Missbrauch: Es ist alles seit Jahren bekannt

BERLIN. (hpd) Anlässlich der Vorfälle im Canisius-Kolleg brandet eine Welle der Berichte und Stellungnahmen zum Missbrauch in katholischen Einrichtungen durch die Medien, als wäre es die Neuigkeit des Neuesten und die volle Empörung angesagt. Es ist jedoch bereits alles seit Jahren bekannt. Eine Dokumentation des UN-Berichts der Initiative Kirche von unten (IKvu) aus dem Jahr 2003.

 

 

 

 

 

 

 

 

Römisch-katholische Kirche und Kinderrechtskonvention in der Bundesrepublik Deutschland

 
Ein NRO-Bericht
über die Behinderung der Konvention
durch das katholische Kirchenrecht
am Beispiel sexuellen Missbrauchs

von Verena Mosen (IKvu)

September 2003

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung
Zu diesem Bericht

Teil I. Deutschland und sexueller Kindesmissbrauch
Deutschland und die Kinderrechtskonvention
Sexueller Missbrauch und Ausbeutung im deutschen Recht
Die römisch-katholische Kirche und deutsches Recht

Teil II. Der Heilige Stuhl und Deutschland
Katholisches Kirchenrecht
Neues Gesetz fordert Verschwiegenheit und zentralisierte Rechtsverfahren
Der Vatikan und die römisch-katholische Kirche in Deutschland
Ermittlungen der deutschen katholischen Bischöfe bei sexuellem Missbrauch

Teil III: Die römisch-katholische Kirche in Deutschland und die Einhaltung der
inderrechtskonvention durch die Bundesrepublik Deutschland
Innere Widersprüche
Widersprüche zum deutschen Recht

Empfehlungen
An die deutsche Bundesregierung
An die UN-Kommission für die Rechte des Kindes
An den Heiligen Stuhl
An die römisch-katholische Kirche in Deutschland

Anhang Überblick über angezeigte Fälle von Kindesmissbrauch
durch Geistliche in Deutschland (1993-2002)

Einleitung

Im Mai 2002, anlässlich der Sondersitzung der UN Generalversammlung zur Situation von Kindern, legte die Nichtregierungsorgansiation (NRO) Catholics for a Free Choice (CFFC) der UN-Kommission für die Rechte des Kindes einen Bericht über das weltweite Problem des sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen durch katholische Geistliche und Ordensleute vor. Ein zweiter und ausführlicherer Bericht wurde dem Komitee im Oktober 2002 in Genf unterbreitet. Diese Berichte sollen die Kommission in ihrer umfassenden Überprüfung der Rechtslage und Rechtsauslegung durch den Vatikan unterstützen, sowie in Ermittlungen darüber, inwiefern durch geltendes Kirchenrecht die Gesetze anderer Staaten, die die Kinderrechtskonvention unterzeichnet haben, in Mitleidenschaft gezogen werden.

Da das vatikanische Recht dem deutschen Recht zum Schutz des Kindes widerspricht, ist die Einhaltung der in der Konvention vereinbarten Verpflichtungen in Deutschland gefährdet. Folglich legen Catholics for a Free Choice (CFFC), die Initiative Kirche von unten (IKvu) und die Kirchenvolksbewegung Wir sind Kirche (WsK) diesen Bericht der bundesdeutschen Regierung sowie der UN-Kommission für die Rechte des Kindes vor, um deutlich zu machen, dass das Recht des Heiligen Stuhls mit deutschem Recht unvereinbar ist.
Als Folge dessen sehen sich Kinder fortwährend potentiellem Missbrauch und Ausbeutung durch katholische Geistliche ausgesetzt. Die drei für diesen Bericht verantwortlichen Organisationen hoffen, dass dieser Bericht der UN-Kommission und der deutschen Regierung hilft, die Auswirkung des vatikanischen Rechts hinsichtlich Kindesmissbrauchs einschätzen zu können und die deutsche katholische Kirche nach deutschem Recht und nach der ratifizierten UN-Konvention, die auch durch den Vatikan unterzeichnet wurde, in die Verantwortung zu nehmen.

Der deutschen katholischen Kirche und der ständigen Vertretung des Vatikan in Genf wird ebenfalls eine Kopie dieses Berichtes mit der Aufforderung unterbreitet, der deutschen Regierung und der UN-Kommission bezüglich unserer ausgedrückten Besorgnis Bericht zu erstatten.

Zu diesem Bericht

Dieser Bericht gibt einen Überblick über deutsches sowie über vatikanisches Recht und deren Auswirkungen auf die Einhaltung der Kinderrechtskonvention und die Rechte von Kindern. Er konzentriert sich auf sexuellen Missbrauch und die Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen durch deutsche ordinierte römisch-katholische Priester und Ordensleute, die Verschleierung dieses Missbrauchs und darauf, wie bisher mit Missbrauchsfällen - unter Verletztung der deutschen Gesetze zum Schutz von Kindern - umgegangen wurde. Am Ende wird dargelegt, dass der Vatikan von Missbrauchsfällen wusste und damit auch Verantwortung für die Einhaltung des deutschen Rechts sowie der Kinderrechtskonvention trug, um Kinder in Deutschland vor solchem Missbrauch zu schützen.

Der Vatikan, Staat und Regierung der römisch-katholischen Kirche, ist kein Mitglied der Vereinten Nationen, hat aber einen ständigen Beobachterstatus. Als einer der ersten Staaten trat er im Jahre 1990 der Kinderrechtskonvention bei und hielt die Weltgemeinschaft dazu an, die Durchsetzung dieser Konvention voranzutreiben. Durch seinen Beitritt akzeptierte der Vatikan die in der Konvention festgeschriebenen Verbindlichkeiten und stimmte zu, sie in die Praxis umzusetzen, um das Wohl der Kinder weltweit zu fördern.

Die katholische Kirche zählt mehr als 1 Milliarde Gläubige weltweit, das ist ein Sechstel der Weltbevölkerung. In Deutschland bekennen sich ca. 33% der Bevölkerung zum römisch- katholischen Glauben. Viele der Gesundheitseinrichtungen und Schulen werden direkt durch die katholische Kirche betrieben. Gemeinsam mit den protestantischen Kirchen ist sie in Deutschland der zweitgrößte Arbeitgeber. In Anbetracht dieses beträchtlichen Einflusses, den die katholische Kirche auf Kinder in diesem Land hat, sollte dem Staat die Einhaltung der Kinderrechtskonvention durch die römisch-katholische Kirche ein wichtiges Anliegen sein.

