Humanismusperspektiven

hpd: Worin liegen dann die wichtigsten grundsätzlichen Unterschiede?

Horst Groschopp: Unterschiede ergeben sich logischerweise aus den behandelten Gegenständen und den argumentativen Methoden. Die Frage zielt aber eher auf den Streit „unter uns“ Säkularen. Es wurden ja bewusst „Programmatiker“ ums Wort gebeten. Was den bürgerrechtlichen von einem weltanschaulichen Humanismus trennt, das wird schon deutlich. Aber auch unter den „Weltanschaulichen“ hat ein erster Rezensent, der Pressesprecher des HVD Berlin, sofort eine wichtige Differenz festgestellt (ich will ihn hier zitieren): „ob Humanismus eine Frage der Kultur oder eher eine Frage der Natur sei. Während Nida-Rümelin ganz klar die Position bezieht, dass Humanismus und insbesondere eine Humanistische Ethik gegen die Philosophie des Naturalismus sperrt, nimmt Schmidt-Salomon die gegensätzliche Position ein. Steht auf der einen Seite das Argument, dass der theoretische Humanismus ‘nicht mit einem harten Naturalismus im dargestellten Sinne vereinbar’ ist, steht dem ein ‘Es gibt keine Kultur jenseits der Natur’ gegenüber.“

hpd: Sind solche Selbstvergewisserungen nur von theoretischem Interesse oder haben sie direkte Auswirkungen auf die praktische Arbeit und die politischen Strategien der organisierten Humanisten?

Horst Groschopp: Über die Zukunftsfähigkeit humanistischer Konzepte entscheidet eine entsprechende Praxis, die nicht nur eine politische ist. Praxis meint auch, dass Menschen von einer angewandten „Konzeption“ etwas für ihr Leben Nützliches haben wollen. Theorie macht weder satt noch gesund, betreut keine Kinder, hilft nicht beim Sterben usw. Aber ohne Theorie ist Humanismus wie das Christentum ohne Theologie – letztlich konzeptionslos.

Für „Theoriearbeiter“ wiederum sind „Konzeptdiskussionen“ Praxis und (geistige) Nahrung. Insofern haben wir Fortschritte zu verzeichnen. Die „Humanismusperspektiven“ begeben sich in die öffentlichen Debatten hinein, auch in die akademischen. Darin kommt um, wer nicht seriös ist. Da werden wir sehen, ob die „Humanismusperspektiven“ als ernsthafter Beitrag anerkannt werden auch bei den ernsthaften „konzeptionellen“ Konkurrenten. Das entscheiden weder Herausgeber noch Verleger.

hpd: Die Beiträge im Buch beziehen teilweise konträre Positionen; da stellt sich die Frage, wie die Diskussion zu den Perspektiven des Humanismus über die Tagung hinaus gelaufen ist und wie sie durch den Band neu angestoßen werden könnte.

Horst Groschopp: Darauf will ich ganz pragmatisch antworten und mich nur auf den HVD beziehen. Ein Weltanschauungsverband, der sich dem Humanismus schon durch seinen Namen verpflichtet fühlt, muss sich hierzu und zu all den vielen weiteren neueren Publikationen über Humanismus, intellektuell verhalten. Erst daraus kann er einige Antworten auf die Frage ableiten, wo sein eigener Platz in diesen Debatten ist und worin sein unverwechselbarer Beitrag zu einer Humanistik besteht. Das ist für mich eine Kernfrage, ob und wie es der akademischen Anhängerschaft des organisierten Humanismus – etwa seinen Akademien – gelingt, in diesen Debatten deutliche Spuren zu legen.


hpd: Das Buch soll also ein Beitrag zur Humanistik sein? Was ist das?

Horst Groschopp: Der Begriff „Humanistik“ ist in Holland und Belgien bereits „normal“. Als Theorie und Geschichte des Humanismus ist das Wort parallel zur Kategorie der Germanistik gebildet und mit dem der Urbanistik vergleichbar. Letztere kennt einen „Urbanismus“, kann „urbane“ Zustände erkennen und bewerten, weiß in etwa, was „Urbanität“ ist usw. Gleiches kann für den Humanismus angenommen werden: „Humanität“ bedeutet „Menschlichkeit“, benennt „humane“ Zustände, Handlungen und Personen.

Einen „wissenschaftlichen Humanismus“ halte ich nicht für möglich, aber eine wissenschaftliche Beschäftigung mit ihm durchaus. Das könnte man „Humanistik“ nennen. Wir nehmen hier eine ältere Debatte wieder auf. Für den HVD ist wichtig – gerade im aktuellen Streit um Islamlehrstühle – wie Humanismus an Hochschulen verankert wird, generell, und speziell wie unsere Lebenskundelehrer und Lehrerinnen und unsere humanistischen Beraterinnen und Berater akademisch gebildet werden. Auch Vorschulerziehung wird ja Hochschulfach und wir haben etliche humanistische Kitas.

hpd: Was haben die „Humanismusperspektiven“ damit zu tun?

Horst Groschopp: Der Sammelband ist ein bescheidener Diskussionsbeitrag. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass es sicher nur einen Humanismus gibt, aber viele Zugänge und Lesarten. Die Literatur kennt, und einige wenige Spezialitäten stellt das vorliegende Buch näher vor, Humanismus (in alphabetischer Reihenfolge) als abendländischen, afrikanischen, alten, anthropologischen, anthropozentrischen, anthropozentristischen, antiken, atheistischen, bürgerlichen, christlichen, dritten, ersten, ethischen, evolutionären, indischen, interkulturellen, islamischen (bzw. arabischen), jüdischen, klassischen, konfuzianischen, kritischen, lateinamerikanischen, multikulturellen (diesen mehrfach), naturalistischen, ökologischen, pädagogischen, philosophischen, praktischen, realen, sozialistischen (nicht immer zugleich proletarischen), super-humanistischen, trans-humanistischen, weltlichen (säkularen), zeitgenössischen, zweiten ... Selbst über „sexuellen Humanismus“ erschien 1988 ein Buch, geschrieben von Prostituierten.

Kurz: Der „weltanschauliche Humanismus“ kann schon durch bloße Kenntnisnahme anderer Beiträge viel gewinnen. Ich halte es da mit dem Vorschlag des Philosophen, Physikers und Wissenschaftstheoretikers Ernst Mach von 1883, Humanismus sei die Lehre, „eine unvollendete Weltanschauung zu ertragen“.