Totengedenken

(hpd) Am 23. November ist Totensonntag. Schon zu „Allerheiligen“ am 1. November richteten Angehörige von Verstorbenen deren Gräber, in den Wochen darauf wurde der Volkstrauertag begangen. Die Bestattungs- und Friedhofskultur ist in Bewegung geraten. Der Wandel besteht vor allem darin, dass „pflegeleichte“ und einfache Gräber heute gefragt sind.

Noch entscheidender als finanzielle Aspekte scheinen soziale Veränderungen: Die junge Generation ist heute häufig nicht mehr am Ort präsent oder die Elterngeneration will ihnen die Last der Grabpflege ersparen.

 

Eine Betrachtung von Gita Neumann, Bundesbeauftragte für Patientenverfügungen und Humanes Sterben beim Humanistischen Verband Deutschlands

Vertreter der Bestatter berichten, dass die Auswahl der Grabstelle und Bestattungsart bei zunehmender Vielfalt immer schwieriger wird. Verbliebene sind oft verunsichert, wählen zunächst rational, die Emotionen werden erst später bewusst. Trauer ist ein Prozess. Viele Menschen brauchen dazu auch einen festen Platz, den sie aufsuchen möchten. Und Rituale, zu denen auch die Beschäftigung mit dem Grab gehört.

Kulturverfall oder neue Chance?

Häufig und lautstark wird heutzutage der Verfall der abendländischen Friedhofskultur beklagt. Manche dieser Befürchtungen – von Steinmetzen oder Friedhofsgärtnern – sind sicher dabei im Licht bestimmter Interessen zu sehen. Aber auch Kirchenvertreter wenden sich teils vehement gegen die Aufweichung traditioneller Bestattungsformen und dabei besonders gegen den Trend zur Anonymisierung. Mancher wird sich erinnert fühlen an den klerikalen Kampf gegen die Einführung der Feuerbestattung durch die Freidenker vor über hundert Jahren. Aber haben die „Kulturkämpfer“ nicht Recht? Oder ist es vergeblich, den gesellschaftlichen Wandel aufhalten zu wollen – statt ihn human und kulturell neu zu gestalten?

Überall werden Bedenken geäußert gegen allzu pragmatische Einstellungen zur Bestattung, gegen das Verschwinden von Trauer, Moral, Religion. Ähnlich wie beim Thema „Humanes Sterben“ verkennen all jene, die eine Weltuntergangsstimmung beschwören, dass Wandel und Individualisierung der menschlichen Gemeinschaft auch neue Chancen verheißen. Wem nützt das Beharren auf Formen einer sogenannten „würdigen“, oft aber konfektionierten Bestattung in eintönigen Trauerhallen, wem das Beharren auf starren Abgrenzungen, Regelungen und Nutzungszeiten der Friedhofsverwaltungen?

Moslems sorgen für Flexibilität

Vor allem die AIDS-Szene kann als Vorkämpfer für neue, bunte und wieder selbst in die Hand genommene Umgangsformen mit dem Tod gelten (z.B. mit „Totenmahl”, Tanz und Gesang als Bestandteil der direkten Trauerfeier). Neben dieser sehr kleinen Minderheit sind es die bei uns lebenden Menschen aus anderen Kulturen, die für Veränderungen sorgen.

Vor allem die moslemische Bevölkerung türkischer Herkunft meldet immer häufiger den Anspruch an, ihre eigenen Bräuche praktizieren zu können. Dazu gehören Bestattung ohne Sarg, eigene rituelle Waschungen, besondere Grabstätten – entgegen den rigorosen deutschen Vorschriften des Bestattungsrechtes. Heute hat der größte Berliner Bestatter mit vielen Filialen einen muslimischen Geschäftsführer. Inzwischen reagieren auch unsere Friedhofsverwaltungen immer flexibler.

Allerheiligen und Hollows Even (Halloween)

Allerheiligen gibt es in ganz Deutschland, gesetzlicher Feiertag mit Arbeitsruhe aber nur in Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und im Saarland. Laute Musik- und Tanzveranstaltungen sind untersagt, da „die Bevölkerung“ ihrer Heiligen, Märtyrer und Verstorbenen gedenken würde. Tatsächlich sind es im engen Sinn die evangelischen und katholischen Christen. Aber zu den Ursprüngen gehört in unseren Breiten der keltische Brauch, die bösen Geister in der letzten Oktobernacht zu vertreiben. Im Zuge der Christianisierung sollte dieses heidnische Fest ausgemerzt werden – so führte die katholische Kirche stattdessen „Allerheiligen“ ein.

In Irland bekam das Fest den Namen „All Hallows“. Entsprechend heißt der Vorabend „All Hallows Even(ing)“. Erzählt wurde von einem Jack, der seine Seele dem Teufel verkauft hatte, aber mit einer Laterne aus einer alten Rübe ausgestattetet wurde und ruhelos bis zum Jüngsten Gericht zwischen Himmel und Hölle umherirrt. Hier mischen sich also wieder christliche mit heidnischen Bräuchen, Halloween ist schließlich über die USA in säkularisierter Form wieder zurück nach Europa gekommen. Dass es in Amerika nicht so viele Rüben, sondern mehr Kürbisse gibt und dass „Halloween“ der Abend vor „Allerheiligen“ ist, weiß heute kaum jemand.

Katholisch, evangelisch, humanistisch – Traditionseinbußen?

Bei den Katholiken werden Kerzen entzündet, die bis zum darauffolgenden Allerseelen-Tag leuchten, als Symbol für das „Ewige Licht“. Bei einer Prozession um die geschmückten Gräber, dem sogenannten "Umgang", erteilt der Priester allen Heiligen den Segen. Die evangelischen Christen wollten ihrerseits dem katholischen „Allerheiligen“ ihr eigenes Fest entgegensetzen und nutzten den Jahrestag des Thesenanschlags von Martin Luther, um ihr „Reformationsfest“ am Tag vor „Allerheiligen“ zu begehen. Zudem ist seit dem 19. Jahrhundert der Totensonntag in der evangelischen Kirche in Deutschland ein Gedenktag für die in den letzten 12 Monaten Verstorbenen.

Auch Vertreter einer weltlichen Trauerkultur begehen an diesen Tagen im November Totengedenken. Sprecher Humanistischer Verbände haben aus diesem Anlass öffentlich bedauert, dass immer weniger Menschen in Deutschland eine würdevolle Trauerfeier für ihre Verstorbenen gestalten und auf tröstende Worte Wert legen würden.
Ganz gleich, ob jemand religiös oder konfessionsfrei gelebt hat oder wie sich heidnische, christliche und humanistische Traditionen durchmischen: Unsere Verstorbenen würdevoll zu verabschieden und ihnen zu gedenken, gehört zu unseren kulturellen Aufgaben und Pflichten.

Botschaft für die Lebenden

Sterben und Tod beinhalten wichtige Botschaften für die Lebenden, die es zu entschlüsseln und zu nutzen gilt. Darauf verzichten heißt, auf einen Teil unseres kulturellen Erbes, unserer religiösen Glaubenstraditionen oder unserer gesellschaftlichen Humanität zu verzichten.

Allerdings: Traditionseinbußen sind nicht gleichbedeutend mit einer Entsolidarisierung zwischen Lebenden und Toten, Gesunden und Sterbenden. In einer neuen ganzheitlichen Sicht kann vielleicht sogar – entgegen Kälte, Egoismus, Vereinsamung und Kommerzialisierung – das Gegenteil der Fall sein: Ein von Mitgefühl und besonderer Anteilnahme geprägter Umgang.