(hpd) Erst vor rund 15 Jahren begann die Wissenschaft mit der systematischen Untersuchung der Religion und ihrer Ursachen. Vieles bleibt noch unbeantwortet, doch bereits heute liegen bedeutende Erkenntnisse vor. Im ersten Teil geht es um die Frage, ob sich Gläubige oder Atheisten ethischer verhalten.
Gott existiert nur Sonntags
Atheisten bemerken immer wieder einmal sarkastisch, dass das höhere Wesen vieler religiöser Menschen unter der Woche frei hat und nur Sonntags beim Gottesdienst existiert. Gott hält nicht einfach den Sabbat heilig, sondern er macht jeden Tag blau, bis auf einen. Die Forschung hat diese These untersucht.
Religiöse Apologeten und solche, die an den Glauben glauben, führen gerne Studien an, die beweisen, dass Gläubige wohltätiger sind und weniger Pornographie konsumieren (woraus sie schließen, dass Gläubige ein gesünderes Familienleben haben). Sieht man einmal genauer hin, ergibt sich ein anderes Bild. Gläubige, jedenfalls in den USA, wo die Debatte am hitzigsten geführt wird, sind nämlich nur am Sonntag wohltätiger und sie konsumieren nur am Sonntag weniger Pornographie, wie Studien nun aufgezeigt haben. Im Detail:
Einer Studie von Ben Edelman zufolge konsumieren regelmäßige Kirchgänger in den USA am Sonntag weniger Pornographie als Atheisten. Dafür konsumieren sie unter der Woche jeden Tag etwas mehr Pornographie, wodurch sich letztlich kein Unterschied am Gesamt-Pornokonsum der beiden Gruppen mehr ergibt.
Eine neue Studie von Deepak Malhotra ergab derweil, dass amerikanische Christen Sonntags sehr viel großzügiger für Wohltätigkeitsauktionen spenden als Atheisten. Diese spenden Sonntags sogar viel weniger als unter der Woche, offenbar, weil sie vom Sonntags-Gutmenschentum ihrer gläubigen Mitmenschen angewidert sind. Dafür spenden Atheisten unter der Woche etwas mehr, wodurch sich insgesamt ergibt, dass Gläubige und Atheisten genau gleichermaßen wohltätig sind.
Wie man sich die Realität zurechtbiegt
Einer der stets angeführten Belege für die angeblich größere Wohltätigkeit von Religiösen ist Arthur C. Brooks Buch „Who really cares”. Dr. Nigel Barber hat sich die Belege im Psychology Today Blog einmal näher angesehen. Offenbar hat Brooks zwei Tricks angewandt, um zum erwünschten Ergebnis zu gelangen: 1. Er hat die Spenden von Religiösen an ihre Gemeinden miteinbezogen – als ob es wohltätig wäre, wenn Gläubige ihrer Gemeinde Geld schenken. Das ist so, als würde man mein Abonnement von „Free Inquiry” zu einer sozialen Wohltat erklären.
Zweitens hat er das Alter der untersuchten Gruppe nicht miteinbezogen. Die Kirchgänger sind nämlich älter als die untersuchten Atheisten, da Glaube bei der jüngeren Generation abnimmt. Nun haben pensionierte Menschen allerdings mehr Zeit, um sich zu engagieren und verfügen über einen großen Teil des Vermögens, das für soziale Zwecke verwendet werden kann. Wenn man die Daten entsprechend bereinigt, so zeigt Barber auf, gibt es keine Unterschiede zwischen der wohltätigen Großzügigkeit von Atheisten und Gläubigen.
Einen Unterschied gibt es aber: Religiöse behaupten von sich selbst in allen Studien, die auf Umfragen basieren (ein Beispiel), dass sie wohltätiger seien als Atheisten. Mit diesen Studien gehen sie dann hausieren, als würden diese beweisen, dass sie tatsächlich wohltätiger sind und dies nicht nur von sich behaupten. Wer eine positive moralische Identität annimmt, der braucht schließlich gar nicht mehr zu beweisen, dass er sich tatsächlich ethischer verhält, das tut er ja schon laut Definition...
