Abschied von der Willensfreiheit?

 

Die Willensfreiheit in Frieden lassen?

Insgesamt ergibt sich, dass wir zwar versuchen könnten, die deterministische Willens-Unfreiheit an eine breite Bevölkerung zu vermitteln, was von einem gewissen Erfolg gekrönt sein könnte, wenn wir konsequent die Fatalismus-Falle vermeiden und vorzugsweise auch die falschen Schlussfolgerungen der Inkompatibilisten. Jedoch ist die Gefahr, missverstanden zu werden, sehr groß, bedenkt man insbesondere, dass selbst fast alle empirischen Wissenschaftler, die sich mit dem Thema befasst haben, nicht wussten, was sie da untersuchen. Wie kann man es also von der breiten Bevölkerung erwarten? Zudem tappen Philosophen ja selbst oft in allerlei Fallen, wenn es um die Willensfreiheit geht. Kurz gesagt gibt es Wichtigeres zu tun für die Aufklärung. Intellektuelle können die Debatte im hermetisch abgeriegelten Elfenbeinturm fortführen, bis sie zumindest einmal herausgefunden haben, worüber sie sich eigentlich streiten.

Für diese Position ist in den letzten Wochen Unterstützung von Wissenschaftlern und Philosophen aufgetaucht, die sich ernsthaft mit der Debatte rund um die Willensfreiheit beschäftigt haben. Einer von diesen ist Richard Holton vom MIT. In seiner Arbeit "Determinism, Self-Efficacy and the Phenomenology of Free Will" stellt er fest: "Ich behaupte also, dass die Lektüre von Passagen über den Determinismus tendenziell den Zweifel des Subjekts an den Auswirkungen seiner eigenen Bemühungen erhöhen wird. Vor allem wird es dazu führen, dass sie denken, ein Kampf gegen ihre eigenen Neigungen wäre sinnlos."

In der Tat ist das wohl kaum, was wir anstreben sollten. Weitere Bedenken führen die Philosophen Maria de Caro und Andreas Lavazza in ihrem Fachartikel "Not so Fast. On Some Bold Neuroscientific Claims Concerning Human Agency" an:

 

"Es könnte sinnvoll sein zu wiederholen, dass wir keineswegs die Nützlichkeit, noch weniger die Legitimität, der Anwendungen der Neurobiologie bei der Untersuchung des menschlichen Geistes bezweifeln. Im Gegenteil gibt es absolut keinen Zweifel, dass diese Anwendungen äußerst erfolgreich sind. Unser Ziel hier war nur die Feststellung, dass man große Vorsicht walten lassen sollte, wenn es um Fragen der menschlichen Urheberschaft geht, bevor man kühne philosophische, politische und gesellschaftliche Schlussfolgerungen aus neurologischen Entdeckungen zieht, deren korrekte Interpretation und deren Wert noch immer extrem kontrovers sind."

 

Auch in dieser Artikelreihe sind noch immer nicht alle großen Missverständnisse und Fehlinterpretationen über die Willensfreiheit aufgeklärt worden. Jetzt, wo die Debatte unweigerlich in der breiten Öffentlichkeit angekommen ist, wird das jedoch notwendig sein. Und, wie schon gesagt, muss sich niemand schämen, wenn er bei der Debatte nicht ganz mitkommt, denn die Wortführer aller Fraktionen kommen auch nicht mit. Im Übrigen ist natürlich auch diese Reihe weit von der Unfehlbarkeit entfernt, auch wenn ich diese ordnungsgemäß beim Vatikan beantragt habe (die lassen sich Zeit mit der Beurteilung!), und ich freue mich schon auf Korrekturen und Hinweise. Auf die Wichtigsten gehe ich erneut im nächsten Teil ein.

Im dritten Teil geht es unter anderem um die Macht unseres Bewusstseins, die von Inkompatibilisten über alle Maßen kleingeredet wird. Ich seziere die Libet-Studie und ihre Nachfolger und zeige erneut auf, warum diese Studien etwas ganz anderes gemessen haben, als es die Experimentatoren von ihnen behaupten.

 

Danksagung

Zum Dank verpflichtet bin ich, wie schon bei meiner religionswissenschaftlichen Artikelreihe, dem Psychologen Rolf Degen (Das Ende des Bösen). Er hat mich erneut mit wichtigen Materialien (und witzigen South-Park-Folgen) ausgestattet. Die Schlussfolgerungen aus diesen und anderen Studien repräsentieren jedoch ausschließlich meine eigene Meinung.

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Im Labyrinth der Willensfreiheit

Abschied von der Willensfreiheit?

Willensfreiheit 3: Das Marionettentheater

 

Andreas Müller