Seit 1995 wurde in den Medien weltweit über viele tausend Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs durch katholische Geistliche berichtet, einige davon auch in Deutschland. Da die Initiative Kirche von unten (IKvu) diese Situation - ebenso wie die KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche (WsK) - seit Jahren kritisch beobachtet, ist sie besonders geeignet, diesen Bericht über den Einfluss des Vatikans auf die deutsche Einhaltung der Konvention zu verfassen. Die IKvu untersucht sexuellen Missbrauch an Minderjährigen durch Kirchenangestellte in Deutschland und hat hierzu bereits viele Erklärungen verfasst. Da sie eine ökumenische Organisation ist, bezieht sie sich nicht nur auf die römisch-katholische, sondern auch auf die protestantischen Kirchen in Deutschland. Hintergrundinformationen, Schlussfolgerungen und Erklärungen der IKvu und anderer Organisationen sowie eine Aufstellung veröffentlichter Kindesmissbrauchsfälle können auf der Homepage der IKvu in einem Sonderbericht zu sexuellem Missbrauch eingesehen werden.

Im letzten Jahr richtete WsK außerdem eine Nothilfe für Missbrauchsfälle ein. Opfer von Missbrauch können sich für eine Beratung an die Organisation „Zypresse“ (+49 180 3000862) wenden. Hier werden sie ernst genommen und es werden erste hilfreiche Schritte mit ihnen besprochen.

I. Deutschland und sexueller Kindesmissbrauch

Deutschland und die Kinderrechtskonvention

Die UN-Kinderrechtskonvention wurde am 20. Januar 1990 ratifiziert. In Deutschland wurde sie am 5. April 1992 rechtskräftig.

Im jüngsten Bericht an die UN-Kommission für die Rechte des Kindes (1994-1999), führte das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend an, dass die Situation der Kinder recht gut sei, wies dabei aber durchaus auf weiterhin existierende Herausforderungen hin: Zitat: „Die meisten Kinder leben unter guten Bedingungen. Allerdings gibt es Kinder, die von Armut, chronischer Krankheit betroffen sind und unter schlechter Behandlung, Missbrauch oder Vernachlässigung leiden und Kinder, die in materiellem Wohlstand leben, aber auf der Gefühlsebene verkümmert sind.“ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugendliche: „Bericht der Bundesrepublik Deutschland an die Vereinten Nationen in Übereinstimmung mit Artikel 44, Abschnitt 1, Buchstabe (b) der Kinderrechtskonvention“, S. 8)

Was die Situation von sexuellem Missbrauch und Ausbeutung von Kindern in Deutschland betrifft, so verzeichnet das Bundesministerium im Berichtszeitraum Verbesserungen in der Gesetzgebung und in speziellen Programmen, vor allem auch ein Programm zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch, Kinderpornografie und Sextourismus. Während des berichteten Zeitraums (1994-1999) wurde Deutschlands Strafrecht reformiert. Im Juni 1994 wurde das Gesetz zur Verjährung sexueller Straftaten dahingehend geändert, dass Opfer auch nach Verjährung einer Straftat noch vor Gericht gehen können. Seit 1998 werden Opfer besser geschützt und es gibt heute eine verbesserte Überwachung sowie therapeutische Fürsorge vor Ort. Trotz dieser rechtlichen Verbesserungen besteht noch immer ein Defizit in der praktischen Umsetzung.

Sexueller Missbrauch und Ausbeutung im deutschen Recht

Als Unterzeichnerstaat der UN-Kinderrechtskonvention hat die Bundesrepublik Deutschland in ihr Strafrecht für jede/n deutsche/n Staatsbürger/in bindende Maßnahmen festgeschrieben. In Fällen von sexuellem Kindesmissbrauch durch katholische Geistliche oder Angestellte der Kirche ist vor allem Artikel 174b des deutschen Strafrechts relevant. Hiernach macht sich eine Person strafbar, die ein öffentliches Amt bekleidet und ihre Amtsautorität zum Missbrauch von Abhängigen ausnutzt. Allerdings gibt es keinen Unterparagraphen, der speziell auf Missbrauch durch Geistliche oder Therapeut(inn)en eingeht. Des Weiteren bezieht sich Artikel 332c des Strafrechts allgemein auf unterlassene Hilfeleistung; im Falle von sexuellem Missbrauch an Minderjährigen drohen Haftstrafen bis zu einem Jahr. Allerdings gibt es keine genauere Regelung bezüglich der Fälle, in denen jemand von einem sexuellen Übergriff durch einen Dritten erfährt und einen solchen Missbrauch den staatlichen Behörden nicht zur Kenntnis bringt. Dies ist wohl immer dann der Fall, wenn die Hierarchie der römisch-katholischen Kirche eine Straftat verschleiert, um ihre Angestellten und den Ruf der Kirche zu schützen, ehe sie sich um das Wohl des Opfers kümmert.

Die römisch-katholische Kirche und deutsches Recht

Das Staatskirchenrecht reguliert die Beziehungen zwischen den deutschen staatlichen Behörden und den Kirchen, religiösen Gemeinschaften und Organisationen, deren Mitglieder eine besondere Weltanschauung teilen. Es stellt sicher, dass die Kirchen dem staatlichen Recht verpflichtet sind, soweit es ihre Verfassung, eigenen Gesetze und Verordnungen sowie Verträge zwischen Staat und kirchlichen Autoritäten betrifft. In Deutschland existieren zwei Sorten Recht nebeneinander: das staatliche Verfassungsrecht und das Kirchenrecht, in diesem Falle der Codex Iuris Canonici oder das Kanonische Recht, welches die internen Gesetze der römisch-katholischen Kirche regelt.

In Deutschland erkennt die Regierung Kirchen, religiöse Gemeinschaften und Organisationen mit besonderer Weltanschauung als öffentliche Körperschaften an.
Sie sind unabhängig vom Staat und - außer in spirituellen Fragen - unterstehen sie dem staatlichen Verfassungsrecht.

Die Rechte von Kirchen und religiösen Gemeinschaften umfassen die Anerkennung als Körperschaften öffentlichen Rechts, das Erheben von Kirchensteuern, den Besitz von Kircheneigentum und einige Vergünstigungen durch den Staat. Folglich betrachten sich die Kirchen als integraler Bestandteil der Gesellschaft. Als Folge der Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus genießen Kirchen, religiöse Gemeinschaften und Organisationen mit besonderer Weltanschauung besonderen Schutz vor der Aufsicht und Gewalt staatlicher Behörden.

