(hpd) Dieses Buch füllt eine Lücke: Es macht die Beweggründe und das Lebensgefühl, die Erfahrungen, Ängste und Hoffnungen kirchenferner Menschen in Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts christlicher Zeitrechnung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Unmittelbarkeit und Unkompliziertheit sind die großen Stärken des Buches.
Die Autorin bzw. Herausgeberin, Fiona Lorenz, ist selbst atheistische Humanistin. Sie hat bekannte und unbekannte Abtrünnige und Ungläubige befragt nach ihrem persönlichen Werdegang in Sachen Religion und Kirche, nach psychischen und sozialen Bedingungen des Weges zum oder im Unglauben, nach Sinn und Halt im Leben derer, die von Gottesbotschaften und Heilsversprechen nicht mehr erreicht werden oder noch nie erreicht wurden. Aus den vielen Zusendungen musste eine Auswahl getroffen werden: 22 Beiträge sind im Buch abgedruckt, von Menschen zwischen 9 und 86 Jahren, aus verschiedenen Regionen Deutschlands, beiderlei Geschlechts, unterschiedlicher Berufe, nur 2 davon anonym. Die Schauspielerin Nina Vorbrodt ist darunter, die Kinderbuchautoren Janosch und Max Kruse, die Schriftstellerin Esther Vilar, und die islamkritische Frauenrechtlerin Mina Ahadi. Der beliebte Comiczeichner und Autor Ralf König hat nicht nur einen schriftlichen Beitrag geliefert, sondern das Buch auch mit einigen Illustrationen bereichert, stilsichere Kombinationen aus liebenswürdiger Frechheit, beißendem Witz und treffender Ironie.
Dem Buch ist ein Vorwort des bekannten und profilierten Religionskritikers und Aufklärers Michael Schmidt-Salomon vorangestellt. Die Beiträge selbst sind eingerahmt von einer Einleitung der Autorin zur Aktualität der Religiositätsdebatte mit Fakten zum wachsenden Anteil der Konfessionsfreien und zur Motivation zu diesem Projekt, sowie einem Fazit am Ende, das charakteristische Unterschiede und Gemeinsamkeiten der eingeholten Beiträge zusammenfasst. Fußnoten mit Quellenverweisen im Internet, eine Literaturauswahl und die Wiedergabe des Leitfadens, der den Befragten vorlag, runden den Text ab.
Dieses Buch ist kein wissenschaftliches Werk, keine theoretische Abhandlung, keine erschöpfende Analyse - und es gibt an keiner Stelle vor, dies zu sein. Sein großer Nutzen liegt im unverstellten, mitmenschlichen Zugriff auf das Phänomen der Gottlosigkeit durch autobiographische Abrisse und authentische Erfahrungsberichte.
Die präzise psychologische, soziologische und philosophische Einordnung muss ohnehin anderswo erfolgen. Daher spricht es auch nicht gegen dieses Buch, dass die Titelfrage "Wozu *brauche* ich einen Gott?" auf einen subjektiven Bedarf verweist, der von objektiver Existenz ("Existiert ein Gott?") logisch völlig unabhängig ist: Etwas, das kein Mensch braucht, kann gleichwohl existieren, während etwas, das viele brauchen, deswegen noch lange nicht existieren muss.
Suche nach Wahrheit und Maßstäben, Freiheit und Humanität
Die Beiträge bleiben jedoch nicht bei der Schilderung momentaner Befindlichkeiten oder wohlfeiler Kirchenkritik stehen. Sie zeugen fast durchweg von ernsthafter Suche nach Wahrheit und Maßstäben, nach Freiheit und Humanität. Dabei steht die beeindruckende Klarheit junger Denker von 16 und 19 Jahren neben den erschütternden Zeugnissen eines oft lebenslangen Ringens mit anerzogenen Schuldgefühlen und Sinnplacebos. So schildert u.a. ein ehemaliger Mormone seinen Weg von der religiösen Lehre zur religiösen Leere - und von dort weiter zur humanistischen Fülle. Befreiung ist ein durchgängiges Motiv einer überall spürbaren Religionskritik, die an die Wurzeln geht - genau wie die Sehnsucht nach Frieden, Glück und Gerechtigkeit im einzigen und endlichen Leben des gottlosen Menschen.
Zwei Ziele sind es, denen dieses Buch gemeinsam dient: Es kann den heimlich Zweifelnden, den unterdrückten Ungläubigen und einsamen Atheisten zeigen "Ihr seid nicht allein!" - mit aller Zuversicht, die in der wachsenden Gemeinschaft der säkularen Humanisten und ihrer Organisationen liegt. Und es kann Verständnis wecken bei den religiös Gläubigen, die allzu oft noch ihr Milieu und ihre Anschauungen für selbstverständlich halten, unverzichtbar für die menschliche Kultur, für die Begründung der Moral und die Stiftung von Sinn. Sie werden anerkennen müssen, dass es auch anders geht: human mit Humor und "gnadenlos" glücklich, selbstbestimmt sinnerfüllt, gottlos und gut.
Dem Buch ist eine weite Verbreitung in unserer weltanschaulich vielfältigen Gesellschaft zu wünschen. Die erfreuliche Tatsache, dass es in einem großen Publikumsverlag erscheinen konnte, wird dabei helfen.
Helmut Fink
(Der Rezensent ist Vorsitzender des HVD-Nürnberg und Präsidiumsmitglied des HVD-Bundesverbandes).
"Wozu brauche ich einen Gott?"
(Gespräche mit Abtrünnigen und Ungläubigen, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2009,8,95 Euro, ISBN 978 3 499 62473 5)
Das Buch ist auch im denkladen erhältlich