Afghanistan

Talib kritisiert Bildungsverbot für Frauen

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Mohammad Sher Abbas Stanikzai (dritter von rechts) in Doha, Katar (2020)
Mohammad Sher Abbas Stanikzai

Mohammad Sher Abbas Stanikzai ist aus Afghanistan geflohen. Der ranghohe Taliban hat sich weit aus dem Fenster gelehnt und das Bildungsverbot für Mädchen kritisiert. Stanikzai sollte dafür in Haft genommen werden, bekam Reiseverbot. Er schaffte es zu fliehen. Exil-Afghaninnen wissen, Stanikzai kann gar kein richtiger Taliban sein, er war mal Funktionär in der kommunistischen Partei, die seit Ende der 1970er bis zum Zusammenbruch der Sowjets in Afghanistan geherrscht hat. Hat ihn dann doch sein altes Gewissen gebissen?

In einem Akt des Widerstands hat der hochrangige Taliban-Beamte Mohammad Sher Abbas Stanikzai das repressive Bildungsverbot für Mädchen in Afghanistan verurteilt. Stanikzai warnte seine Glaubensbrüder, dass sie "20 Millionen Menschen Unrecht tun". Selbst zur Zeit des Propheten Mohammed seien "die Türen des Wissens" sowohl für Männer als auch für Frauen offen gewesen. Der öffentliche Widerspruch war ein Skandal: Der oberste Taliban, Hibatullah Akhundzada, erließ sofort einen Haftbefehl gegen Stanikzai und verhängte eine Reisesperre. Der Geächtete war schneller, er floh in die Vereinigten Arabischen Emirate, bevor er verhaftet werden konnte.

Exil-Afghaninnen kennen ihn als Kommunist

Über die Vergangenheit des hochrangigen Talibans wird aktuell in den Sozialen Medien gestritten. Auf der offiziellen Webseite der Taliban steht, dass Stanikzai aus der einflussreichen paschtunischen Sippe der Stanikzai stammt. Er wurde 1963 in der Provinz Logar geboren. Er hat in Kabul Politikwissenschaften studiert. Angeblich soll er während des sowjetisch-afghanischen Krieges gemeinsam mit den Mudschaheddin gegen die von den Sowjets eingesetzte Regierung in Kabul und gegen die Russen gekämpft haben. Daran zweifeln viele Exil-Afghaninnen. Viele kennen Stanikzai aus der Uni-Zeit in den 1970ern und wissen: Er war ein Kommunist.

Sonntags wurde Marx gelesen

Eine ehemalige Nachbarin von Stanikzai erzählt, wie sie gemeinsam in die Schule gegangen sind, wie sich Stanikzai sonntags immer mit seiner kommunistischen Lesegruppe getroffen hat. Ob er damals religiös gewesen sei – Kommunist sei ja nicht immer gleichzusetzen mit Atheist –, fragt die Interviewerin. Er sei ein "richtiger" Kommunist gewesen, antwortet die Frau. 1978 übernahm die kommunistische Demokratische Volkspartei Afghanistans (DVPA) die Macht in Afghanistan. Die DVPA wurde unter dem Einfluss der Sowjetunion gegründet. Sie spaltete sich früh in zwei rivalisierende Flügel: die Chalqi und die Parchami. Die Chalqi waren radikal und mehrheitlich paschtunisch. Stanikzai soll Chalqi gewesen sein.

Wer gegen die Sowjets war, wurde verfolgt

Die sozialistische Regierung startete eine radikale Transformation in Afghanistan: Enteignung von Landbesitzern, Kampf gegen Islamismus und Konservative, Vertreibung der alten Eliten und eine unerbittliche Jagd auf alle Menschen, die sich gegen den Einfluss der Sowjets aussprachen – egal ob von rechts oder von links. 1979 bis 1989 war die DVPA das Marionettenregime Moskaus. Die Sowjets zogen 1989 ab, doch die Partei konnte sich mit sowjetischer Militärhilfe bis 1992 halten. Der Vorsitzende der DVPA, Mohammed Nadschibullah, wurde gestürzt und nach einigen Machtkämpfen der Warlords übernahmen die Taliban 1996 die Macht. Der Wind wechselte in Richtung Islamismus und einige DVPAler, die unter den Sowjets Kommunisten waren, wechselten ihr Fähnchen und wurden strenge Muslime.

Sein Vorteil: Er spricht Englisch

So auch Stanikzai: Der Bärtige hatte während der ersten Herrschaft der Taliban verschiedene Regierungsämter inne: Er war stellvertretender Außenminister sowie stellvertretender Gesundheitsminister. Weil er Englisch spricht, übernahm er häufig die Kommunikation mit internationalen Medien. 1996 reiste er als Außenminister nach Washington, um von der Clinton-Regierung die Anerkennung der Taliban-Regierung zu erbitten. Im Januar 2012 fuhr Stanikzai nach Katar, um bei der Eröffnung eines politischen Büros der Taliban in dem Land mitzuwirken. Bis 2021 lag die Kommunikation mit den US-Amerikanern in seinen Händen, wie er selbst erzählt. Inzwischen ist er eine "Persona non grata" für die Taliban. Das war's dann wohl mit der steilen Karriere.

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