Die deutsche Verfassung garantiert
• Freiheit des religiösen Glaubens
• Freiheit der Religionszugehörigkeit
• Freiheit des Gewissens
• Freiheit der Religionsausübung

Diese Garantien bedeuten nicht, dass Angehörige und Angestellte von Kirchen, religiösen Gemeinschaften oder Organisationen vom staatlichen Recht ausgenommen wären. Der in das Grundgesetz übernommene Artikel 136 der Weimarer Reichsverfassung besagt, dass staatsbürgerliche Rechte und Pflichten durch die Ausübung der Religionsfreiheit nicht beschränkt sind; Artikel 137 betont, dass es in Deutschland keine Staatskirche gibt. Absatz 3 in Artikel 137 besagt, dass jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten innerhalb des für alle deutschen Staatsbürger/innen geltenden staatlichen Rechts selbständig ordnet und verwaltet. Folglich unterliegt die römisch-katholische Kirche als öffentlich-rechtliche Körperschaft der Verfassung ebenso wie dem Strafrecht, und zwar sowohl hinsichtlich ihrer Rechte wie auch ihrer Pflichten.

Im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch bedeutet dies, dass die Artikel 174-182 des deutschen Strafgesetzes zu sexuellem Missbrauch, sexueller Nötigung und Vergewaltigung für die römisch-katholische Kirche und ihre Mitglieder ebenso bindend sind wie für jede andere Institution oder Person, die Teil der deutschen Gesellschaft ist. Dies betrifft auch Artikel 332c, wonach jemand, der von einer unzüchtigen Handlung Kenntnis erlangt, dem Opfer zu helfen hat und die Straftat der Polizei oder dem Staatsanwalt anzuzeigen hat. Bei Nichtbefolgung liegt eine Straftat vor.

II. Der Heilige Stuhl und Deutschland

Katholisches Kirchenrecht

Wenn Deutschland und die UN-Kommission die deutschen Gesetze zum Schutz des Kindes evaluieren, ist auch das katholisches Kirchenrecht einzubeziehen, um sicher zu stellen, dass dieses den deutschen Staat nicht an der Einhaltung der Kinderrechtskonvention hindert. Darüber hinaus kann nur bei Kenntnis und Verständnis des katholischen Kirchenrechts die deutsche römisch-katholische Kirche dem eigenen Recht entsprechend in die Pflicht genommen werden.

Das kanonische Recht („Kodex“) liefert die rechtliche Basis nicht nur für die Gesetzgebung des Vatikans (physische und territoriale Basis des Heiligen Stuhls), sondern beschreibt auch die für alle Katholiken in der ganzen Welt bindenden, grundlegenden und disziplinarischen Vorschriften der römisch-katholischen Kirche. Das kanonische Recht erkennt in einigen Abschnitten die Rechte der Kinder an und schreibt fest, dass sexueller Missbrauch an Kindern durch Geistliche und Ordensleute unvereinbar mit Kinderrechten ist.

Zunächst stellt der Kodex - ebenso wie die UN-Konvention über die Rechte des Kindes - fest, dass die Volljährigkeit mit achtzehn Jahren eintritt. Laut Kodex obliegt die Ausübung der Kindesrechte vor Erlangung der Volljährigkeit den Eltern oder dem Vormund des Kindes (obwohl in einigen Fällen das Kindesrecht der elterlichen Autorität vorausgeht, wie z.B. im Falle von Kindsmisshandlung).

Der Kodex erklärt einige Grundrechte für den Schutz und die Verteidigung des Kindes. Er sagt ganz klar, dass Katholik(inn)en in Einklang mit dem Gesetz einen Anspruch darauf haben, ihre Rechte in einem kompetenten kirchlichen Forum zu verteidigen. Ebenso definiert der Kodex die Beziehung zwischen Menschen im Verhältnis zu ihrer hierarchische Beziehung innerhalb der Kirche. Der Papst hat die oberste, volle, direkte und universelle Macht in der katholischen Kirche inne. Er allein billigt Gesetzesänderungen im kanonischen Recht; er ist der direkte Vorgesetzte der Bischöfe. Der Papst ist also auch der Vorgesetzte der Bischöfe in Deutschland.

Die Bischöfe einer Diözese überwachen die Lebensführung der ihnen unterstehenden Priester. Wo es angemessen ist, greifen sie sogar ein. Diese Männer sind gehalten, auf die Einhaltung des Rechts zu achten und üben legislative wie judikative Funktionen aus. Der Kodex befähigt Diözesanbischöfe, bei Vergehen gegen den priesterlichen Zölibat und sexuelle Enthaltsamkeit Verordnungen herauszugeben und Urteile zu verhängen. Der Bischof ist Exekutive, Legislative und Judikative in allen Angelegenheiten der Diözese. In den meisten Fällen liegt die Verantwortung bei Fällen von sexuellem Missbrauch an Kindern durch Geistliche zunächst bei den Diözesanbischöfen, letztlich aber beim Vatikan.

Der Kodex des Vatikan besagt in seinem Abschnitt zum Strafrecht ausdrücklich, dass sexuelle Handlungen an Minderjährigen durch Geistliche ein schweres Verbrechen darstellen. Sie sind entsprechend zu ahnden, gegebenenfalls sogar mit Entlassung aus der Geistlichkeit - was als die schwerste Strafe für einen Priester angesehen wird. Der Kodex beschreibt in der Folge ein detailliertes Gerichtsverfahren zur Untersuchung solcher Anschuldigungen und zur Ahndung solcher Straftaten. Dieses Verfahren enthält einige Mechanismen zum Schutz der Rechte des beschuldigten Priesters wie auch des Anklägers, ebenso Verfahrensbestimmungen, wenn ein Gerichtsverfahren angestrengt wird. Laut Gesetz wird dem Opfer von Missbrauch garantiert, an einem Rechtsverfahren teilzuhaben, Entschädigung verlangen und erhalten zu können. Es sieht sogar eine Strafe wegen Fahrlässigkeit vor, die zur Geltung kommt, wenn ein Vorgesetzter es versäumt hat, ihm angezeigte Fälle von gerichtlich verfolgbaren Straftaten zu untersuchen oder zu ahnden. Zusätzlich zu diesen Regelungen erlaubt das Rechtssystem des Heiligen Stuhls einem Vorgesetzten, in ungeheuerlichen Fällen direkt den Heiligen Stuhl anzurufen, so dass schnell und ohne langwieriges Prozessverfahren eine Strafe verhängt werden kann.

