„Führungsrolle in der internationalen Politik“

(hpd) Peter Rudolf, Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik, legt in „Das ‚neue’ Amerika. Außenpolitik unter Barack Obama“ eine erste Bilanz zum Thema vor. Der Band zeichnet sich durch analytische Breite, hohen Informationsgehalt und differenzierte Wertungen aus.

Nach gut einem Jahr Präsidentschaft scheint langsam die Akzeptanz von Obamas Außenpolitik in der US-amerikanischen Öffentlichkeit zu schwinden. Auch in Europa wachsen die skeptischen Stimmen, hatten sich doch viele Beobachter mehr von dem Nachfolger des wenig geschätzten George W. Bush versprochen. Doch wie angemessen sind diese kritischen Stimmen? Berücksichtigen sie genügend die Rahmenbedingungen, welche auch einem US-Präsidenten Grenzen aufzeigen? Oder ignorieren sie gar die eigentliche außenpolitische Grundorientierung Obamas? Diesen Fragen geht Peter Rudolf, Leiter der Forschungsgruppe Amerika der Stiftung Wissenschaft und Politik, in seinem Buch „Das ‚neue’ Amerika. Außenpolitik unter Barack Obama“ nach. Es handelt sich dabei nicht nur um die erste deutschsprachige Gesamtdarstellung zum Thema. Rudolfs Studie hebt sich durch seine allgemeine analytische Perspektive auch qualitativ von den tagespolitischen Kommentaren zu einzelnen Politikfeldern ab.

Zunächst wird dabei an zwei mitunter ignorierte Sachverhalte erinnert: Obama ist US-Präsident und vertritt US-Interessen. Dies prägt auch das von ihm formulierte ambitionierte Projekt: „die Erneuerung und Wiederherstellung der amerikanischen Führungsrolle in der internationalen Politik“ (S. 12). Und: Der US-Präsident mag der mächtigste Mann der Welt sein, er ist aber eben auch nicht allmächtig – noch dazu, wenn er in seinem Land grundlegende Reformen umsetzen will. Denn: „Das System ist eher auf die Verhinderung als auf die Durchsetzung politischen Wandels ausgelegt“ (S. 25). Bei Obamas politischem Selbstverständnis kommt noch hinzu, dass er mit seine Absage an die Auswüchse der „imperialen Präsidentschaft“ seines Vorgängers auch den Machtanspruch des Präsidentenamtes mindern will. Und hinsichtlich der Gestaltung der Außenpolitik stellt es mitunter auch ein Problem dar, dass der US-Kongress in entsprechenden Fragen eine einzigartig starke Rolle spielen und dem Präsidenten seine Grenzen aufzeigen kann.

Führung durch das eigene Beispiel

Nach den Ausführungen zu diesen bedeutenden innenpolitischen Rahmenbedingungen geht Rudolf ausführlich auf die außenpolitische Grundorientierung Obamas ein und skizziert die Unterschiede zur Bush-Administration. Gegenüber den Folgen von deren Politik will der neue Präsident „die internationale Führungsrolle der USA ... erneuern, eine Führungsrolle, die – wenn sie mehr sein soll als ein leerer Anspruch – davon abhängt, ob andere Staaten wieder Vertrauen, wieder Zuversicht in die Führungsrolle der USA fassen“ (S. 37f.). Dies bedeute aber auch Führung durch das eigene Beispiel, um so die Wahrnehmung der Politik des eigenen Landes im positiven Sinne zu verändern. Rudolf beschreibt dafür zunächst allgemein die deklaratorische, konzeptionelle und instrumentelle Ebene des Wandels. Danach geht er ausführlich auf wichtige Politikfelder ein: die Abrüstungs- und Klimapolitik, die Politik im Nahen und Mittleren Osten und den Krieg in Afghanistan und Pakistan. Gegen Ende werden noch die Folgen von Obamas Außenpolitik für die deutsche Amerikapolitik erörtert.

Rudolf legt mit seinem Buch eine erste breiter angelegte und inhaltlich tiefgründige Analyse zum Thema vor. Der Autor lässt sich darin auch nicht von positiven oder negativen Zerrbildern der Person Obamas blenden: Deutlich betont er die Inhalte von dessen eigentlicher Agenda zur Erneuerung einer legitimen Führungsrolle und die politischen Fesseln durch das politische System und die internationale Weltkonstellation. Gegen die oberflächliche Kritik, welche in Obama nur einen guten Redner sieht, verweist Rudolf darauf, dass damit die Bedeutung deklamatorischer Politik und ihrer kommunikativen Funktion sträflich vernachlässigt werde. Obamas beabsichtigte Rückbesinnung deutet der Autor zutreffend auch als traditionell instrumentell bedingt, um die Verbündeten hier stärker mit in die Verantwortung zu nehmen. Von daher hätte man sich auch eine ausführlichere Erörterung des deutsch-amerikanischen Interessenverhältnisses gewünscht. Gleichwohl schmälert dieser Einwand nicht den hohen Analyse- und Erkenntniswert des Buchs.

Armin Pfahl-Traughber

Peter Rudolf, Das „neue“ Amerika. Außenpolitik unter Barack Obama, Frankfurt/M. 2010 (Suhrkamp-Verlag), 168 S., 10,00 €