Kirchen kapern den Ethikunterricht

BERLIN/HAGEN. (hpd) Der Kulturkampf der Religionslobby geht auch in Berlin nur in die nächste Runde.

 

Ein Kommentar von Rudolf Ladwig

 

Ethikunterricht gegen Ehrenmord

Als Reaktion auf die Befürwortung des sogenannten „Ehrenmordes“ an Hatan Sürücü durch einige Berliner Schüler führte das Land Berlin einen integrativen Ethikunterricht (1) ein. An ihm nehmen in den Jahrgangsstufen 7-10 alle Schüler teil, völlig unabhängig davon, ob sie zusätzlich am Religionsunterricht teilnehmen, der überall in Deutschland ein freiwilliges Fach ist und in Westberlin bereits seit 1947 ein zwar staatlich finanziertes, aber von den Religionsgemeinschaften verantwortetes Unterrichtfach ist, was die Bremer-Klausel des Grundgesetzes ausdrücklich zulässt. Ziel des Ethikunterrichtes ist es, dass die Schüler auch miteinander sich mit Wertefragen auseinandersetzen. Er soll befähigen, selbstständig individuelle Werte zu erarbeiten und nicht lediglich in konfessionell getrennten Religionsstunden die Lehren der betreffenden Glaubensgemeinschaft als bestehende Wahrheit vermittelt zu bekommen.

Bei der Einführung des Ethikunterrichtes in Berlin wurde, um die Kirchen zu pazifieren, ausdrücklich festgelegt, dass das neue Fach mit dem Religionsunterricht kooperieren solle. Kirchlicherseits bestand daran aber kein Interesse und die Zusammenarbeit wurde vor drei Jahren brüsk verweigert. Zusätzlich wurde von den beiden Großkirchen darauf bestanden, dass Religionskunde gerade nicht Gegenstand des als Konkurrenz empfundenen Ethikunterrichtes sein dürfe. Auch hierauf hat die Politik brav Rücksicht genommen. Zusätzlich wurde mit einem Staatsvertrag der ev. Kirche Privilegien garantiert. All dieses beflissene Entgegenkommen wurde von den Kirchen nur als Ermutigung begriffen, immer mehr zu fordern und dabei aggressiver aufzutreten. Politiker begreifen notorisch nicht, dass Kirchen ideologische Mächte sind, die nicht kurzfristig in Legislaturperioden und dauerhaften Kompromissen denken.

Kampf der Kirchen gegen integrativen Ethikunterricht

Verfassungsbeschwerden kirchentreuer Eltern, die - von den Kirchen vorgeschaltet - erreichen wollten, den Ethikunterricht als verfassungswidrig zu verbieten, scheiterten. Damit wurde die seit über 10 Jahren bestehende höchstrichterliche Rechtssprechung bestätigt, wonach es dem Staat völlig frei steht, einen verpflichtenden Ethikunterricht für alle einzurichten.

Als Reaktion darauf wechselten die Kirchen die Aktionsebene. Eine massiv kirchlich unterstützte Initiative Pro-Reli sollte nun stellvertretend versuchen, per Volksentscheid das verfassungsrechtlich nicht zu verbietende Fach politisch von einem Integrationsfach in ein Zwangsersatzfach zum Religionsunterricht herabzustufen - und das in einer Stadt mit einer mehrheitlich konfessionsfreien Bevölkerung! Hierzu wurden viel Geld, Prominenz und eine Fülle von Halbwahrheiten, Falschbehauptungen und antikommunistisches Ressentiment bemüht. Wer innerhalb der evangelischen Landeskirche sich für solche Propaganda nicht einspannen ließ, Kritik daran zu üben wagte, oder sich gar den „Christen pro Ethik“ anschloss, wurde massiv einzuschüchtern versucht.

Die Berichterstattung u.a. von rbb und heute Journal war tendenziell parteilich für Pro-Reli. Insbesondere die Springer-Presse hetzte gegen den Ethikunterricht. Trotz all dem ist Pro-Reli beim Volksentscheid am 26. April 2009 deutlich gescheitert. Es ist den Kirchenleitungen nicht mal gelungen, die Mehrheit der Kirchenmitglieder gegen den integrativen Ethikunterricht zu gewinnen. Lediglich in einem einzigen der westlichen Stadtbezirke wurde die Zustimmungshürde von 25% der Wahlberechtigten genommen. Das war einer jener Stadtteile, in denen von unbekannter Hand zuvor Pro-Ethik Plakate durch Pro-Reli Plakate systematisch ersetzt worden waren, womit eine besondere Kompetenz für Demokratie und Ethik sicher eindrucksvoll demonstriert wurde.

