Die Scheipis

Foto_Nico_Ostermann.jpg

Diskussionen / Foto: Nico Ostermann

WIEN. (hpd) Die österreichische Politik erklärt sie zu Versagern, halben Idioten und zu den Schuldigen an den überfüllten Hörsälen. Die deutschen Studierenden. Die haben sich mit aktivem Engagement an den Protesten an Österreichs Unis zumindest vor ihren Kolleginnen und Kollegen rehabilitiert.

 


Ein Bericht von Christoph Baumgarten

Scheipi. Eine Abkürzung, deren Bedeutung der deutsche Kabarettstar Dirk Stermann erst lernen musste. Die Abkürzung für „Scheiß-Piefke“. Diese wenig schmeichelhaften Bezeichnung für Deutsche wurde in den vergangenen Wochen immer wieder an österreichischen Stammtischen auf die etwa 20.000 Studierenden angewandt, die den aus ihrer Sicht unzumutbaren Studienbeschränkungen in Österreichs nördlichem Nachbarland entflohen sind. Die „Kronen Zeitung“, Österreichs größte Tageszeitung, liebäugelte kurz und unentschlossen mit dem Feindbild des deutschen Berufsdemonstranten, der die heimischen Studierenden radikalisiere. „Numerus-Clausus-Flüchtlinge“ sagen vergleichsweise vornehm österreichische Politikerinnen und Politiker. Und eher eine der harmloseren Bezeichnungen, die die heimische Politik für deutsche Studierende hatte. Wenn auch nicht gerade schmeichelhaft. Subtext: Zu dumm, um daheim zu studieren. Jetzt kommen sie zu uns und atmen den österreichischen Studierenden den Sauerstoff weg. Jedenfalls die, die aus selbstsüchtigen Motiven oder zumindest ihre schiere Präsenz verantwortlich seien für die Hörsäle, in denen Studierende seit Jahren keine Sitzplätze bekommen.

Das ist bestenfalls die halbe Wahrheit. Die Zahl deutscher Studierender hat sich in etwa verdreifacht, seitdem deutsche Staatsbürger keinen Universitätsplatz mehr nachweisen müssen, um an österreichischen Unis studieren zu dürfen. Von etwas mehr als 6. auf aktuell etwa 20.000. Weniger als zehn Prozent der Studierenden in Österreich. Abgesehen von einzelnen Fächern bzw. Unis kaum der Massenansturm, der für die österreichische Uni-Misere verantwortlich ist. In der Publizistik in Wien teilen sich 400 Studierende einen Professor. Das war vor zehn Jahren nur unwesentlich besser. Auch die mittlerweile wieder abgeschafften Studiengebühren brachten dem Institut keine zusätzliche Professur. Und deutsche Studierende sind dort eher ein vernachlässigbares Problem. Hier hapert es an allem. Die Institutsbibliothek hat oft nur ein einziges Exemplar eines Standardwerks. Und das hat meist schon irgendein Studierender ausgeborgt. Was deutsche Studierende dafür können, hat die österreichische Politik nicht schlüssig erklären können.

Das hindert deutsche Studierende nicht daran, bei den Uni-Protesten oft an erster Stelle zu stehen. „Wir sitzen in denselben Hörsälen wie die Kolleginnen und Kollegen aus Österreich“, bringt es ein junger Geschichtsstudent aus Köln auf den Punkt. Er war einer der ersten Audi Max-Besetzer in Wien. Im Presseraum sind oft mehr Deutsche beschäftigt, die Öffentlichkeit über das Geschehen in den besetzten Hörsälen zu informieren, als Österreicherinnen und Österreicher. Facebook, Twitter, StudiVZ und andere Plattformen kennen keine Aversionen gegen bundesdeutsche Akzente, wie sie oft an österreichischen Stammtischen gepflegt werden. „Mag sein, dass deutsche Studis die Situation an manchen Instituten verschärft haben. Der alleinige Auslöser sind sie aber nicht“, sagt Stefan, SPÖ-Aktivist und Studierenden-Sympathisant. Bei vielen Studierenden hat sich die Stimmung gedreht. Haben sie vor Wochen oft noch selbst über die „Piefke“ geschimpft, sehen sie heute, dass ihre Probleme damit zu tun haben, dass die Politik die Unis nicht ausreichend finanziert. Die Bewegung hat die Studierenden nachhaltig politisiert.

Einen wesentlichen Beitrag haben die deutschen Studierenden selbst geleistet. Indem sie den Kampf um bessere Studienbedingungen nicht den heimischen Kolleginnen und Kollegen überlassen haben. Sie kämpften sicht- und hörbar mit. Oft waren und sind sie unter den ersten auf den Barrikaden. Auch das hat Eindruck gemacht. Zumindest bei denen, die sie gehört haben.

Ob sich das bis zu den österreichischen Stammtischen herumsprechen wird, ist nicht sicher. Gut möglich, dass man hier auch in einigen Monaten noch über die „Scheipis“ schimpft. Anderereits: So viel Aufmerksamkeit und Sympathie hat die breite Öffentlichkeit noch selten für Studierenden-Proteste gezeigt wie diesmal. Gut möglich, dass man mittlerweile auch am Stammtisch weiß, dass man den deutschen Studierenden nicht die Alleinschuld an der Unimisere geben kann. Sondern eher denen, die für die Unis verantwortlich sind. Den Wissenschaftsministerinnen- und ministern der vergangenen zehn Jahre etwa.