihre kruden Thesen vertreten darf und deren "Faktenchecks" dann 24 Stunden später ungesehen versanden.

"Die Bundestagswahl steht zurzeit im Zentrum der politischen Berichterstattung und damit auch die Verantwortung der Medien, eine sachliche, kritische und kontextualisierte Auseinandersetzung mit politischen Inhalten zu gewährleisten" mahnen die Neuen deutschen Medienmacher*innen (NDM) an. Denn "Medienschaffende sind nicht nur Berichterstatter*innen, sondern auch Gatekeeper*innen und Multiplikator*innen öffentlicher Diskurse."

Screenshot des Instagram-Accounts der Tagesschau
Screenshot des Instagram-Beitrags der "Tagesschau"

Was sich deutlich an der arg verzerrten Darstellung zum Beispiel der "Brandmauer-Demonstrationen" der letzten Wochen zeigt. Hier waren deutschlandweit Hunderttausende auf der Straße, um deutlich zu machen, dass sie den Rechtsruck – der im Wahlkampf deutlich auch aus der Union kam – nicht mittragen. Und das Flaggschiff der Öffentlich-Rechtlichen schrieb bei Instagram von zehntausenden Teilnehmern2. Ja, kann man so sagen, ist aber deutlich irreführend. Ob das Absicht war oder Leichtsinnigkeit mag dahingestellt sein. Es soll nur als Beispiel dafür dienen, wie leichtfertig Medien ihre Glaubwürdigkeit verspielen. Man könnte weiter fragen, weshalb die Initiatoren der Demonstrationen nicht in die Talkshows eingeladen wurden. Sondern das Markengesicht der AfD. Und weshalb breit gestreut wird, was dieser bayerische Foodblogger, der dem Vernehmen auch ein politisches Amt inne hat, von den Demonstranten hält. Er forderte allen Ernstes die Teilnehmer der Proteste auf, sich nicht nur von der AfD, sondern auch von "Antifa und Linksextremismus" zu distanzieren; vielleicht mag ihm mal irgendwer in den Medien erklären, was Antifaschismus bedeutet und nachfragen, wo er bei den Demos Linksextremisten sah.

Der Begriff "Vierte Gewalt" hat scheinbar ausgedient.

"Gemeint ist damit, dass wichtige Medien wie Zeitungen, Fernsehen, Radio und Internet einerseits über das Handeln des Staates und seiner Institutionen informieren sollen. Andererseits aber kontrollieren die Medien durch ihre Berichterstattung auch das staatliche Handeln. Sie informieren, geben kritische Kommentare und regen dazu an, sich mit dem staatlichen Handeln auseinanderzusetzen. Diese Kontrolle der Regierenden durch die freien Medien ist ein wesentlicher Grundzug von demokratischen Gesellschaften." (Zitat: Bundeszentrale für politische Bildung)

Wenn jedoch die Medien die Narrative von Politikern jeder Couleur übernehmen, ist es vorbei mit einem der Standbeine "demokratischer Gesellschaften".

Die NDM schreiben weiter: "Werden im Laufe medialer Debatten rechtspopulistische Aussagen unkritisch übernommen, Straftaten kulturalisiert und marginalisierte Gruppen wie zum Beispiel Geflüchtete und einkommensschwache Menschen stigmatisiert, entstehen mediale Zerrbilder, die sich in der Gesellschaft manifestieren." Wenn Medien aus – sagen wir – zweifelhaften Quellen wie Nius unkommentiert zitieren, wird die eigene Glaubwürdigkeit untergraben. Und auch hier gilt (bzw. sollte gelten): "Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht". Und seriöse Medien tun sich wahrlich keinen Gefallen, unhinterfragt aus unseriösen Quellen zu zitieren. Es fällt in jedem Falle auf sie selbst zurück. Es ist wie in der Politik: Wer sich ganz weit nach rechts beugt und dort die Angel auswirft muss ich nicht wundern, dass die Fische dann gleich den blauen Haken schnappen.