Spezielle Gesetze gelten für Katholiken, die Mitglieder von Institutionen geweihten Lebens sind, gleich ob weltlich oder religiös. Viele solcher Institutionen sind als „religiöse Orden“ bekannt, wie z.B. die Dominikaner, die Franziskaner, die Jesuiten, die Christlichen Brüder oder religiöse Frauenorden. Hier sieht der Kodex bei bestimmten Straftaten eine zwingende Entlassung aus der Institution vor (allerdings sieht der Kodex auch vor, dass im Falle sexueller Straftaten der hierarchische Vorgesetzte den Täter nicht entlassen muss, wenn der Vorgesetzte entscheidet, dass auf andere Art und Weise Gerechtigkeit wieder hergestellt werden und der Skandal ausgeglichen werden kann). Solche Verbrechen sind Mord, Entführung und sexuelle Handlungen unter Anwendung von Gewalt und Drohungen, besonders wenn diese öffentlich stattfinden oder an Minderjährigen verübt werden. Neben dem Kodex haben diese Organisationen ihre eigenen Verfassungen und Verhaltensregeln. Die Oberen in den jeweiligen Institutionen sind dafür verantwortlich, dass das Recht von den Mitgliedern ihrer Institution eingehalten und befolgt wird. Alle Gesetze, die sich auf den sexuellen Missbrauch an Kindern durch Geistliche beziehen, sowie die Behörden vor Ort, die für die Einhaltung dieser Gesetze sorgen sollen, unterstehen nun direkt einem Amt des Heiligen Stuhls.

Neues Gesetz fordert Verschwiegenheit und zentralisiertes Rechtsvorgehen

2001 veröffentlichte der Heilige Stuhl ein Dokument mit dem Titel Sacramentum sanctitatis tutela [Englische Fassung]. Es beinhaltet eine kaum öffentlich gemachte, aber bedeutsame Gesetzesänderung. Mit diesem Dokument, welches die entsprechenden Normen des Kirchenrechtes ersetzt, weist der Heilige Stuhl alle Bischöfe an, eine seiner Behörden, die Kongregation für die Glaubenslehre (Glaubenskongregation), zu informieren, sobald sie von einem Fall potentiellen sexuellen Kindesmissbrauchs durch einen Geistlichen erfahren. Das gleiche Gesetz verbietet Bischöfen und anderen kirchlichen Dienststellen, ohne direkte Weisung durch einen Vertreter des Vatikan Maßnahmen zu ergreifen, die über eine erste Untersuchung der Anschuldigungen hinausgehen.

Gemäß dem neuen Gesetz kann diese vatikanische Behörde nach eigenem Ermessen selbst eine Untersuchung durchführen oder kann der lokalen ausführenden kirchlichen Behörde diesbezüglich Weisung erteilen. Diese Fälle, so will es das Gesetz, „unterliegen dem pontifikalen Geheimnis“. Dies ist Ausdruck der höchsten Stufe von Vertraulichkeit des Heiligen Stuhls - knapp unterhalb der absoluten Verschwiegenheit sakramentalen Rangs. Sie ermächtigt den Heiligen Stuhl, gleich welche Partei zu bestrafen, die Informationen über sexuellen Missbrauch durch Geistliche öffentlich macht. Des Weiteren bestimmt das Dokument, dass niemand außer einem Priester mit einem Verfahren zu sexuellem Missbrauch befasst sein darf. Diese Bestimmungen lassen Zweifel bezüglich der Integrität der kirchen-internen Verfahren sowie Fragen nach Konflikten mit der jeweiligen staatlichen Rechtsprechung, der die Kirchenangehörigen unterstehen, aufkommen.

Die neuen rechtlichen Ausführungen stellen zwei Dinge klar: (1) Der Heilige Stuhl beansprucht offen, solche Fälle selbst zu behandeln, und (2) der Heilige Stuhl beabsichtigt nicht wirklich die Einhaltung der Kinderrechtskonvention. (Er umgeht durch seine Verschwiegenheitsklausel die Regulierungen zur Anzeige nach Artikel 44 der Konvention, er verletzt gesetzesmäßige Anstrengungen zur Einhaltung der Konvention anderer Unterzeichnerstaaten wie Deutschland, er veranlasst zu Gunsten seiner eigenen neuen geheimen Vorgehensweise die Umgehung ihrer Gesetze).

Im Allgemeinen sieht der Heilige Stuhl in Fällen von sexuellem Missbrauch Wiedergutmachung und einen gewissen Schutz für Kinder vor, ebenso die Bestrafung von Geistlichen und Ordensleuten, die sich sexuell an Kindern vergreifen. Allerdings nützt ein Gesetz wenig, wenn es nicht angewendet wird. Viele kanonische Gesetze berühren diese Angelegenheiten; sie wurden fortwährend ignoriert, und zu Gunsten der kirchlichen Ämter und ihres institutionellen Ansehens ungenügend oder falsch angewandt.

Der Vatikan und die römisch-katholische Kirche in Deutschland

Seit die Krise des sexuellen Missbrauchs in der Kirche öffentlich wurde, hat der Vatikan gerechtfertigterweise in Erklärungen die Handlungen misshandelnder Priester verurteilt. In einem am Gründonnerstag 2002 veröffentlichten Dokument (Johannes Paul II, „Schreiben des Heiligen Vaters Johannes Paul II. an die Priester zum Gründonnerstag 2002“ (4. April 2002)) wandte sich der Vatikan direkt an die deutschen Bischöfe. Das Dokument befasst sich mit dem Sakrament der Buße und wie diese angenommen werden soll - weder zu streng noch zu locker. Der Beichtvater sollte gut vorbereitet sein, sich persönlich mit dem Beichtenden treffen und für ihn Verantwortung übernehmen. Vor allem sollte der Beichtvater selbst einen guten Charakter haben und Vorbild sein, besonders bezüglich der angesprochenen Vergehen! Der Heilige Stuhl bringt weiterhin vor, dass Priester, welche die Gnade ihrer Weihe verrieten und schwerwiegende Skandale in der Kirche verursachten, auf die Gemeinschaft aller Priester ein zweifelhaftes Licht werfen, auch auf jene, die über alle Anschuldigungen erhaben sind.

