„...und irgendetwas gab es immer nicht.“

„Der Häuserkomplex Leipziger Straße, in dem Sie nun im 31. Jahr arbeiten, war im DDR-Staatsbesitz? Nach 1989 sind viele Menschen von einem Haus in das Nachbarhaus gezogen. Worin lag der Sinn?“

„Ja, es war Staatsbesitz und der Bund hat sechs Häuser übernommen. Die Umzüge waren ganz normal. Nach der Wende wurden die Wohnungen erst nur an Bundesbedienstete vermietet. 1995 hat die Sanierung begonnen. Erst kam die Außenfassade. Die Balkone wurden verkleidet als Wintergarten. Angefangen wurde Leipziger Straße 63 und 62 und so ging es bis zur Nummer 60. Die Mieter wurden umgesetzt, ein Haus nach dem anderen leer geräumt.


„Jedes Haus für sich ist groß, 13 Stockwerke. Insgesamt rund 800 Wohnungen, dann die Geschäftsräume. Waren so viele Mieter ausgezogen, dass dann mit den Umsetzungen ein ganzes Haus geräumt werden konnte?“

„Nach der Wende sind die Leute schlagartig ausgezogen. Dann wurde saniert. Gedämmt, Badezimmer, Fliesen - eben alles modernisiert. Die Vermutung von Asbest-Verseuchung hat sich nicht bewahrheitet.
Wenn ein Haus fertig war konnten die Mieter sich entscheiden, ob sie in die ehemalige Wohnung zurück oder bleiben wollten. Die Modernisierung hatte Hand und Fuß. Die Mieten wurden nicht zu teuer rauf gesetzt. Ich fand das gut so.“

„Kamen bei den Räumarbeiten Überraschungen aus Stasi-Hinterlassenschaften zu Tage?“

„Na, ja, zum Beispiel in der Wohnung eines ZDF-Korrespondenten war ein Durchbruch zur Nachbarwohnung und hinter der Tapete wurde abgehört, was der Korrespondent gesprochen hatte. Es wusste doch keiner, welche DDR-Bürger alle für die Stasi gearbeitet haben und die zum Beispiel sind nach der Wende schlagartig ausgezogen.“

Das Sperrgebiet

„Noch einmal zurück zu der Zeit vor dem 9. November 1989. Wie war es, sich so nahe der Mauer und des Potsdamer Platz aufzuhalten?“

„Na, bis zur Mauer kam man nicht. Wilhelmstraße, also vor dem Potsdamer Platz, war Schluss. Dort war die Wendeschleife für die Busse. Danach war Sperrgebiet, da durfte man nicht rein und hat auch nichts gesehen. Ganz von weiten war eine Mauer zu sehen, aber das war nicht die richtige Mauer, das war nur eine Vor-Mauer. Die Mauer selbst haben wir nur im West-Fernsehen gesehen. Das gleiche auch in Altglienicke, wo ich jetzt wohne, da war früher die Köpenicker Straße, nach der Wende umbenannt in Neudecker Weg und der führt nach Rudow. Auch dort war ein Sperrgebiet. Wer dort hin zur Arbeit musste oder dort wohnte, der hatte einen speziellen Ausweis und wenn Besuch kommen wollte, das ging auch nur mit einem speziellen Ausweis, der zu beantragen war. Mit vielem kann man sich arrangieren, zumal wenn man dort Zuhause ist“.


„Ihre erste Reise, Herr Schumann, wohin ging sie?“

„Nach der Wende? Nach Italien, Gardasee, 17 Stunden Fahrzeit, da waren wir bedient.“

„ Im Trabi?“

„17 Stunden im Reisebus.“


„1989-1990 war das schon mehr als eine spannende Zeit?“

„Ja, klar - schön, spannend, die Leute haben uns herzlich empfangen. Ich fand’s gut. Man konnte in der Zeit so viel erleben, alles Mögliche war neu und jeder hat es anderes erlebt. Morgens kam von allen Seiten: Hast du dieses und das schon gesehen, den Botanischen Garten, den Funkturm, Kino, das Ku-Dorf…. es gab vieles zu verarbeiten. Was ist heute – jeder ist sich wieder selber der nächste, alles ist ein bisschen kühler. Mein Sohn zum Beispiel, der hat diese Probleme nicht, die hängen mehr in meiner eigenen Generation und wir sterben irgendwann aus und dann ist Berlin Berlin.“

Das ist Dieter Schumann. Danke für dieses Gespräch.

Die Fragen stellte Evelin Frerk.

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Die anderen Gespräche:

Gespräch 5: „Der Baum der Verwandlung blüht ewig.“

Gespräch 3: "Findet eine Revolution statt, wird doch gearbeitet“

Gespräch 2: „Wir waren zwar alle aufgeklärte Marxisten...“

Gespräch 1: „Leben im Wandel des ‚Systems'"