"Wenn sich die Politik radikalisiert, muss guter Journalismus dagegenhalten. Statt sich von Populismus vor sich hertreiben zu lassen, braucht es mehr denn je menschenrechtsbasierte Haltungen in Redaktionen", sagen die Medienmacher*innen. Denn eine "falsch verstandene journalistische Neutralität birgt die Gefahr, antidemokratische Akteur*innen als legitime politische Stimmen zu behandeln." Es sei false balance, wenn man extremistische und menschenfeindliche Positionen unkritisch und ohne Einordnung zu Wort kommen lässt und wie manch ein Gastgeber oder manch eine Gastgeberin einer Talkshow nicht dagegenhält oder komplett überfordert zu sein scheint. Und so wird Populisten ein Großteil der Sendezeit eingeräumt, die diese dann sehr gern nutzen, um beispielsweise extremistische und menschenfeindliche Positionen abzusondern.

"Redaktionen sollten hinterfragen" mahnen die Neuen deutschen Medienmacher*innen an, "ob Interviews oder Talkshow-Auftritte tatsächlich dem Erkenntnisgewinn oder lediglich der Vergrößerung der medialen Bühne dienen." Bereits Worte wie "Migrationskrise" oder "Wirtschaftsflüchtlinge" und "strenge Migrationspolitik" sind keine neutralen Begriffe – sie transportieren gezielt Narrative. Auch bei der Darstellung von Straftaten müssen die Worte abgewogen werden: "Während ein Täter mit Fluchthintergrund die gesamte Medienlandschaft beschäftigt und im Bundestag Brandmauern einreißen lässt, warten die Angehörigen zahlreicher rechtsextremer Gewalttaten noch immer auf politische Konsequenzen und mediale Aufmerksamkeit", schrieben die NDM gestern in einer Pressemitteilung.

Deutungshoheit zurückerlangen

Erschwerend hinzu kommt, dass Falschaussagen – Fake News – in den Sozialen Medien immer weiter verbreitet werden und – wie jüngst bei Meta (Facebook, Instagram, Threads) – ein Faktencheck abgeschafft wurde. Das liegt unter anderem auch daran, dass diese "Sozialen Netzwerke" in der Hand einiger weniger Tech-Milliardäre sind. Es sind Privatunternehmen. Nicht mehr und nicht weniger. Hier sind Einnahmen wichtiger als Wahrheiten. Nicht allein deshalb verlassen Nutzer in Scharen eine Plattform wie Twitter/X von Elon Musk.

Medien müssen sich leider die Kritik gefallen lassen, diese Entwicklung nicht zu benennen und teilweise sogar mit zu verantworten.

Abseits der (bekannten) Medien wird seit längerer Zeit versucht, eine Art Deutungshoheit wieder zu erlangen. Am Dienstag wurde bekannt, dass sich rund 80 Akteur*innen aus Kultur, Wirtschaft und Medien zur Initiative "Save Social" zusammengetan haben. Sie schlagen zehn konkrete Schritte vor, um das Internet von der Dominanz der Monopolkonzerne zu befreien und alternative Plattformen für Information und Debatte zu stärken. In ihrer ersten Pressemitteilung wird der Grund genannt: "Die wachsende Dominanz von Plattformkonzernen wie Meta, X oder ByteDance (TikTok) für Information und Austausch führt zu einer Konzentration von Meinungsmacht, die unsere Demokratie gefährdet".

Für "Save Social" ist klar: "Unsere Gesellschaft braucht andere Plattformen für soziale Vernetzung, Austausch und Debatte als die chinesischer und US-amerikanischer Monopolkonzerne. In den vergangenen 15 Jahren sind solche alternativen Netzwerke und Angebote entstanden (zum Beispiel Mastodon oder Friendica im Fediverse4). Sie können unsere Demokratie stärken, weil sie auf Basis offener und anerkannter Standards in dezentralen Strukturen gesellschaftlichen Austausch und Debatte fördern. Politik und Gesellschaft müssen diese Angebote stärken und ausbauen."

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1 Siehe dazu diese Artikel im hpd:

2 Beim rbb ist in der Überschrift dann die korrekte Anzahl der Demonstranten (lt. Polizeiangaben) genannt worden. Die "Tagesschau" hat auf ihrer Webseite die Meldung des rbb übernommen. ↩︎