BERLIN. (hpd) Die kirchenpolitische Kampagne „Pro Reli“ in Berlin – aber mit bundespolitischer Bedeutung und verfassungsrechtlichem Rang
(denn immerhin geht es um die versuchte Aushebelung der „Bremer Klausel“ im Grundgesetz) – ruft immer mehr prominente Gegner auf den Plan. Im Folgenden dokumentieren wir einen Brief von Wolfgang Lüder, Bürgermeister von Berlin, MdB und Senator a.D., Mitglied in der FDP seit über vierzig Jahren, an seine Partei, den Landesvorsitzenden Markus Löning, MdB.
Lüder schreibt, dass er in Berliner Zeitungen lese, „dass unsere FDP die Initiative, die unter der Parole ’Pro Reli’ auftritt, unterstützt. Ich halte dies für falsch und werde dies auch öffentlich vertreten. Dabei befinde ich mich in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Beschlussfassung der Partei vom Bundesparteitag in Hamburg 1974. Hierin sind die Grundsätze der Liberalen zum Verhältnis Kirche / Staat dargelegt. Dieser Beschluss gilt nach meiner Kenntnis unverändert.
Nach der berühmten Schrift des Theologen Gollwitzer und des Philosophen Weischedel, die aus einer viel beachteten Vorlesung an der Freien Universität Berlin vom Wintersemester 1963/64 hervorgegangen ist, geht es um den Widerstreit zwischen Denken und Glauben.
Nach Meinung von ’Pro Reli’ mit der Abwahlmöglichkeit des Ethikunterrichts soll wesentliche Kenntnisvermittlung ersetzt werden durch religiöse Bekenntnisse. Darf man Kenntnisse über Judentum, Christentum und Islam, über die Humanisten, Konfuzius und Kant sowie die Vertreter der Aufklärung in der Schule abwählen und aus dem Unterrichtsauftrag des Staates verdrängen, um die Botschaften der christlichen Lehren zu vertiefen?
Für eine aus der europäischen Aufklärung hervorgegangene und ihr verpflichtete liberale Partei ist die Antwort klar, dachte ich in den letzten 40 Jahren meiner Mitgliedschaft. Schon das Toleranzgebot, dem Liberale im besonderen Maße verpflichtet sind, verlangt Ausbildung der Schüler in den unterschiedlichen Glaubens oder Nichtglaubensfragen. Es geht nicht um den Schutz der christlichen Minderheit in Berlin. Für diesen setze ich mich ein wie für andere Minderheiten aus anderen Religionen oder für die Minderheit der nichtgläubigen Mitbürger.
Ich bin in Niedersachen mit staatlicher Religionsausbildung zur Schule gegangen. Fundiertes Schulwissen über die Religionen der Welt, über Humanismus und Aufklärung musste ich mir außerhalb der Schule selbst aneignen.
In der toleranten Stadt Berlin können wir uns glücklich schätzen, dass unsere Schulen den ethischen Rahmen europäischen Lebens vermitteln müssen, neben einem freiwilligen Unterricht für die Anhänger von Religionen in jeweils ihrer Religion und für die glaubensfreien Bürger im Lebenskundeunterricht.“
GG