Zum Thema: Religion an öffentlichen Schulen

BERLIN. (hpd) In nur vier Wochen haben die Evangelische und die Katholische Akademie eine bundesweite Tagung im Französischen Dom organisiert. Sie kann den Zusammenhang mit der Initiative „Pro Reli" nicht verbergen, indem hochrangige Kirchenfunktionäre und Politiker sich zugunsten eines Pflichtfaches Religionsunterricht aussprechen.

 

Eingeladen haben die Akademien beider Kirchen und die EKD (Evangelische Kirche in Deutschland) sowie die katholische Deutsche Bischofskonferenz, die alle durch ihre höchsten Repräsentanten vertreten sind. Ein Bericht über den Vormittag.

Dass es sich dabei um eine politische Veranstaltung der Kirchen handelt, darauf verweist bereits der am Eingang aufgebaute Stand der Initiative „Pro Reli" (Bild im Anhang), an dem allerdings kaum jemand stehen bleibt oder unterschreibt.

Der Kirchenraum ist mit rund 500 Teilnehmern voll besetzt und es sind auffallend viele jüngere Zuhörer anwesend. Auf Nachfrage sind es häufig Studenten der kirchlichen Fachhochschulen in Berlin, denen von ihren Dozenten empfohlen wurde, an der Tagung teilzunehmen.

Die Veranstaltung hat auch deshalb eine besondere Bedeutung, da sie, zudem zum Beginn der christlichen Weihnachtszeit, während der Berliner Diskussionen um Ethik- bzw. Religionsunterricht stattfindet. Zwei Tage zuvor haben im gegenüber der Kirche befindlichen Konzerthaus-Café die „Christen für Pro-Ethik" ihre Unterstützung der Berliner Regelung eines gemeinsamen Pflichtfachs Ethik und eines freiwilligen individuellen Faches Religionsunterrichts bekundet, heute gilt es, das Gegenteil zu propagieren: „Religiöse Bildung als Teil einer ganzheitlichen Bildung."

Dr. Robert Zollitsch, Erzbischof von Freiburg und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, begründet als Einstimmung: „Kirche und Bildung - Warum sich die Kirchen sich in öffentlichen Schulen engagieren." Nach der ausführlichen Feststellung, dass die Kirchen in Deutschland in der Bildung sehr präsent seien und aufgrund des Evangeliums ihren Bildungsauftrag in Kitas, Schulen, Hochschulen, der Erwachsenenbildung und der kirchlichen Akademien wahrnehmen - wobei er leider vergisst, die öffentliche Finanzierung zu erwähnen -, gilt dem Religionsunterricht ein besonderer Augenmerk. Und dass dieses Engagement der Kirchen Früchte trage, dass zeige in Berlin auch das Volksbegehren.

Warum engagieren sich die Kirche so sehr im Bildungsbereich?

Im Paulusbrief heiße es: Der Glaube komme vom Hören des Wort Gottes. Das heiße: Christlicher Glaube entstehe nicht aus individueller Meditation oder einer Selbsterkenntnis, sondern durch den Erhalt einer Botschaft. Der christliche Glaube sei ein denkender Glaube, der Bildung brauche, als „Einheit von Glaube und Wissen". Die lebensweltliche Weitergabe des Glaubens in der Familie sei zwar wichtig, aber erst der Religionsunterricht vermittle das notwendige Wissen. Daher sei der Religionsunterricht auch entsprechend ein Bekenntnisgebundener Unterricht.

Religionsunterricht, so Zollitsch, läge auch im öffentlichen Interesse, da die aktuellen technischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Fragestellungen und Probleme nicht mehr primär, wie bislang, vorwiegend säkular beantwortet werden könnten. Gäbe es keine Grundgesetzliche Garantie des Religionsunterrichts, man müsste sie erfinden.

Das Korreferat kommt von einem Vertreter des „öffentlichen Raumes", dem protokollarisch zweithöchsten Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland, dem amtierenden Bundestagspräsidenten Prof. Dr. Norbert Lammert. Sein Thema lautet: „Demokratie und Religion". Er beginnt seine Ausführungen mit dem ersten Satz aus den Zehn Thesen zum Religionsunterricht der EKD: „Religion ist ein Großthema des 21. Jahrhunderts." Diese Feststellung sei deshalb wichtig, weil immer wieder angenommen werde, dass Modernität mit der Aufgabe von Religion zusammengehe. Aber, so betont Lammert, Gesellschaften und Kulturen seien ohne Religion nicht zu begreifen.