Trotz ihrer Schärfe und Gefühlsbetontheit zeigen die Erklärungen doch nicht die Verbindlichkeit, die von Unterzeichnerstaaten der Konvention zu erwarten ist. Die volle Verpflichtung gegenüber und die Einhaltung der Konvention erweist sich erst bei der Betrachtung der Handlungen der jeweiligen Partei und der Vorgehensweise, die im Umgang mit Missbrauch angewandt werden.

Im September 2002 veröffentlichte die Deutsche Bischofskonferenz neue Richtlinien zum Umgang mit sexuellem Missbrauch an Minderjährigen in der Kirche (Deutsche Katholische Bischofskonferenz, „Zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz. Leitlinien mit Erläuterungen“ (26. September 2002)). Die Richtlinien beziehen sich auf verschiedene kirchliche Verfahrensweisen. Sie sind eine Reaktion auf die pontifikale Verschwiegenheit, wie sie im Sacramentum sanctitatis tutela eingefordert wird, und erkennen den Heiligen Stuhl als uneingeschränkte, unmittelbare und universelle Macht in der katholischen Kirche an, ebenso wie die Tatsache, dass Bischöfe auf Anweisung des Vatikans zu handeln haben.

In der Einleitung zu den Richtlinien betonte die Deutsche Bischofskonferenz ihr Mitgefühl für die Opfer von sexuellem Missbrauch durch Geistliche. Allerdings schien den Bischöfen im Haupttext der Schutz ihrer Angestellten und das Ansehen der Kirche in Deutschland wichtiger zu sein als Aussöhnung, Entschädigung oder therapeutische Hilfe für die Opfer. Lediglich in der Einleitung, Abschnitt 5 (Hilfen für Opfer und Täter) und Abschnitt 7 (Öffentlichkeitswirksame Maßnahmen) beziehen sich die Bischöfe überhaupt auf die Opfer. Der gesamte restliche Text der Richtlinien konzentriert sich auf die Täterperspektive.

Den Richtlinien folgend erscheint es, dass die Diözesanbischöfe und der Vatikan der Opferperspektive keine hohe Priorität einräumen. Es gibt keine Anweisung, während der Untersuchungen direkt mit dem Opfer zu kommunizieren. Erst wenn die Anschuldigungen durch die mit der Untersuchung beauftragten Angestellten der Diözese, durch den Bischof der Diözese und dann durch die Glaubenskongregation bewiesen werden, wird überhaupt ein persönlicher Kontakt zwischen der Kirche und dem Opfer hergestellt. Die Richtlinien sehen nicht einmal vor, dass der Täter selbst die Tat bereuen sollte - oder der Diözesanbischof, der mit dem spirituellen Wohlergehen der Mitglieder seiner Diözese betraut ist -; diese Aufgabe kommt einem bischöflichen Delegierten zu, der mit dem Opfer und dessen Familie sprechen und um Entschuldigung für das Vergehen bitten soll.

Ermittlungen der deutschen katholischen Bischöfe bei sexuellem Missbrauch

Als Oberhaupt der Diözese benennt der Bischof eine Person aus den Reihen der amtskirchlichen Struktur der Diözese zur Bildung eines Untersuchungsausschusses. Dieser kann - muss aber nicht - Experten wie Rechtsanwälte, Ärzte oder Psychotherapeuten umfassen. Die Experten können unabhängig von Diözesanstrukturen arbeiten oder Teil der kirchlichen Hierarchie sein. Namen und Aufgaben der Ausschussmitglieder sind in angemessener Form zu veröffentlichen.

Jede von der katholischen Kirche in einer Diözese angestellte Person ist gehalten, dem Bischof oder dem designierten Ermittler Missbrauchsfälle anzuzeigen. Der Untersuchungsausschuss akzeptiert keine anonym erhobenen Anschuldigungen. Der Ausschuss beginnt eine Untersuchung, in der zunächst der Täter, nicht das Opfer kontaktiert wird. Das Gespräch, dem ein unabhängiger Jurist beiwohnt, wird aufgezeichnet. Nachdem der Bischof der Diözese unterrichtet wurde, beschließt er, welche Unterstützung dem Täter zukommen soll und ob der Fall öffentlich gemacht wird. Bei seiner Entscheidungsfindung muss der Bischof den Ruf des Priesters schützen, für das Opfer sorgen und das Ansehen der Kirche bewahren. Wenn die Anschuldigung erhärtet wird, muss, dem Kirchenrecht folgend, eine Voruntersuchung eröffnet werden. Diese Voruntersuchung erfolgt gemäß den Bestimmungen nach canon 1717 CIC: Im Laufe einer solchen Untersuchung muss die Entscheidung getroffen werden, ob der Täter für die Dauer des Verfahrens von seinen Ämtern suspendiert oder ob er lediglich beurlaubt wird. Wenn die Voruntersuchung die Anschuldigung bestätigt, wird der Fall in die Hände des Vatikan übergeben und unter dem Schirm der Glaubenskongregation fortgeführt.

Dieses Vorgehen bedeutet, dass die Untersuchung ab diesem Zeitpunkt dem pontifikalen Geheimnis unterliegt, wie in Sacramentorum sanctitatis tutela vorgesehen. Dies bedeutet auch, dass die römisch-katholische Kirche in Deutschland gemäß ihrem eigenen Recht nicht verpflichtet ist, staatlichen Behörden Missbrauchsfälle anzuzeigen, damit diese Untersuchungen durchführen könnten. Dies ist eine direkte Verletzung des deutschen Rechts, vor allem von Artikel 332c.

Ein Missbrauchsfall in der römisch-katholischen Kirche wird der Polizei oder staatlichen Behörden erst dann angezeigt, wenn er nicht bereits verjährt ist. Nur in solchen Fällen, die angezeigt und somit öffentlich werden, erwähnen die Richtlinien die Opferperspektive. Der vom Bischof der Diözese bestimmte Ermittler muss das Opfer dahingehend beraten, wo er/sie therapeutische oder pastorale Hilfe bekommen kann, und der Täter muss sich wegen des Missbrauchs bei dem Opfer entschuldigen. Nur in einzelnen, von den Richtlinien nicht näher benannten Fällen kann für die Beratung des Opfers eventuell eine finanzielle Hilfe bereit gestellt werden. Die Diözese muss Hilfe anbieten, um „Irritationen zu beseitigen“, sowohl des Opfers als auch für den Täter. Falls Beweise vorliegen, dass eine unzüchtige Handlung durch einen Geistlichen ausgeübt wurde, untersteht diese Person kirchlichem Strafrecht. Dies kann eine Form von Buße oder eine andere Form von kirchlicher Strafe sein, die vom Diözesanbischof oder der Glaubenskongregation ausgesprochen wird. Nur in einigen Fällen muss der Geistliche suspendiert werden.