Sind Gläubige kooperativer?
Wohltätiger und weniger Porno-affin sind Gläubige also nicht, aber sind sie kooperativer als Atheisten? Vor kurzem ist wieder eine neue Studie zum Thema erschienen. Sie stammt von dem Wissenschaftler Ali Ahmed von der Växjö-Universität in Schweden. Sie bestätigt die Ergebnisse früherer Studien.
Die Studie benutzt als Grundaufbau das „Gemeinwohl”-Spiel, das standardmäßig Verwendung findet, wenn Kooperativität getestet werden soll. Jedes Mitglied einer Gruppe aus drei Personen bekommt ein wenig Geld, das es entweder in eine Gemeinschaftskasse stecken oder für sich selbst behalten kann. Alles, was in die Gemeinschaftskasse gesteckt wird, erhält einen Aufschlag von 50% und wird dann gleich auf alle verteilt. Das Spiel findet anonym statt.
Im Durchschnitt erhält man am meisten Geld, wenn man seinen Anteil einfach für sich behält und nichts in die Gemeinschaftskasse einzahlt. Das machen die Leute in der Regel aber nicht. Sie stecken zumindest ein wenig Geld in die Kasse, obwohl niemand weiß, wer wieviel Geld hinzugegeben hat. Wahrscheinlich ist dieses Verhalten das Resultat einer instinktiven kognitiven Illusion: Über die Jahrmillionen hinweg befand sich der Mensch mehrmals in der Situation, seine Sachen mit anderen zu teilen und dies geschah so gut wie nie anonym, also sind wir nun so verdrahtet, dass wir instinktiv davon ausgehen, dass die anderen wissen, was wir der Gemeinschaft beigesteuert haben.
Wenn Sie nun religiös sind, müsste sich Ihr Verhalten ändern. Schließlich gehen Sie davon aus, dass Sie ein Gott im Diesseits oder im Jenseits für Ihren Beitrag belohnen wird. Also müssten religiöse Menschen mehr beisteuern, sogar wenn sie weniger zurückbekommen, als sie herausgeben.
Das ist zumindest die Theorie. Ahmed hat sie überprüft.
In der Studie ließ er das oben beschriebene Gemeinwohl-Spiel von Wirtschaftsstudenten unterschiedlicher Herkunft in Mexiko, Schweden und Italien spielen. Es gab keinen Unterschied zwischen den religiösen und den areligiösen Studenten.
Gibt es denn irgendwelche Unterschiede?
Liest man diesen Artikel bis hierhin, könnte man zu der Auffassung gelangen, dass es eigentlich gar keine relevanten Unterschiede im Verhalten von Gläubigen und Atheisten gibt. Sie sind gleichermaßen kooperativ, wohltätig und stehen auf Pornos. Gläubige verhalten sich Sonntags anders, gleichen das aber unter der Woche wieder aus. Allenfalls könnte man feststellen, dass Gläubige zu Arroganz und Heuchelei neigen, weil sie sich für besser halten als ihre skeptischen Mitbürger, ohne dass dem auch so wäre. In vielen Bereichen ist Religion insofern nur albernes Gutmenschen-Getue, das überhaupt keinen Einfluss hat auf die Realität.
Aber nicht in allen Bereichen. Zum Beispiel befürworten regelmäßige Kirchgänger in den USA häufiger Folter als andere Menschen. 54 % der US-Amerikaner, die wöchentlich in die Kirche gehen, sagten, dass die Folter von mutmaßlichen Terroristen „oft” oder „manchmal” gerechtfertigt sei. Von denen, die nur „selten” oder „nie” den Gottesdienst besuchen, sahen das nur 42% so, besagt eine Studie des Pew Forum on Religion & Public Life. Gleichsam befürworten Protestanten und Katholiken in den USA häufiger die Todesstrafe. Sehr deutlich sind die Unterschiede bei der Frage, ob Abtreibung legal sein sollte. Hier stehen religiöse Menschen in den USA auf der einen Seite der Debatte (gegen Abtreibung) und Atheisten auf der anderen.