Auch wenn Demokratie und Religion in einem Spannungsverhältnis stehen würden und es eine Geschichte von Abgrenzung wie Bereicherung und Abhängigkeiten sei, zitiert er zur weiteren ökumenischen Einstimmung Bischof Huber und den Papst. Huber habe während der Essener Gespräche im vergangenen Jahr betont, dass aus dem Ja zu einem säkularen Staat nicht automatisch die Akzeptanz einer Säkularisierung der Gesellschaft folge. Benedikt XVI habe kürzlich in Frankreich eine stärkere gesellschaftliche Bedeutung der Religion gefordert. Eine Trennung von Staat und Kirche, wie sie in Frankreich Verfassungsgebot sei, könne es nur geben unter der Beibehaltung der Bedeutung von Religionen für die Gewissensbildung und für einen ethischen Grundkonsens in der Gesellschaft.

Normative Voraussetzungen einer demokratischen Verfassung?

In Europa, so referiert Lammert empirische Umfragedaten, hätten die Menschen zwar unterschiedlichste Auffassungen über die Bedeutung der Religionen für ihren Alltag, aber sie spiele überall in verschiedensten Intensitäten eine Rolle. Das führe zu der hypothetischen Frage: Wie normal ist eine Gesellschaft ohne Religion?

Europa sei die Ausnahme in der weltweiten Bedeutung von Religion. Jedoch: Die Verbindlichkeiten in einer Gesellschaft würden sich wesentlich aus den religiösen Überzeugungen speisen - in ihrem Geltungsanspruch über das Individuum hinaus. Darin liege, auch wenn das Spannungsverhältnis zwischen beiden nicht aufzulösen sei, die Nähe der Religion zur Politik.

Politik und Religion seien der Versuch einer „Domestizierung von Gewalt", sei es durch Sinnperspektiven oder Strukturen. Allerdings seien beide nur partiell erfolgreich und es sei wohl eher eine Geschichte des Scheiterns, beispielsweise in den Religionskriegen.

Warum, so fragte sich der Bundestagspräsident, ist Religion nicht immun gegen die Inanspruchnahme durch Gewalt?

Religion handele von Wahrheit, Politik von Interessen. Religionen seien daher nicht prinzipiell integrationsfördernd. Der Anspruch der Wahrheit schließe Abstimmungen und Kompromisse aus. Mehrheiten könnten nicht über Wahrheiten befinden. Die politischen Auseinandersetzungen um Interessen setzen jedoch Mehrheiten und korrekte Verfahren voraus. Die Legitimation der Politik liege in den Verfahrensregelen - in der Ausklammerung von Wahrheitsansprüchen. Nur in diesen Unterschieden sei ein akzeptables Nebeneinander möglich. Demokratie sei nur durch eine klare Trennung von Politik und Religion möglich - und habe gleichzeitig religiöse Orientierungen zur Voraussetzung.

Nach einem positiven Exkurs zur Habermas-Ratziner-Debatte über Glaube und Vernunft, betonte Lammert, dass Religionen auch für westliche Staaten unerlässlich seien. „Menschenrechte" und „Menschenwürde" seien keine politischen Verfahrensregeln, sondern müssten irgendwo herkommen. Sie seien angeboren und unveräußerlich - und dieser Geltungsanspruch müsse verbindlich sein, sonst könne es keine Demokratie geben.

Dann zieht der Bundestagspräsident eine Parallele zwischen der EKD Denkschrift 1994: „Identität und Verständigung - Standort und Perspektiven des Religionsunterrichtes in der Pluralität" und Formulierungen in dem so genannten „Kruzifix-Beschluss" des Bundesverfassungsgerichtes von 1995, in dem die Verfassungsrichter formulierten, was er wörtlich zitiert: (BVerfGE 93,1 - Randnote 52) "Auch ein Staat, der die Glaubensfreiheit umfassend gewährleistet und sich damit selber zu religiös- weltanschaulicher Neutralität verpflichtet, kann die kulturell vermittelten und historisch verwurzelten Wertüberzeugungen und Einstellungen nicht abstreifen, auf denen der gesellschaftliche Zusammenhalt beruht und von denen auch die Erfüllung seiner eigenen Aufgaben abhängt. Der christliche Glaube und die christlichen Kirchen sind dabei, wie immer man ihr Erbe heute beurteilen mag, von überragender Prägekraft gewesen. Die darauf zurückgehenden Denktraditionen, Sinnerfahrungen und Verhaltensmuster können dem Staat nicht gleichgültig sein."