Nachdem der Täter seine Strafe verbüßt hat, darf ihm keine Aufgabe mehr zugeordnet werden, bei der er mit Minderjährigen in Kontakt kommt. Er muss mit dem bischöflichen Ermittler in Kontakt bleiben und bei ihm Rat suchen. Die Öffentlichkeit muss angemessen informiert werden, wobei die Privatsphäre des Täters und des Opfers zu wahren sind.

III. Die römisch-katholische Kirche in Deutschland und die Einhaltung der Kinderrechtskonvention durch die BRD

Innere Widersprüche

Es gibt offensichtliche Widersprüche bezüglich des Anspruchs des Heiligen Stuhls auf Umsetzung der Konvention für die Rechte der Kinder, wenn man seine politische Verfahrens- und Vorgehensweise in Fällen von sexuellem Missbrauch durch Priester und Geistliche in Ländern wie Deutschland betrachtet.

In seinem Bericht an die UN-Kommission für die Rechte des Kindes von 1994 erwähnte der Vatikan sexuellen Missbrauch an Kindern in der Kirche mit keinem Wort, obwohl das Thema schon zum Skandal in der Kirche geführt hatte. Angesichts der schon lange andauernden Problematik körperlichen und sexuellen Missbrauchs durch Kirchenvertreter und Ordensleute in der ganzen Welt ist es beunruhigend, dass sich der Heilige Stuhl zumindest vorsätzlich ignorant, wenn nicht schuldhaft nachlässig verhält, was sexuellen Missbrauch durch Kirchenvertreter angeht, und institutionelles Schweigen zu Lasten der Kinder, die zu schützen die Kirche vorgibt, vorzieht. Nichts weist darauf hin, dass kirchliche Dienststellen Verfahren weltlichen oder kirchlichen Rechts nutzten, noch dass der Heilige Stuhl zum Einhalten des eigenen Rechts oder der Konvention ermutigte, obwohl Amtsträger des Heiligen Stuhls sehr wohl die Brisanz des Problems erkannt haben.

In Deutschland kamen Bischöfe ihrem Anspruch, für die Opfer sexuellen Missbrauchs zu sorgen und die Konvention einzuhalten, nicht nach. Es gibt einige offensichtliche Widersprüche und Unzulänglichkeiten in den früheren politischen Leitlinien der deutschen Bischöfe. Bischof Holst aus der Diözese Hildesheim gibt in einem Interview zu: Zitat:„Sicherlich hat die Kirche wenig getan um auf Fälle von sexuellem Missbrauch zu reagieren.....Es war aber auch mein Fehler zu denken, es genüge, wenn der Täter in ein Kloster geschickt würde, um hier für seine Tat zu sühnen“. (Presseamt der Diözese Hildesheim: Interview mit Bischof Holst, veröffentlicht auf der Homepage der Diözese)

Es ist daran zu zweifeln, ob die Deutsche Bischofskonferenz etwas aus jüngsten Vorfällen gelernt hat. In den Richtlinien der Bischöfe finden sich einige eklatante Widersprüche. Und mit Ausnahme von Bischof Holst erkennen nur wenige die Notwendigkeit an, solche Fälle direkt an staatliche Behörden weiterzuleiten, so dass diese Fälle unabhängig und objektiv untersucht werden könnten. Die Politik bezüglich sexuellen Missbrauchs unterliegt dem pontifikalen Geheimnis; lang andauernde kirchliche Ermittlungen werden von Personen durchgeführt, die nicht bei den staatlichen Behörden arbeiten. Dies macht es unmöglich, effektive, unabhängige und transparente Untersuchungen durchzuführen. Die Zusammensetzung kirchlicher Untersuchungsausschüsse, die sich mit Fällen sexuellen Missbrauchs befassen, ist mehr als fraglich. In den meisten Diözesen wird der Personalbeauftragte der Diözese vom Bischof dazu bestimmt, die Untersuchungen zu Fällen sexuellen Missbrauchs durchzuführen.

Widersprüche zum deutschen Recht

Wie zuvor beschrieben, besteht nach dem deutschen Strafrecht eindeutig eine rechtliche Verpflichtung, Fälle sexuellen Missbrauchs staatlichen Behörden anzuzeigen, sowie Opfern von unzüchtigen Angriffen beiseite zu stehen, sobald man hiervon erfährt. Die Praxis der Deutschen Bischofskonferenz mit Blick auf sexuellen Kindesmissbrauch steht nicht im Einklang mit deutschem Recht, denn es findet ein langer Prozess innerhalb der römisch-katholischen Kirche statt, ehe der Kontakt zum Opfer aufgenommen wird, falls dies überhaupt geschieht. Dies impliziert, dass die römisch-katholische Kirche einige Zeit Kenntnis von einer verdächtigen unzüchtigen Handlung hat, ehe sie staatliche Dienststellen informiert. Die Kirche ist durch ihre eigenen Richtlinien gehalten, kanonisches Recht und das neue Gesetz des Heiligen Stuhls zur Verschwiegenheit zu befolgen. Das kanonische Recht führt aus, dass die Glaubenskongregation die absolute Autorität über die Untersuchungen und Beschlüsse hinsichtlich von Beschuldigungen wegen sexuellen Missbrauchs an Kindern in der Kirche inne hat. Dies sollte für die Bundesrepublik Deutschland ein schwerer Grund zur Besorgnis darstellen, da das Recht und die Rechtspraxis des Heiligen Stuhls den deutschen Staat daran hindern, die Kinderrechtskonvention in vollem Umfang umzusetzen.