In Deutschland ist es in der Tendenz ganz ähnlich. Religionsfreie finden die klassische Hausfrauenrolle (Küche-Kinder-Kirche) am wenigsten zustimmungswürdig, sie sind toleranter gegenüber Homosexuellen, stärker für eine Legalisierung der Abtreibung, stärker für eine Legalisierung aktiver Sterbehilfe und sie finden Haschischkonsum weniger schlimm. Konservative und religiöse Haltungen sind eng verwoben.
Ethik allgemein
Ein Artikel aus dem Psychology Today Blog befasst sich ebenfalls mit der Frage: Verhalten sich religiöse Menschen ethischer? Zieht man die Studien ab, die keine Unterschiede feststellen, sieht das Ergebnis folgendermaßen aus:
“Eine Studie kam zu dem Ergebnis, dass atheistische Schüler signifikant weniger häufig bei Prüfungen betrügen als religiöse Schüler.
Psychologen befinden, dass religiöser Glaube die moralische Entwicklung hemmt, weil er Menschen an Dogmen oder einfache Strickmuster bindet, anstatt dass sie für sich selbst ethische Lösungen ausarbeiten.
Fundamentalistische Religionen könnten die moralische Beurteilungsfähigkeit untergraben. Menschen, die ‚wissen‘, dass ihre Seelen gerettet sind, könnten sich nicht weiter darüber scheren, wer durch ihre Handlungen in dieser Welt verletzt wird. Eine Roper-Studie kam zu dem Ergebnis, dass Menschen mit höherer Wahrscheinlichkeit betrunken fahren, illegale Drogen nehmen und verbotenen Sex haben, nachdem sie ‚wiedergeboren‘ wurden.
Religiöse Menschen sind Minderheiten gegenüber intoleranter.
Eine Studie von 2006 kam zu dem Ergebnis, dass die Industriestaaten mit einem höheren Anteil an religiös Gläubigen mehr Morde, Teenager-Schwangerschaften und Geschlechtskrankheiten aufweisen.
Betrügereien waren an religiösen Schulen häufiger (63 gegen 47 Prozent).”
Die meisten dieser Unterschiede lassen sich darauf zurückführen, dass sich religiöse Menschen für besser halten als Atheisten und sich gerade darum schlechter betragen, die Auswirkung einer positiven moralischen Identität (ich nenne das den "Heuchler-Effekt"). Dazu gehört die höhere Neigung zu betrügerischem und rücksichtslosem Verhalten, sowie die Intoleranz gegenüber Minderheiten. Die ethische Zurückgebliebenheit von Fundamentalisten fällt in die selbe Kategorie. Sie meinen, bereits die absolute Wahrheit über ethisches Verhalten zu besitzen und spulen diese einfach ab, anstatt darüber nachzudenken und abzuwägen, was jeweils ethisch geboten ist.
In den nächsten Teilen geht es um die ganz großen Fragen: Sind atheistische oder religiöse Gesellschaften glücklicher und friedlicher? Warum ist das so? Liegt Religiosität in der menschlichen Natur? Gibt es einen Zusammenhang zwischen Religiosität und Intelligenz? Und schließlich: Warum existiert die Religion eigentlich noch?
Index
Religion: Die neuesten Erkenntnisse (1)
Religion: Die neuesten Erkenntnisse (2)
Religion: Die neuesten Erkenntnisse (3)
Religion: Die neuesten Erkenntnisse (4)
Andreas Müller
(Danke an Rolf Degen für die vielen Tipps und Hinweise.)