Religion oder Ethik / Religion und Ethik

BERLIN. (hpd) Der Landeselternausschuss hatte vergangenen Donnerstagabend zu einer Informationsveranstaltung in das Berliner Rathaus geladen, damit interessierte Eltern die Vertreter der beiden Initiativen „Pro Reli" und „Pro Ethik" befragen konnten. Der Abend wurde zu einem relativen Desaster und mit einer eigenartigen Stellungnahme von „Pro Reli" beendet.

Der Landeselternausschuss Berlin (LEA) bei der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung hatte zu einem „Themenabend - Religion oder Ethik / Religion und Ethik" eingeladen. Vorgesehen war ein Diskussionsabend mit den Vertretern von „Pro Reli" und „Pro Ethik" zum laufenden Volkbegehren.

Gerd Eggers (der Koordinator von "Pro Ethik") und Norbert Böhnke (Ethiklehrer) vertreten die Initiative zum Erhalt des Schulfaches Ethik, Christoph Lehmann (Promovierter Jurist, Vorstandsvorsitzender von „Pro Reli") und Jan Hambura (Student, stellvertretender Vorsitzender) sprechen für die Initiative, die mit einem Volksbegehren den bisher freiwilligen Religionsunterricht zum gleichberechtigten Pflichtfach neben Ethik anheben will, zwischen denen beiden sich die SchülerInnen dann entscheiden müssen/sollen. Jeweils zehn Minuten wird den jeweiligen Vertretern zur Vorstellung vorgegeben.

Gerd Eggers benennt die „Pro Ethik"-Mitglieder und hebt hervor, dass der Schirmherr Walter Momper (SPD) - wie auch weitere Mitglieder -, Mitglied der Evangelischen Kirche seien. Insofern entspreche die Darstellung von „Pro Ethik" als „atheistisch" nicht den Tatsachen. Die Notwendigkeit für ein Schulfach Ethik ergäbe sich aus der besonderen Situation Berlins, einer Stadt, in der Menschen aus 140 Nationen mit rund 130 verschiedenen Religionszugehörigkeiten leben. Das Schulfach Ethik gehöre zum Kanon der allgemein bildenden Fächer. Die Darstellung des Faches als „Zwangsfach" sei ebenso unangemessen, wie der Slogan der „Freien Wahl", da es „Pro Reli" um die Einführung von Religionsunterricht als Pflichtfach gehe. Die freie Wahl des Religionsunterrichts bestehe in Berlin seit 1948, also bereits seit 60 Jahren.

Christoph Lehmann schaut als Vertreter von „Pro Reli" zuerst in die anderen Bundesländer, in denen nach Art. 7, Absatz 3 des Grundgesetzes der Religionsunterricht ordentliches Lehrfach sei und fragt, ob es der deutschen Hauptstadt gut anstehe, einen Sonderweg zu gehen. Bildung bestehe seiner Ansicht nicht nur aus Wissensvermittlung, sondern auch in Wertevermittlung, also einer Aufgabe, die dem Staat selber nicht zustehe, sondern ausschließlich den Religionsgemeinschaften. Diese Arbeitsteilung zwischen Religion und Staat solle auch in Berlin gelten. Dabei erweckt Lehmann den Eindruck, als solle der Religionsunterricht in Berlin abgeschafft werden.

Die zahlreichen Gäste und Zuhörer sind, wie sich bald herausstellt, zu etwa zwei Dritteln Anhänger von „Pro Reli" und einem Drittel Anhänger von „Pro Ethik".

Die ersten Fragen aus dem Publikum zeigen bereits den Gesamttenor der Beiträge.

Inwiefern berücksichtigt der Lehrplan für Ethik Religionen? Und Ethik sei immer nur ein kleiner Ausschnitt von Religionen und demnach könne Ethik nur ein Wahlfach und Religion das eigentliche Pflichtfach sein.

Der zweite Beitrag bemerkt, dass der Staat den Kirchen nur Gelegenheit gäbe, ihre Auffassungen zu verbreiten und Religionsunterricht eigentlich ein Widerspruch zum Prinzip der Trennung von Staat und Kirche sei.

In ein noch leises Murmeln der Empörung über eine solche Ansicht, verkündet ein älterer, weißhaariger Mann mit lauter Stimme, dass das "Zwangsfach Ethik" ein Verstoß gegen den § 9 der Europäischen Menschrechtskonvention sei und Artikel 2 des Zusatzprotokolls die Abmeldemöglichkeit vom Ethikunterricht fordere und ermögliche.

Ein lauter Zwischenruf: „Falsch!" wird mit einem noch lauteren: „Das ist wahr!" und einem übertönenden: „Lügner" beantwortet. Man scheint sich untereinander zu kennen.

Manfred Thunig, stellvertretender Vorsitzender des LEA, auch mit einer sonoren Stimme ausgestattet, bleibt souverän der Herr des Abends, ermahnt, organisiert, beruhigt, erklärt und sorgt dafür, dass die Veranstaltung nicht völlig aus dem Ruder läuft.

