"Butenland"

Tierrechts-Doku auf den Hofer Filmtagen ausgezeichnet

butenland_quer_ohne_text.jpg

2019 gingen sie zum 53sten Mal über die Bühne: die Internationalen Hofer Filmtage – sie zählen zu den weltweit renommiertesten Festivals für Non-Mainstream-Filme –, bei denen seit 1967 jedes Jahr Ende Oktober die ostoberfränkische Kleinstadt Hof für sechs Tage zum Nabel der Filmwelt avanciert. Vom 22.–27.Oktober wurden 141 Filme gezeigt, vorausgewählt aus rund 2.500 Einsendungen. Sämtliche Beiträge, darunter herausragende Arbeiten von Newcomern wie Lothar Herzog oder Sven Hill, waren als deutsche Erstaufführungen beziehungsweise Weltpremieren zu sehen.

Weltpremiere feierte auch der Dokumentarfilm "Butenland" des Münsteraner Regisseurs Marc Pierschel, bekannt nicht zuletzt durch seine Filme "Live and Let Live" (2013) und "The End of Meat" (2016). hpd-Autor Colin Goldner war in Hof mit dabei.

In ruhigen Einstellungen erzählt Pierschel von "Hof Butenland", einem ehemaligen Milchviehbetrieb auf Butjadingen, einer Halbinsel an der deutschen Nordseeküste. Mit der sehr persönlich gehaltenen Geschichte von Jan Gerdes und Karin Mück, die den Hof heute als Altenheim für ausrangierte Milchkühe betreiben, wirft er einen weit zurückreichenden Blick auf die Anfänge der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung und zeichnet zugleich das anrührende Bild einer real gewordenen Utopie: eines Ortes, an dem ehemalige landwirtschaftliche "Nutztiere" leben können, ohne irgendwelchen weiteren Nutzen erfüllen zu müssen.

Jan

Landwirtschaftsmeister Gerdes hatte den Hof Ende der 1970er von seinen Eltern übernommen, deren als "konventionell" geltenden Umgang mit Milchkühen als reine Renditeobjekte er nie gutheißen konnte. Als erster Bauer der Region stellte er seinen Betrieb auf biologische Landwirtschaft (nach Demeter-Richtlinien) um: Verkleinerung der Herde und damit Vergrößerung des Stallplatzes für jedes einzelne Tier sowie konsequente Abschaffung der Anbindehaltung; auch konnte er die neugeborenen Kälber etwas länger bei ihren Müttern belassen, anstatt sie ihnen kurz nach der Geburt schon wegnehmen zu müssen. Doch auch "bio", wie Jan erkennen musste, bedeutete für die Tiere letztlich keinen Unterschied: sobald die geforderte Milchleistung einer Kuh nachließ oder sie gesundheitliche Probleme bekam, wurde sie, oft schon im Alter von zwei, drei Jahren, geschlachtet. Milchbauer Gerdes konnte und wollte so nicht weitermachen. Sein Entschluss, komplett aus der prinzipiell nicht tiergerecht umsetzbaren "Milchviehhaltung" auszusteigen, stürzte ihn in eine tiefe existentielle Krise: Kühe weg, damit Einkommen weg, in der Folge Ehefrau und Kinder weg. An diesem absoluten Tiefpunkt seines Lebens fand Jan sich in einer psychologischen Reha-Maßnahme wieder. Dort traf er, wie das Leben so spielt, auf seine spätere Partnerin Karin Mück.

Karin

Anfang der 1980er: Karin, gelernte Psychiatrie-Krankenschwester, hatte an ihrem Arbeitsplatz in einem Hamburger Uniklinikum einen Blick in das hauseigene Forschungslabor werfen können und die unter indiskutablen Bedingungen dort gehaltenen und grausamsten Experimenten unterworfenen Versuchstiere gesehen: Hunde, Katzen, Affen, Schafe, Meerschweinchen, Mäuse … Ihr Entschluss stand fest: die Tiere müssen befreit werden, aus diesem und aus jedem anderen Labor. Mit einer kleinen Gruppe Gleichgesinnter brach sie nachts in verschiedene Labore und Versuchsanstalten ein, entwendete ein paar der Tiere und demolierte Laboreinrichtungen. Beim Versuch, ein noch nicht in Betrieb genommenes Großlabor in Brand zu setzen, wurde sie von einem Sondereinsatzkommando der Polizei geschnappt und kam in Isolations-U-Haft. Der seinerzeitige Generalbundesanwalt Kurt Rebmann, der die Tierbefreiungsaktionen als Terroranschläge gegen die Bundesrepublik Deutschland auf gleicher Ebene wie die der RAF wertete, zog die Sache an sich. Glücklicherweise fand Karin einen Richter, der ihre uneigennützige und rein tierethische Motivation erkannte und den Terrorismusvorwurf fallen ließ. Sie wurde zu 15 Monaten auf Bewährung verurteilt. Die Folgen der Isolations-U-Haft und des Prozessgeschehens verschlugen sie rein zufällig in eben jene Reha-Maßnahme, an der auch Jan teilnahm.

Kuhaltenheim

Gemeinsam beschlossen Jan und Karin, Hof Butenland zu einem Altenheim für ausrangierte Milchkühe umzugestalten. Von den ehedem sechzig Kühen aus Jans Milchviehbetrieb waren noch zwölf auf dem Hof, denen sie versprachen, auf Lebenszeit dort bleiben zu dürfen. Nach und nach kamen weitere Rinder aus schlechter Haltung hinzu oder solche, die vor dem Schlachter gerettet werden konnten. Mittlerweile beherbergt Hof Butenland neben fünfundvierzig Rindern auch in Not geratene Schweine, Hühner, Enten, Gänse, Hunde, Katzen, Pferde und Kaninchen: ein nachgerade paradiesisches Refugium für all jene, die das Glück hatten, dort zu landen.  

Marc Pierschels einfühlsamer Film fängt die beglückenden Momente auf Hof Butenland ebenso ein wie die herzzerreißenden, wenn ein Tier stirbt oder von Leiden erlöst werden muss; und er lässt hautnah miterleben, mit wieviel Hingabe und Opferbereitschaft Jan und Karin für die ihnen anvertrauten Tiere da sind. Seit Jahren haben sie keinen freien Tag mehr gehabt, von Urlaub gar nicht zu sprechen. Längst wurden der Hof und das dazugehörige Grünland in eine gemeinnützige Stiftung eingebracht, aus deren Vermögen, ebenso wie aus Patenschaften, Spenden und nicht zuletzt dem Verkauf selbstproduzierten Stroms aus einer Windradanlage, der Hofbetrieb finanziert wird.

Granitpreis

Bei den Hofer Filmtagen 2019 wurde Marc Pierschels Film als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet: per einstimmigem Juryvotum erhielt er den mit 7.500 Euro dotierten sogenannten "Granitpreis". Die Jury begründete ihren Entscheid so: "Ein Film, der von einem Ort erzählt, der nicht in unser gängiges System passt. Ein Heim für ausrangierte Nutztiere, eine packende Geschichte über Aktivisten und Tierschützer. 'Butenland' erlaubt den Perspektivwechsel. Entstanden ist ein zärtlicher Film, der weh tut und uns einlädt, anders zu denken."

Über den Verleiher Mindjazz Pictures wird "Butenland" 2020 in die Kinos kommen. Wünschenswert wäre, dass der Film auch in Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen gezeigt würde.


Butenland

Regie/Produktion: Marc Pierschel

Dokumentarfilm | D | 2019
Farbe | 82 min
Dolby 5.1 | dt. OF m. engl. UT

Trailer: http://butenland-film.de/