The New Atheism

Die Natur der Natur

Unser Multiversum (Nature.com)Hier widmet sich Stenger einer näheren Erläuterung des Materialismus, wobei man auch eine Einführung in die Grundlagen der Physik bekommt, in der Masse, Energie, Beschleunigung, Kraft und so weiter anschaulich erklärt werden. Hierauf erläutert Stenger einige kosmologische Modelle und die Bedeutung von Elementarpartikeln. Theologen setzen Gott in die Singularität vor dem Urknall ein, obwohl Stephen Hawking schon vor 20 Jahren feststellte, dass die Singularität nicht wirklich existierte. Stenger bevorzugt ein Modell, wo ein früheres Universum, in der die Zeit von uns aus betrachtet rückwärts ablief, mit Hilfe eines Quantentunnels in unser aktuelles Universum übergegangen ist.

Die Natur der Psyche

Das nächste Kapitel befasst sich mit der "Synapse" von GasboyenNatur unserer Psyche, die Stenger ebenfalls rein materialistisch beschreibt. Er vermutet, dass Theologen ihren Gott in diese letzte Lücke stopfen werden, weil im Bereich der Evolution nichts mehr zu holen ist. Zu dem Kapitel gehören auch Ausführungen über den freien Willen, wo Stenger eine kompatibilistische Interpretation anbietet: Eine Version des freien Willens ist vereinbar mit dem Determinismus, auf dessen Grundlage zwar nicht die ganze Welt, aber wahrscheinlich unser Gehirn funktioniert. Er vermutet, dass deterministisches Chaos die Quelle unserer Kreativität sein könnte. Stenger sagt, Quantenprozesse spielten im Gehirn keine Rolle, weil es eine zu hohe Temperatur hat und weil die relevanten Teile zu groß sind. Ich fand dieses Kapitel sehr viel klarer formuliert als Thomas Metzingers Ego-Tunnel, das kompliziert geschrieben ist und eine hohe Dichte an Fachbegriffen und ausufernden Schachtelsätzen enthält, dafür geht Metzinger mehr in die Breite.

Der Weg der Natur

In diesem Kapitel widmet sich Stenger in größerem Detail als am Anfang den „Weisen der Achsenzeit“ (900-200 v. 0). Dabei geht es in erster Linie um die östlichen Philosophien im Indien und Griechenland, vor allem Taoismus, Buddhismus und Konfuzianismus. Nachdem er diese Philosophien vorgestellt hat, nimmt sich Stenger kritisch das vor, was er „Quanten-Spiritualität“ nennt, eine Richtung der New-Age-Esoterik, die sich durch eine missverstandene Quantenphysik legitimiert.

Nun setzt er sich mit der Spiritualität von Sam Harris (Autor von Das Ende des Glaubens) auseinander, die er insofern kritisiert, als er bezweifelt, dass Meditation zu neuen Erkenntnissen führen kann (eine ähnliche Kritik hat Daniel Dennett formuliert). Stenger glaubt, dass sich durch Meditation das Gefühl für das „Selbst“ reduzieren lasse, was vielleicht mit geringerer Hirnaktivität im rechten Scheitellappen zusammenhänge. „Aber tut das nicht zu früh“, empfiehlt er. „Lebt zuerst.“ In der Tat bekommt man immer wieder den Eindruck, als ob Stenger im Grunde gar nicht viel von dieser Selbsterkenntnis-Meditations-Sache hält und sie nur anspricht, um die spirituell geneigten Naturalisten zu erreichen. Er betont aber auch die überwiegende Weltlichkeit von wichtigen Strömungen der östlichen Philosophie.

Die Zukunft des Atheismus

Der Darwin CodeDas letzte Kapitel dreht sich um die Frage, wie es nun weitergehen soll. Hier geht Stenger auf den Ursprung der Religion ein und vertritt ziemlich genau die selbe Theorie, wie sie Thomas Junker und Sabine Paul im „Darwin-Code“ vertreten. Es gibt also kein Gottes-Gen und Religion entstand mit der Neolithischen Revolution. Sie diente Machteliten als Mittel zur Kontrolle und Unterjochung der Menschen. Meine Kritik daran ist entsprechend identisch mit der Kritik an der Darwin-Code-Erklärung: Die Priestertrugs-These greift zu kurz, dafür ist eine zeitgleiche Entstehung der Religion mit der Entstehung der Landwirtschaft plausibel.

Ich verstehe Religion als Produkt einer dysfunktionalen Gesellschaft, das aus individualpsychologischer Perspektive ein mögliches Ergebnis persönlicher Unsicherheit sein kann (wie auch der Glaube an eine starke Regierung), siehe dazu Religion: Die neuesten Erkenntnisse. Stenger geht ebenfalls auf die erste Studie ein, die eine starke Korrelation zwischen Einkommensunterschieden (führen zu persönlicher Unsicherheit) und Religiosität aufzeigt, aber er bestreitet, dass diese Korrelation kausal ist und von allzu umfassender Bedeutung. Das könnte man allerdings ebenso von der „Korrelation“ zwischen einer Kugel, die eine andere anstößt und der Fortbewegung der getroffenen Kugel sagen, also ist auch ein Skeptizismus am Kausalitäts-Skeptizismus angemessen.

Stengers Gegenargument lautet, dass zum Beispiel die weißen, evangelikalen Megakirchen-Besucher in der Regel wohlhabend sind. Das stimmt zwar, aber man geht davon aus, dass große Einkommensunterschiede jeweils die Gesamtgesellschaft psychologisch beeinflussen, also auch wohlhabende Individuen, wenn auch in geringerem Maße als die Unterschicht. Je höher die Einkommensunterschiede, desto höher der Irrsinnsgrad einer Gesellschaft, was die USA im Vergleich zu den skandinavischen Ländern illustriert.

Stenger weist aber mit Recht auch auf die Bedeutung anderer Faktoren wie der amerikanischen Geschichte hin, um die hohe Religiosität der USA zu erklären. Es folgt ein Vergleich der religionsfreien modernen Demokratien mit den religiösen. Die religionsfreien (wie die genannten skandinavischen Länder), schneiden in jeder Hinsicht sehr viel besser ab. Religionsfreie moderne Demokratien sind von höherer gesellschaftlicher Gesundheit und höherem Lebensglück gekennzeichnet.

Fazit

Ich kann The New Atheism bedingungslos empfehlen. Victor Stenger hat ein Buch vorgelegt, das den Neuen Atheismus sinnvoll definiert, das Agnostiker und allzu versöhnliche Atheisten von ihren letzten Illusionen befreit und das zur Bildung einer neuen Aufklärungsbewegung beiträgt. Leider gibt es das Buch nur in Englisch, also kommt man nicht umhin, diese Sprache zu lernen, um es lesen zu können.