Empfehlungen

An die deutsche Bundesregierung

  • In ihren Berichten an die UN-Kommission sollte Deutschland auch Informationen über das Ausmaß sexuellen Missbrauchs durch Geistliche einbeziehen und darüber, welche Maßnahmen die deutsche Regierung unternommen hat, um Kinder vor zukünftigen sexuellem Missbrauch oder Ausbeutung durch Kirchenangehörige zu schützen.
  • Deutsche Behörden sollten eine Analyse des Rechts des Heiligen Stuhls und im Vergleich zur deutscher Gesetzgebung vornehmen und Felder aufzeigen, in denen die katholische Kirche in Deutschland unter Umständen der deutschen Gesetzgebung zum Schutze des Kindes zuwider handelt.
  • Um die Kinderrechtskonvention in Deutschland umzusetzen, sollte die Regierung sich dazu entschließen, die Konvention in das deutsche Grundgesetz zu integrieren, wie dies von vielen Organisationen und Lobbyisten angestrebt wird, nicht zuletzt auch vom deutschen Parlament und der nationalen Kinderrechtskommission.

An die UN-Kommission für die Rechte des Kindes

  • Wenn sich am 6. Oktober 2003 Vertreter/innen der deutschen Bundesregierung mit der UN-Kommission treffen und dann im Januar 2004 der UN-Kommission der Bericht der Bundesregierung vorgelegt wird, sollte die UN-Kommission wegen Vorfällen von sexuellem Missbrauch durch Geistliche nachfragen und die deutsche Regierung um Aufklärung bitten, wie deutsches Strafrecht die Amtsträger der katholischen deutschen Kirche und andere kirchliche Führungskräfte in Fällen von sexuellem Missbrauch und der Ausbeutung Minderjähriger zur Verantwortung zieht. Die deutsche Regierung sollte gefragt werden, welche Maßnahmen sie ergriffen hat, um das Ausmaß solcher Fälle zu untersuchen und ein wiederholtes Vorkommen zu verhindern.
  • Die UN-Kommission sollte die Bundesregierung anhalten, Wege zu suchen, die katholische Kirche gemäß ihren Strafgesetzen in Deutschland zur Verantwortung zu ziehen, vor allem entsprechend jener Gesetze, die den Schutz von Kindern vor Missbrauch zum Ziel haben und die im Widerspruch zum Verschwiegenheitsgesetz des Heiligen Stuhls stehen.

An den Heiligen Stuhl

  • Der Heilige Stuhl, einer der Unterzeichnerstaaten der Kinderrechtskonvention, kommt seinen Verpflichtungen nicht nach. Der Vatikan hat der UN-Kommission seine Berichte für 1997 und 2003 noch nicht vorgelegt. Er sollte dies unverzüglich nachholen und hierin einen ausführlichen Bericht über das Ausmaß von Kindesmissbrauch durch Geistliche und Ordensleute, verbunden mit einem konkreten Maßnahmenkatalog ablegen, um zukünftig Missbrauch effektiv zu verhindern. Der Heilige Stuhl sollte der deutschen Regierung ebenso einen Bericht vorlegen, um das Ausmaß von Fällen sexuellen Missbrauchs in Deutschland, sowie Maßnahmen, die der Heilige Stuhl ergreift um zukünftigen Missbrauch zu verhindern, zu veröffentlichen.
  • Zusätzlich sollte der Heilige Stuhl anderen Unterzeichnerstaaten aufzeigen, welche Maßnahmen er getroffen hat, um sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen durch katholische Geistliche und Ordensleute in den jeweiligen Ländern unmöglich zu machen, und welche Maßnahmen er für die Sicherheit der Kinder vorschlägt.
  • Der Heilige Stuhl sollte mit lokalen staatlichen Behörden zusammenarbeiten, indem er Beweismittel liefert und die Verfolgung katholischer Geistlicher unterstützt, die in den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen involviert sind.
  • Des Weiteren sollte der Heilige Stuhl in solchen Fällen seine Vorschrift der Verschwiegenheit aufheben. Er sollte in seinen eigenen Bestimmungen die Möglichkeit für Kinder und Jugendliche schaffen, dass sie oder ihre gesetzlichen Vertreter ihre Rechte in Anspruch nehmen und verteidigen können. Der Heilige Stuhl sollte ihnen prozessuale Integrität in innerkirchlichen gerichtlichen und außergerichtlichen Verfahren zusichern.
  • Der Heilige Stuhl sollte jenen Kirchenvertretern, die des Kindesmissbrauchs überführt wurden, jegliche Verbindung mit bzw. Anschluss an Aktivitäten und Organisationen verbieten, die ihnen erlauben würden, in die Nähe von Kindern zu gelangen; solche wären: Kirchengemeinden, Schulen, Kindertagesstätten, Freizeitgruppen und -aktivitäten (wie katholische Jugendgruppen oder Gruppen in Zusammenhang mit dem Weltjugendtag), Krankenhäuser, Beratungseinrichtungen, missionarische Aktivitäten bei Kindern und Jugendlichen, Seminare und Konvente (diese Aufzählung ist nicht vollständig und letztgültig abgeschlossen).
  • Um die Erreichung dieser Ziele zu unterstützen, sollte der Heilige Stuhl eine öffentlich zugängliche Datenbank einrichten und unterhalten, in der Geistliche und Ordensleute, die als Täter sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen überführt wurden, aufgelistet sind, so dass diese Täter nicht einfach den Einsatzort wechseln können, um den Folgen ihrer kriminellen Handlungen zu entgehen.

An die römisch-katholische Kirche in Deutschland

  • Die katholische Kirche in Deutschland sollte mit Regierungsbeamten zusammen arbeiten, um sicher zu stellen, dass sich die deutsche katholische Kirche im Falle von sexuellem Missbrauch in der Kirche an nationales Strafrecht hält.
  • Die katholische Kirche in Deutschland sollte finanzieller Verantwortung nicht ausweichen, sondern sollte dem Beispiel der katholischen Kirche in Irland folgen und finanzielle Verantwortung für jegliche Verpflichtung übernehmen, die aus Ansprüchen oder Urteilen zu Kindesmissbrauch durch katholische Geistliche oder Ordensleute entstehen.
  • Die katholische Kirche in Deutschland sollte Anspruchssteller in ihrem Bemühen unterstützen, Geistliche zu finden, um sie wegen sexuellen Missbrauchs zu belangen.
  • Die vorhandenen Richtlinien konzentrieren sich auf den Täter. Dies beunruhigt Organisationen, wie z.B. Jugendverbände, die auf dem Gebiet der Prävention von sexueller Gewalt arbeiten. Nicht nur für die Verbände, sondern auch für Kirchengemeinden, Ministrant/innen und kirchliche Schulen muss die Prävention sexueller krimineller Handlungen ein Thema sein. Jegliche Forderung gegen Geistliche wegen sexuellen Missbrauchs muss nicht nur mit finanziellen Mitteln unterstützt werden, sondern die Verfolgung der Täter muss auch integraler Bestandteil zukünftiger Programme werden.
  • In die Untersuchungsausschüssen der Diözesen zu sexuellem Missbrauch und Ausbeutung von Minderjährigen durch katholische Geistliche und Angestellte müssen unabhängige Personen und Beobachter/innen integriert werden, um einen angemessenen Schutz der Opfer zu gewährleisten. In dem Ausschuss sollten die Opfer von unzüchtigen Handlungen und deren Familienmitglieder sitzen.
  • Sämtliche Fälle sexuellen Missbrauchs sollten in einer Aufstellung veröffentlicht werden– unter Wahrung der Privatsphäre von Opfern und Tätern – einschließlich krimineller Fälle und solcher, die dem Heiligen Stuhl bekannt wurden.