Verlierer stellen Forderungen – Gewinner sind willfährig

Erneut wechseln die beiden Großkirchen jetzt die Handlungsebene. Nun geht es darum, unter Umgehung des Votums der Bürger, vom Staat einen besonderen Einfluss der Kirchen auf die Inhalte des zuvor so bekämpften Ethikunterrichtes zu erlangen. Merke: Ethikunterricht gilt Kirchenlobbyisten dann als neutral, wenn sie ihn gründlich unterwandert haben! Und für derlei geben sich fast alle Parteivertreter gerne willfährig her - auch Jene, die in Berlin Pro-Ethik sind.

Das begann schon kurz nachdem das Ergebnis des Volksentscheides sich abzeichnete. Walter Momper, Schirmherr von Pro-Ethik, bestritt, dass es überhaupt einen Kirchenkampf gegeben habe. Er meinte damit vermutlich den absurden Vorwurf von Pro-Reli, der Senat agiere durch die Unterstützung von Ethikunterricht gegen die Kirchen. Dass es jedoch einen Kampf der Kirchen gegen den integrativen Ethikunterricht gegeben hatte, sollte wohl auch schnell vergessen gemacht werden. Pro-Reli wurde vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) zur Entlastung der Kirchen nachträglich als reine CDU-Kampagne deklariert, in welche sich die Kirchen offenbar irgendwie unerklärbar hinein verirrt hatten. Die Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen, Franziska Eichstädt-Bohlig, ist zwar froh, dass der gemeinsame Ethik-Unterricht bleiben wird, sie findet es jetzt aber vor allem wichtig, dass man nach dem verbissenen Kampf der vergangenen Wochen wieder auf die Kirchen zugehen müsse. Man wolle nicht über den Gegner triumphieren. „Es gibt ja durchaus das gemeinsame Ziel, die Werteorientierung zu stärken“. Denkbar sei, die Kirchen über das Modulkonzept am Ethikunterricht zu beteiligen.

In den Sondersendungen des rbb am Abend des Volksentscheides wurde dreist durch den Interviewer gefordert, der Senat solle den deutlichen Volkswillen schlicht ignorieren und mit den Verlierern Kompromisse schließen. Der Berliner SPD-Landesvorsitzende Michael Müller sagte, der Senat sei bereit, eine Umgestaltung des Unterrichtsfaches Ethik zu prüfen. Linke-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch riet seiner im Berliner Senat vertretenen Partei, bei der Ausgestaltung des Ethikunterrichts den Dialog mit den Kirchen zu suchen.

Wieso werden nicht auch andere gesellschaftlichen Gruppierungen in den geforderten Dialog gleichberechtigt einbezogen? Kompromisslose Dialogverweigerer waren doch vor dem Volksentscheid die Kirchen selbst!

Der Berliner evangelische Bischof Wolfgang Huber drohte mit der Gründung weiterer Konfessionsschulen und kündigte an, sich großmütig zu Gesprächen mit dem bösen Senat herabzulassen: „Man muss uns ganz genau erklären, wie die Inhalte im Ethikunterricht ausgerichtet sind“. Der Staat muss also vor einer sich als Oberinstanz aufspielenden Kirche die Inhalte eines rein staatlichen Unterrichtsfaches rechtfertigen und genehmigen lassen?

Kirchen kapern Ethikunterricht

Dies alles läuft auf den Anspruch hinaus, die zuvor abgelehnten religionskundlichen Elemente (Wissen) in den Ethikunterricht jetzt doch einzuführen – wogegen zunächst nichts zu sagen ist – das aber dergestalt umzusetzen, dass ausgerechnet theologische Lehrer der Verkündigungsfächer (Mission) diese aus einer Binnenperspektive im weltanschaulich neutralen staatlichen Pflichtfach Ethik als Module unterrichten. So eine Forderung würde die weltanschauliche Neutralität des Ethikunterrichtes gefährden und ganz neu die Frage aufwerfen, ob damit nicht tatsächlich ein Verfassungsbruch klammheimlich betrieben wird. Dafür haben die bei Pro-Ethik Engagierten auch wohl kaum gekämpft!