Es gibt sachliche Aufklärung über den Rahmenlehrplan für die Sekundarstufe 1 (Jahrgangsstufe 7-10) und Hinweise von „Pro Ethik" auf das Schulgesetz für Berlin, das in seinem § 1 formuliere: „Auftrag der Schule ist es, alle wertvollen Anlagen der Schülerinnen und Schüler zur vollen Entfaltung zu bringen und ihnen ein Höchstmaß an Urteilskraft, gründliches Wissen und Können zu vermitteln. (...) Diese Persönlichkeiten müssen sich der Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit bewusst sein, und ihre Haltung muss bestimmt werden von der Anerkennung der Gleichberechtigung aller Menschen, von der Achtung vor jeder ehrlichen Überzeugung und von der Anerkennung der Notwendigkeit einer fortschrittlichen Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse sowie einer friedlichen Verständigung der Völker. Dabei sollen die Antike, das Christentum und die für die Entwicklung zum Humanismus, zur Freiheit und zur Demokratie wesentlichen gesellschaftlichen Bewegungen ihren Platz finden."

Das Publikum stellt durchgehend keine Fragen an die Vertreter der beiden Initiativen, sondern artikuliert in diversen Beiträgen die eigene Betroffenheit, eigene Philosophien, Frustrationen, Schuerfahrungen und Wünsche. Als einer der Zuhörer sich als Mitglied des Humanistischen Verbandes zu erkennen gibt und - es sei Weihnachtszeit - an „Pro Reli" unter anderem den Wunsch richtet, sie mögen bitte in ihrer Anzeigenkampagne wahrhaftiger sein, wird er mit Spott bedacht: „Ach, Atheisten glauben also doch an Weihnachten!"

Der Versammlungsleiter ermahnt die „Pro-Reli-Fraktion" zur Mäßigung und zur Einhaltung demokratischer Gepflogenheiten wie des Ausredenlassens, die an ihrer offensiv dargestellten Selbstgerechtigkeit zu Scheitern droht.

Religionsunterricht ist ein Grundrecht

Der Vorstandvorsitzende von „Pro Reli", der betonte, dass er Jurist sei, bekräftigte schließlich noch einmal - nach rund zweieinhalb Stunden eines ziemlichen Durcheinanders -, dass der Religionsunterricht in der Bundesrepublik Deutschland zu den Grundrechten gehöre und dieses in Berlin verletzt werde.

Damit wird die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, dass die Teilnahme am Pflichtfach Ethik nicht verfassungswidrig sei, weder erwähnt, noch zur Kenntnis genommen.
(BVerfG, 1 BvR 2780/06 vom 15.3.2007, Rn 31) „Die Verpflichtung, das Unterrichtsfach Ethik zu besuchen, wirkt nicht in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise auf Schüler und deren Eltern in dem Sinne ein, dass ihnen subjektiv oder objektiv nahe gelegt würde, vom Besuch des Religionsunterrichts Abstand zu nehmen. Es trifft zwar zu, dass ein Schüler, der freiwillig den Religionsunterricht besucht, zeitlich mit mehr Unterrichtsstunden belastet ist als ein solcher, der von der Teilnahme absieht (vgl. § 13 Abs. 5 Satz 2 SchulG). Eine zeitliche Mehrbelastung tritt bei einem freiwilligen Besuch des Zusatzfachs Religion jedoch lediglich in vergleichbarem und deshalb vernachlässigbar geringem Maße ein wie beim Besuch eines anderen, auf freiwilliger Basis angebotenen Fachs, was in der Schulpraxis verbreitet und üblich ist."

Menschenrechte seien nicht universell

Die Kernbotschaft von „Pro Reli" hat sich der Vorstandsvorsitzende bis zum Schluss aufgehoben, als er explizit erklärt, dass die Allgemeinen Menschenrechte nicht per se über den Religionen stehen würden, sondern für ihre Gültigkeit einer religiösen Begründung bedürfen.

Ihm ist dabei anscheinend nicht bewusst, dass er sich damit auf eine vergleichbare Grundlage wie der Kairoer Erklärung zu den Menschrechten im Islam" ("Cairo Declaration on Human Rights in Islam") stellt, in der die Gültigkeit der Allgemeinen Menschenrechte durch das religiös-islamische Recht („Scharia") begrenzt wird. Ebenso wie die Aussage Benedikts XVI.: „Die Menschenrechte gründen im Schöpfergott" verschweigt, welche Rechte auf Selbstbestimmung durch die Katholische Kirche damit tatsächlich verweigert werden und dass die katholische Kirche, in Staatsgestalt des Vatikans, die Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte bisher nicht unterzeichnet hat.

An diesem Abend wurde eine Chance zur sachlichen Information vertan, die so jedoch anscheinend auch nur von einer Minderheit gewünscht war. Insbesondere die Initiative „Pro Reli" hat durch ihre Vertreter und die im Saal anwesenden Anhänger einigen Kredit verspielt und die Frage entstehen lassen, wie weit sie sich mit ihren Ansichten noch im Rahmen des Grundgesetzes bewegt.

CF.