Gesprächsangebot aus der Charité

BERLIN. Die Nichtbeachtung der Patientenverfügung von Günter Marquardt stand in der gestrigen MDR-Sendung „Ein Fall für Escher“ zur Diskussion– exemplarisch für die Situation in Deutschland.

 

Der Ehefrau Monika Marquardt aus Berlin wurde etwa 10 Tage vor dem Tod ihres schwer nierenkranken und inzwischen bewusstlosen Mannes mitgeteilt, dieser könnte die Intensivstation nicht mehr lebend verlassen. Daraufhin legte sie als Bevollmächtigte ihres Mannes die Patientenverfügung vor und erwartete, dass man ihn nun friedlich, ohne künstliche Beatmung und ohne weitere Zuführung zur Dialyse, sterben lassen würde.

Doch nichts dergleichen geschah, vielmehr wurde sie selbst nun auf der Intensivstation in empörender Art und Weise behandelt: "Wie gehen Sie hier mit der Frau eines Sterbenden um!" hatte sie einmal ihrer Entrüstung Luft gemacht.

Sie zeigte den damaligen Oberarzt der Intensivstation, Dr. Krausch, im Namen des auf seiner Station verstorbenen Patienten Günter Marquardt wegen Missachtung dessen Patientenverfügung, an. Fünf Jahre ist das her, dass Frau Marquardt die Mühen, psychischen Belastungen und Kosten des bis heute andauernden Prozesses auf sich nahm.  

Was geht in den Köpfen von Intensivmedizinern vor, die den Abbruch bzw. Verzicht von künstlicher Beatmung und Dialyse bei einem Sterbenden aufgrund seiner vorliegenden Patientenverfügung schlichtweg ablehnen? Die selbst die Kenntnisnahme verweigern, wenn Angehörige den Patientenwillen schriftlich vorlegen! Die unbeirrt auf "verbotene Euthanasie" und "aktive Sterbehilfe" verweisen? Die jede weitere Kommunikation mit den Angehörigen abbrechen, weil sie das Ansinnen, den Patienten "umbringen zu sollen", für unzumutbar erklären? 

Handelt es sich um verunsicherte Ärzte, die aus Unwissenheit echte Sorge haben, sich eines Tötungsdeliktes strafbar zu machen? Oder nehmen sie die von Vertretern eines strikten Lebensschutzkonzepts gebetsmühlenartig vorgetragene Position, man sei gegen "jede Form der aktiven Sterbehilfe" nur dankbar auf? Sind sie selbst Vertreter einer sich zäh haltenden ärztlichen Ideologie, die sich auf den Mythos eines Hippokratischen Eides zurückziehen? Oder sind in diesem Zusammenhang irrige antifaschistische Reflexe der Grund? Haben solche Intensivmediziner am Ende rein fachlich gar keine Ahnung, wie man heute palliativmedizinisch begleitet ein "qualvolles Ersticken" verlässlich verhindert und ein friedliches, humanes Sterben-Lassen ermöglicht?   

In dem Brief vom 19.10.2003 des Oberarztes Krausch als Anhang zu einem Schreiben der ihn vertretenden Rechtsanwaltskanzlei an die ermittelnde Staatsanwaltschaft, heißt es u.a.:

" ... Für mich ist das Abstellen des Respirators aktive Sterbehilfe. Es entspricht der Hinrichtung mit der Garotte, dem spanischen Würgeeisen, oder dem Erhängen durch langsames Zuziehen des Strickes. Dieser Mensch lebte ja noch. Er hatte noch einen Rest Spontanatmung und er reagierte (zu unserem Kummer, weil wir ihn trotz hochdosierter schmerzlindernder Medikamente nicht schmerzfrei bekamen) noch auf taktile Reize. Vor uns lag ein lebender Mensch, von dem wir wussten, dass er – irgendwann – sterben würde, aber dessen Zeit noch nicht gekommen war. ... Dass mein Vorgesetzter, Herr Prof. .... die gleiche Ansicht vertrat, hat er mit den Worten "wir sind hier doch nicht in Holland" zum Ausdruck gebracht. Und der Direktor der Klinik für Nephrologie, Prof. ... hat selbst die Beendigung der Dialyse als aktive Sterbehilfe (also Tötung) abgelehnt. ... Es ist erst siebzig Jahre her ... Dieser Weg endete in Buchenwald und Auschwitz." (gezeichnet von Dr. K.) 

In einem Urteil vom 26.10.2004 des zuständigen Landgerichts wurden die Ärzte über die bestehende Rechtslage belehrt. 

Es betont ausdrücklich, "dass – entgegen der Ansicht der Beklagten – gegen einen mängelfrei gebildeten Willen eines Patienten eine Behandlung auch dann nicht fortgesetzt werden darf, wenn das Unterlassen der Behandlung akute Lebensgefahr begründet. Die Autonomie eines Patienten ist dessen höchstes Rechtsgut und steht noch über dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Das hat ein Arzt zu wissen, und er hat sich – bei allem Respekt vor seinem Gewissen und seinem Wunsch, zu lindern und zu helfen – daran zu halten. ..." 

Die Medizinethikerin des Humanistischen Verbandes Deutschlands, Gita Neumann, geht davon aus, dass es trotzdem weiterhin ebenso unbelehrbare wie arrogante Ärzte geben wird. Diese sollen zumindest damit rechnen müssen, dass sie sich in Zukunft persönlich strafrechtlich zu verantworten haben. Dabei ist zwar kaum mit einer Verurteilung zu rechnen. Ziel ist vielmehr, dass die Vorladung beim Staatsanwalt ein Umdenken in ihren Köpfen bewirkt, wenn sie sich selbstherrlich über den Patientenwillen hinwegsetzen.  

Der Humanistische Verband Deutschlands hat zu diesem Zweck einen Finanzfonds zur rechtsanwaltschaftlichen Unterstützung von Angehörigen aufgelegt, wenn bei ihm verwahrte Patientenverfügungen nicht beachtet werden. 

In einem Fax der Berliner Charité an die Redaktion des MDR vom 15.November 2006 (liegt auch der Redaktion hpd vor) ist zu lesen, dass inzwischen vieles im Umgang mit Patientenverfügungen klarer geworden sei, so dass die damalige Situation nicht mehr mit der heutigen vergleichbar ist und auch die entsprechenden Personen nicht mehr an der Charité aktiv sind. „Gern stehen wir für eine Besprechung der heutigen Situation zur Verfügung“. 

Gita Neumann, die Frau Marquardt in diesen schweren Jahren stets begleitete und stärkte, hofft nun auf die Umsetzung dieses Gesprächsangebots. 
Im Anschluss an die Sendung beantwortete sie als Expertin dem in der ARD neu installierten <Videochat> viele Zuschauerfragen rund um Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung und Betreuungsverfügung.  

Gabriele Groschopp