Was allerdings vom Bundestagspräsidenten nicht zitiert wurde ist der darauf folgende Absatz des Beschlusses, in dem die Verfassungsrichter den Ländern Gestaltungsfreiheit einräumen: „Allerdings ist es in einer pluralistischen Gesellschaft unmöglich, bei der Gestaltung der öffentlichen Pflichtschule allen Erziehungsvorstellungen voll Rechnung zu tragen. Insbesondere lassen sich die negative und die positive Seite der Religionsfreiheit nicht problemlos in ein und derselben staatlichen Institution verwirklichen. Daraus folgt, daß sich der Einzelne im Rahmen der Schule nicht uneingeschränkt auf Art. 4 Abs. 1 GG berufen kann.
Das unvermeidliche Spannungsverhältnis zwischen negativer und positiver Religionsfreiheit unter Berücksichtigung des Toleranzgebotes zu lösen, obliegt dem Landesgesetzgeber, der im öffentlichen Willensbildungsprozeß einen für alle zumutbaren Kompromiß zu suchen hat."

Politikbezogener religiöser Binnenkonses

Die Konzentration auf einen religiös-politikbezogenen „Binnenkonsens", der Zweck der Tagung, zeigt sich auch in dem anschließenden Podium, in dem Prof. Dr. Lothar Bisky beteuert, dass er an dem Brandenburger Modell der Wahlmöglichkeit zwischen LER und Religionsunterricht mitgearbeitet habe und die Tatsache, dass Religionsunterricht in der DDR nicht angeboten worden sei, einer der Fehler der DDR gewesen sei. Allerdings solle man die Kinder nicht zu früh trennen und Ethik sei eine gemeinsame Veranstaltung.

Bundestagsvizepräsident Thierse spricht sich entschieden dagegen aus, dass der Berliner Senat, wieder einmal - wie bereits der Staat der DDR -, „als Weltanschauungslehrer" auftrete und Bundesministerin a. D. Andrea Fischer stellt fest, dass in Berlin anscheinend ein „anti-religiöser Affekt" bestehe und dass der Religionsunterricht für sie „immer eine Wohltat" gewesen sei.

Bischof Huber formuliert, dass man „die Aufklärung über sich selber aufklären" müsse, da es keine Bildung ohne Religion gäbe, das Religionsfreiheit auch Freiheit zur Religion heiße und die kirchlichen Interessen nicht partikular bestimmt seien, sondern sich am Allgemeinwohl orientieren würden.

Religionslose Ethik?

Den eigentlichen Kern der Tagung, und vermutlich auch der Befürchtungen, die Religionsvertreter bewegt, formuliert Wolfgang Thierse, indem er sagt: Der Berliner Senat „präferiert faktisch eine religionslose Ethik." Und: Die Einführung des Fachs Ethik „ist die absichtsvolle Relativierung von Religion."

Wollte man das Thema auf den Religionsunterricht beschränken, würde die eigentliche Dimension verloren gehen: Die Rolle der Religion in der Gesellschaft generell und dabei insbesondere ihr eigener Anspruch, Definitionsagentur für Ethik zu sein. Das wird in Berlin bestritten und das ist das Problem.

Die Zusammenkunft von hochrangigen Kirchenfunktionären und politischen Funktionsträgern - die im Auftreten auf einer Veranstaltung der Kirchen mit ihrer politisch-staatlichen Funktion bereits die Trennung von Politik und Religion als Lippenbekenntnis darstellen -, hat Erfolg. Prompt meldet die EKD als Ergebnis der Tagung: „Politiker und Kirchen plädieren für Religionsunterricht". So richtig, so falsch.

Carsten Frerk

 

 

Textdokumente auf der Internetseite der Deutschen Bischofskonferenz.