ANHANG

Überblick über angezeigte Fälle von Kindesmissbrauch durch Geistliche in Deutschland (1993-2002)

Mit einem offiziellen Brief an jede Diözese in Deutschland bemühte sich die KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche um Informationen, um das Ausmaß von Fällen sexuellen Missbrauchs durch Kleriker der römisch-katholischen Kirche feststellen zu können. Dreizehn von insgesamt siebenundzwanzig Diözesen haben gar nicht geantwortet; andere antworteten, indem sie fast gleichlautende Presseinformationen zusandten. Selbst bei der Beantwortung der konkreten Frage zu der Anzahl bekannt gewordener Fälle in der jeweiligen Diözese gab es eine Standardantwort. Die übliche Antwort lautete, dass es sich um vereinzelte Fälle handele. Einige Diözesen gaben an, dass etwa ein Prozent aller geistlichen Frauen und Männer in der Diözese als Täter bekannt sind. Vergleicht man diese Angabe mit der Zahl, die an staatliche Dienststellen weitergegeben wurde, stellt sich die Frage ob die römisch-katholische Kirche in Deutschland wirklich ihrer Verpflichtung nachkommt, dem Staatsanwalt alle Fälle sexuellen Missbrauchs an Kindern durch Kirchenangehörige zu melden.

Während die internen und vertraulichen Verfahrensweisen des Heiligen Stuhls verhindern, dass eine umfassende Erfassung des Ausmaßes und der Schwere von Kindesmissbrauch durch katholische Geistliche und Ordensleute vorgelegt wird, liefert dieser Anhang eine Auswahl von Fällen:

• 1993: Ein 44-jähriger Priester aus der Region Bergstraße in Hessen wird wegen zwei Fällen von sexueller Nötigung für schuldig befunden und zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Er gestand, zwei Schwestern im Alter von 14 und 16 Jahren wiederholt missbraucht zu haben.
• 1994: Ein Priester aus Krefeld wurde zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, nachdem er einen neun-jährigen Jungen missbraucht hatte.
• 1995: Ein Priester aus der Nähe von München wird wegen Besitz von Kinderporno¬grafie suspendiert.
• 1995: Ein 67-jähriger Priester aus Hildesheim wird in den vorzeitigen Ruhestand versetzt, nachdem er eingestanden hat, mehrere Minderjährige sexuell belästigt zu haben. Wegen Verjährung gab es keine Untersuchung von Seite der Kirche.
• 1996: Ein 47-jähriger Priester aus Bayern wird wegen Anschuldigungen, er habe Minderjährige missbraucht, des geistlichen Amtes enthoben. Hiernach wurde der Strafprozess abgebrochen.
• 1998: Ein 67-jähriger Priester aus Baden-Württemberg wird zu einer Gefängnisstrafe von neun Monaten und einer Geldstrafe von 5000 DM verurteilt. Er hatte mehrmals Mädchen während des Religionsunterrichts missbraucht.
• 1999: Ein 39-jähriger Priester aus Baden-Württemberg wird zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt,, nachdem er des Missbrauchs an zwei Mädchen und einem Jungen in fünfundneunzig Fällen für schuldig befunden wurde.
• 2000: Ein katholischer Priester aus Bayern erhält eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von zwei Jahren wegen Missbrauchs an drei Jungen. Die Anschuldigung wurde von einem Vater während des Weihnachtsgottesdienstes ausgesprochen.
• 2000: Ein 45-jähriger Priester aus Baden-Württemberg und Mitglied eines konservativen Ordens wird wegen schweren sexuellen Missbrauchs zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Zwei Jungen wurden von ihm mehrmals zu sexuellen Handlungen gezwungen.
• 2002: Ein 40-jähriger Priester aus Bayern gesteht, einen Jungen missbraucht zu haben. Er erhält eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten und eine Geldstrafe von 2000 €. Die Kirche hat ihn von allen Ämtern suspendiert und dem Vatikan den Fall angezeigt. Dies war das erste Mal, dass eine solche Anzeige öffentlich bekannt wurde.
• 2002: Ein Priester der Diözese Mainz wird suspendiert, nachdem es über Jahre Anschuldigungen wegen sexuellen Missbrauchs gab. Der Vorsitzende der Katholischen Bischofskonferenz, Kardinal Lehmann von Mainz, kündigt an, dass er den Anschuldigungen unverzüglich und intensiv nachgehen wird.
• Aktuelle Fälle: Zwei neue Fälle wurden kürzlich bekannt. In der Diözese Münster/Westfalen wurde ein Diakon nach einer Sommerfreizeit wegen Verdachts sexuellen Missbrauchs an Kindern suspendiert. Seither gibt es von der Diözese Münster keine Verlautbarungen mehr hierzu (Stand: 23. August 2003). Die letzte Neufassung der Homepage der Diözese Münster fand am 30. August 2002 statt, hier wird das Interesse der Diözese an der Behandlung des Falls und an einer Veröffentlichung der Erkenntnisse bekräftigt.
In der Diözese Paderborn hat eine staatliche Untersuchung gegen einen 38-jährigen Priester begonnen, der beschuldigt wird, einen 13-jährigen Jungen missbraucht zu haben. Das Hauptgerichtsverfahren hat noch nicht eingesetzt.

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Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Initiative Kiche von unten (IKvu). Den aktualisierten Überblick findet man auf der Internetseite der IKvu. Der dokumentierte Bericht ist dort ebenfalls als .pdf und .rtf-Datei, sowohl in Deutsch wie in Englisch vorhanden.