Die Forderung, die Behandlung des Christentums im staatlichen Ethikunterricht müsse - statt auf der Basis der Religionswissenschaft mit einer Außenperspektive - von konfessionellen Theologen aus einer innerkirchlichen Binnenperspektive betrieben, oder mindestens dessen Inhalte mit den Kirchen folgsam abgestimmt werden, ist so sinnig, als dürfe im Biologieunterricht die Evolutionstheorie nur auf der Grundlage einer Absprache mit und von Kreationisten, im Erdkundeunterricht die Astronomie nur unter Autorisierung durch den Astrologenverband, im Geschichtsunterricht das Thema Arbeiterbewegung nur in Konsultation mit SPD und Gewerkschaften durch deren Sekretäre und im Politikunterricht das Thema Rechtsextremismus nur unter der Agenda „authentischer Experten“ der NPD gestaltet werden.

(Karikatur: Klaus Stuttmann)

So werden nicht nur Bekenntniselemente als trojanisches Pferd in den staatlichen Unterricht eingeschmuggelt, sondern quasi in der Folge garantiert, dass Religionskritik im Ethikunterricht schon gleich gar nicht vorkommt. All dies wird sich weitgehend jenseits der Aufmerksamkeit einer kritischen Öffentlichkeit durch Lobbyarbeit vollziehen. Matthias Heine in Die Welt (Druckausgabe, 28.4.2009) will aber durchaus etwas skandalisieren: „Jetzt muss man Einfluss auf den Ethikunterricht nehmen, um zu verhindern, dass er die niveaulose Agitation bleibt, die er ist. Bei jeder Propaganda und bei jeder historisch falschen Kleinigkeit über das Christentum gilt es, Krach zu schlagen. Ich jedenfalls freue mich schon darauf, den Ethik-Lehrern meiner kleinen Tochter später das Leben zur Hölle zu machen.“

Bezüglich historischer Wahrheiten sind ja bekanntlich die Bischöfe Meisner und Mixa die maßgebliche Instanz. Man sollte daher den Kirchen zusätzlich zum Religionsunterricht nicht nur den Ethikunterricht, sondern auch gleich den Geschichtsunterricht und den Biologieunterricht übereignen. Am besten wird die 1919 leichtfertig abgeschaffte kirchliche Schulaufsicht wieder eingeführt. Dann muss auch kein Frömmler mehr seine Kinder zum Kulturkampf gegen unliebsame wissenschaftliche Bildung missbrauchen. Die gibt es ja dann in den Schulen glücklicherweise nicht mehr!

 

Anmerkung
(1) Ethikunterricht war in Deutschland nichts Neues. Er wurde von der CDU vor über 30 Jahren in Baden-Württemberg auf Wunsch der Kirchen eingeführt, um die Abmeldungen vom Religionsunterricht zu bestrafen. Bis heute ist dort und in vielen anderen Bundesländern der Ethikunterricht ein Zwangs"ersatz"fach, welches aber diskriminierend angelegt ist (Religionsunterricht nie in den Randstunden, aber Ethikunterricht grundsätzlich als Nachmittagsunterricht, Ethikunterricht-Noten sind nicht versetzungsrelevant, Ethikunterricht ist kein Abiturfach, Ethiklehrer sind ohne spezielles Studienfach, oft werden theologische Fragen als Aufgaben gestellt usw.). Nie haben sich CDU oder Kirchen dort für eine Gleichberechtigung von Ethikunterricht mit Religionsunterricht eingesetzt. Das über 10 Jahre alte Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes, den Ethikunterricht in BaWü zu verbessern, wurde bis heute nicht umgesetzt. Man stelle sich mal vor, in Berlin oder in Brandenburg würde ein Urteil pro Religionsunterricht nicht umgesetzt. Dann wäre aber was los!

Die einzig verfassungsgemäße Alternative zur religiösen Unterweisung (Religionsunterricht hat die Aufgabe, die Lehren der jeweiligen Religionsgemeinschaft als bestehende Wahrheit zu vermitteln) ist jedoch die Freistunde und nicht ein Ethikunterricht. Durch Erteilung des Religionsunterrichtes in den Eckstunden ergäbe sich auch kein (eh nachrangiges) schulorganisatorisches Aufsichtsproblem.