Kinder: kleine Tyrannen oder Lebensglück?

Liebe zum Kind als Grundlage von Rat und Unterstützung

Bergmann, selbst Vater dreier Kinder, formuliert nicht streng sachlich und nüchtern, sondern mit viel Gefühl und Engagement. Es ist nicht schwer, die Liebe, die er Kindern gegenüber empfindet, in seinen Formulierungen zu erkennen. Das macht ihn sehr überzeugend. Sätze wie, „Kinder sind eine große Liebesgeschichte, die Gehorsamspädagogen wollen sie darum betrügen“, lassen erkennen, worum es Bergmann geht. Deutlicher noch aber, als in einzelnen Aussagen, wird seine Sicht dann, wenn er sich auf einzelne Situationen bezieht. So schreibt er z.B. zu einer möglichen elterlichen Reaktion auf ein Kind, das übers Spielen die Zeit und seine im Eiscafé nebenan wartenden Eltern vergessen hat: „Freuen sie sich doch einfach ein bisschen. Worüber? Über ihr Kind, verschwitzt, mit schlechtem Gewissen, das es jetzt schon fast vergessen hat, über seine stille Hoffnung auf einen Pinocchio-Eisbecher, beglückt über den Sieg im Tischtennis oder sonst was: Ein Wunder ist dieser Kleine, ein kleines Wunder der Weltgeschichte. Unfassbar, dass es ihn überhaupt gibt, ob pünktlich oder nicht. Vergessen Sie alle Prinzipien, Pünktlichkeit und was weiß ich. Sie sind, gemessen an diesem kleinen verschwitzten Gesicht und den frohen Augen, „Peanuts“. Nebensächlich! Zu vernachlässigen. (…) Eisbecher? fragen Sie vielleicht, obwohl er doch viel zu spät dran war? Ist das denn vernünftig? Sieht so Erziehung aus? Antwort: Es ist unvernünftig macht aber Spaß. Und nichts erzieht besser als gemeinsamer Spaß, vor allem im Eiscafé.“

Viele werden ihre Mühe damit haben

Vielleicht wird nicht nur der mit solche„Erziehungsmethoden“ seine Mühe haben, der wie Winterhoff oder Bueb:

  • die natürliche und notwendige Achtung und Orientierung des Kindes gegenüber bzw. an seinen Eltern oder Lehrern mit der Notwendigkeit seiner Unterwerfung gleichsetzt,
  • die aufopfernde Liebe und Selbstvergessenheit der Eltern mit einer das Kind vereinnahmender und schädlicher Symbiose identifiziert,
  • in der Orientierung der Eltern an den Bedürfnissen des Kindes, ein willenloses sich Steuern lassen erkennt,
  • oder gar, wie Winterhoff, die jeder Erfahrung widersprechende Auffassung vertritt, ein Kleinkind lerne erst dann den immerhin doch sehr wichtigen Unterschied zwischen einem Ding, wie einem Stuhl und einem lebenden Menschen, wenn letzterer dem „kindlichen Narzissmus“ Widerstand entgegensetzt.

Vielleicht liegt das Problem, das viele mit solchen „lockeren“ und „inkonsequenten“ Verhaltensweisen haben, aber auch nur daran, dass es einfach zu selbstverständlich geworden ist zu denken, das Kind müsse mit „Konsequenz“ geführt und gelenkt und auf der Grundlage von bestimmten (oft sich allerdings als relativ erweisenden) festen Prinzipien erzogen werden.

Wenn Bergmann fragt: „Ist ihr Termin oder der Einkauf jetzt und sofort, wirklich wichtiger als das Kind noch ein bisschen spielen zu lassen?“, „Kommt es auf ein Eis mehr, das ihr Kind unbedingt haben will, wirklich an?“ oder: „Müssen wir einem Kind irrationale Wutausbrüche partout verbieten?“, dann hinterfragt er zu Recht eine fast schon selbstverständlich gewordene Perspektive, die das Kind und seine Bedürfnisse von vorneherein dem Willen und den Vorstellungen des Erwachsenen unterordnet.

Tricks statt eines harten „Nein“

Man kann nicht immer „ja“ sagen und manchmal kann und soll man den Wunsch des Kindes auch nicht erfüllen. Bergmann rät in einem solchen Fall statt eines harten „Nein“ zu Tricks und Kompromissen, die das Kind nicht verletzten, sondern im Gegenteil spielerisch und mit Spaß von seinem unerfüllbaren Wunsch abbringen. Dazu gibt er viele Beispiele, die als Anregung zu verstehen sind, das Problem kreativ, mit Humor und vor allem unter Wahrung der Würde des Kindes zu lösen.

Wie in dem obigen Beispiel deutlich wird, macht Bergmann das mit viel Gefühl. Auch versucht er bei seinen Beschreibungen die Feinheiten der Kommunikation (Blick, Gesten, Stimmlage usw.) mit einzubeziehen. Und hier wird es dann etwas kritisch. Dass es genau auf diese Feinheiten ankommt ist absolut nachvollziehbar, nur wird es schwierig, wenn damit konkrete Handlungsempfehlungen verbunden sind. So lesen sich Bergmanns Empfehlungen manchmal etwas wie eine Regieanweisung für eine Filmszene. Probleme könnte der kriegen, der diese Anregung umsetzen will, wenn seine innere Haltung gegenüber dem Kind nicht wirklich derjenigen entsprich, die Bergmann seinen Sätzen zu Grunde legt. Denn da es letztlich zuallererst doch auf die Authentizität der eigenen Gefühle in einer Situation ankommt, kann der Versuch, sich dann daran zu halten auch nach hinten losgehen. Bergmann legt in diesen Szenen eine Ruhe und Gelassenheit gegenüber dem Kind zu Grunde, die schön aber leider nur allzu oft einfach nicht realistisch ist. Realistischer als der praktisch unerfüllbare Anspruch immer ruhig und gelassen zu bleiben, wäre es vielleicht, dem Erwachsenen eine auch mal laute, emotionale, dafür aber authentische Reaktion zuzugestehen, die er dem Kind im Nachhinein ja erklären und für die er sich dann auch beim Kind entschuldigen kann.

Fazit: Ein Buch, dass sich mit viel Gefühl für die Belange von Kindern einsetzt, aber auch den Blick darauf lenkt, was Kinder einem geben können: das Erleben einer einzigartigen Liebesbeziehung und unersetzbares Lebensglück. Bei all den Problemen, die man mit Kindern haben kann, kann es manchmal vielleicht mehr helfen als alles andere, sich gerade dessen bewusst zu sein.

Anna Ignatius

Wolfgang Bergmann, „Warum unsere Kinder ein Glück sind: So gelingt Erziehung heute“. Beltz, März 2009, 174 Seiten, Euro 14,95.