Der gespaltene homo religiosus

TÜBINGEN. (hpd) Kann man sich noch heute auf die biblisch-christliche Ethik als höchste Instanz der Moral berufen und dabei intellektuell redlich bleiben und human handeln? Dieser Frage ging der Freiburger Psychologe Prof. em. Franz Buggle nach.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Anhand zahlreicher Beispiele suchte der auf Einladung der Humanisten Württemberg (Stuttgart) und des Humanistisch-Philosophischen Arbeitskreises Tusculum (Tübingen/Hohenstein) am 14. Mai in der Uni Tübingen weilende Referent, der Frage zur Wichtigkeit von Religionskritik und ihrer Akzeptanz nachzugehen.

Belege dafür fand Franz Buggle vor allem im Alten Testament. Dessen an über 1000 Stellen auftretende Gewaltsprache, so Buggle in seinem erzählerischen Vortrag, weise einen von „traditionsblinden“ Menschen projizierten Gott aus, der etwa den Genozid und den Kindermord (vgl. u.a. Psalm 137: „Wohl dem, der deine jungen Kinder am Felsen zerschmettert“) befehle und so „weit hinter dem heutigen ethischen Standard“ zurückbleibe. Kaum besser verhalte es sich im Neuen Testament, das dem Ungläubigen die „ewige Höllenstrafe“ androhe.

 

Derlei Motive öffneten, so der Referent auch in der lebhaft geführten Diskussion, Tür und Tor für den weltweit zunehmenden Fundamentalismus, der sich auf konsequent biblischen Spuren bewege. Äußerst inkonsequent indes verhielten sich die kirchlichen „systembefangenen“ Theologen in ihrem Bestreben, diese Motive mit dem heutigen ethischen Anspruch zu versöhnen. Mit ihrem regelrechten Eiertanz fielen sie massiven Verdrängungsprozessen anheim. Der humanitäre Standard des biblischen Gottes, der ja etwa den Völkermord befiehlt (im Alten Testament) und den „Ungläubigen“ in die ewige Verdammnis wirft (Neues Testament), bleibe hinter dem ethischen Anspruch seiner allermeisten heutigen Anhänger weit zurück. Dieses gelte auch für die islamische Religion und den Koran.

Dem Vortrag zugrunde lag Buggles 1992 erstmals erschienene Streitschrift „Denn sie wissen nicht, was sie glauben. Oder warum man redlicherweise nicht mehr Christ sein kann“, die durch zahlreiche Neuauflagen zu einem Standardwerk der Religionskritik avancierte. Demnach sei die Bibel ein „gewalttätig-inhumanes Buch“, das als „Grundlage einer heute verantworteten Ethik völlig ungeeignet“ (Vorwort) sei.

Werner Raupp