Die Angst vor der „Nebenkirche“

BERLIN. (hpd) Bisher hat der amtierende Papst Benedikt XVI. den Eindruck zu erwecken versucht, seine Kirche verkörpere aufgeklärte Religion und stünde auf dem Boden der Universalität der Menschenrechte. Von diesem Grund ging die Ökumene aus. Damit ist es nun vorerst vorbei, so lange nicht ausgeräumt ist, er arrangiere sich mit Antisemiten. In Deutschland ist die Leugnung des Holocaust eine Straftat. Wie sieht dies der „deutsche Papst“?

 

 

Dazu ein Kommentar von Frieder Otto Wolf:

 

„Absolut irrelevant“ – mit diesem Urteil hat sich ein Sprecher des Vatikan auf die Holocaust-Leugnung durch John Williamson bezogen, einen der vier 1988 durch den fundamentalistisch dissidenten Erzbischof  Marcel Lefebvre geweihten Bischöfe, im Hinblick auf die Aufhebung seiner Exkommunikation (zusammen mit den drei weiteren vor 21 Jahren exkommunizierten „Amtsbrüdern“) durch Papst Benedikt XVI. Dieser Williamson hatte öffentlich erklärt: „Ich glaube, dass es keine Gaskammern gegeben hat.“ Zudem hatte er behauptet, in den deutschen Konzentrationslagern seien nicht sechs Millionen Juden getötet worden, sondern lediglich bis zu 300.000.

Mit dieser Irrelevanzerklärung beruft sich dieser Vatikan-Sprecher doppelt auf eine bürokratische Logik: Die Holocaust-Leugnung war nicht Bestandteil des Dossiers. Und: Die führenden Kreise des Vatikan sehen in dieser Aufhebung der Exkommunikation den Weg zur Überwindung dieser Abspaltung von der „einen Kirche“, wollen offenbar unbedingt die Entstehung einer „Nebenkirche“ vermeiden. Dafür geben sie zugleich jeden Anspruch auf, für eine aufgeklärte Religion zu stehen – d.h. für eine Religion, die sich auf den Boden der Universalität der Menschenrechte stellt und den Dialog mit anderen Religionen und Weltanschauungen sucht. Und die die christliche Tradition des Antijudaismus abgestreift hat.

Gerade angesichts der nicht ausgeräumten Vorwürfe gegen die Haltung von Papst Pius XII. zum historischen Holocaust, aber auch angesichts der historischen Komplizitäten zwischen führenden Kirchenvertretern und mit den Nazis verbündeten Regimes, ist die Rehabilitation eines katholischen Bischofs, der offen als Holocaust-Leugner auftritt, ein unerträglicher Akt. Die jüdische Gemeinde hat – nicht nur in Deutschland – entsprechend deutlich reagiert. Ökumene wird der katholischen Amtskirche fortan sehr schwer fallen.

Holocaust-Leugnung ist in Deutschland mit historischem Recht eine Straftat. Sie zerstört den demokratischen Minimalkonsens, wie er nach langen Auseinandersetzungen in der deutschen ebenso wie in den meisten westeuropäischen Gesellschaften aufgebaut worden ist. Viele Katholiken wollen mit dem Antisemitismus dieser Gruppe um Marcel Lefebvre nichts zu tun haben – und haben damit begonnen, dies auch deutlich zu sagen.
 
Angesichts der wiederholten aggressiven Blindheit dieses Papstes im Umgang mit Andersgläubigen sollten die KatholikInnen, die sich gegen den vom Vatikan betriebenen schleichenden Abbau der (viel zu wenigen) Errungenschaften des Vatikanischen Konzils der frühen 1960er Jahre zur Wehr setzen, nicht alleine gelassen werden. Einem Kirchenapparat, der schlicht bürokratisch agiert und im Namen der Kircheneinheit sich auch mit Antisemiten arrangieren will, sollte ein Strich durch die Rechnung gezogen werden.
Der Sturm der Empörung darf nicht nachlassen, bis dieser leider symptomatische „Irrtum“ korrigiert worden ist.

Prof. Dr. Frieder Otto Wolf ist Vorsitzender des Koordinierungsrates säkularer Organisationen (KORSO), Präsident der Humanistischen Akademie Deutschland (HAD) und Vizepräsident des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD).