Fachtagung in Berlin

Freitodbegleitung: Auf dem Weg zur Normalität

titelbild_thomasernst.jpg

Fachtagung zum begleiteten Suizid am 26. Februar 2025 in Berlin
Fachtagung zum begleiteten Suizid
1 von 8

Auf den Tag genau fünf Jahre nach dem bahnbrechenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVG) zur Suizidassistenz war es für die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) Zeit, Bilanz zu ziehen: Was hat sich geändert und was ist in dem nächsten halben Jahrzehnt zu tun, um dem Recht auf Selbstbestimmung über das eigene Sterben Geltung zu verschaffen? Was ist nötig, dass Menschen das ihnen zugestandene Recht in der Realität der Kliniken, Heime und Familien tatsächlich ausüben können? Wie können drohende Hürden durch Gesetzgebung verhindert werden?

In seiner Begrüßung hob DGHS-Vizepräsident Prof. Dr. Dr. h. c. Dieter Birnbacher hervor, dass die Situation in Deutschland weltweit einmalig sei. Nur hier wird darauf abgestellt, dass es allein die Freiverantwortung des Menschen ist, die ihm einen Anspruch auf Suizidhilfe gibt. Überall anders geht es eher um medizinische Probleme und darum, das Leiden der Patienten zu mindern.

Bereits in den Impulsvorträgen deutete sich an, welche Themen den Tag bestimmen würden. Prof. Dr. Bettina Schöne-Seifert führte in die Thematik aus ethischer Sicht ein. Für sie eröffnete das Urteil des BVG neue Räume; durch das Urteil sei ein "Möglichkeitsspielraum" geschaffen worden.

Prof. Dr. Thomas Fischer beleuchtete den begleiteten Suizid aus juristischer Sicht. Unter anderem erläuterte er, wie sehr Sterbehilfe und assistierter Suizid in der Gesellschaft noch tabuisiert seien. Für ihn sind die Begrifflichkeiten "aktive Sterbehilfe", "passive Sterbehilfe" und "Sterbehilfe durch Unterlassen" eher eine Vernebelung als deutlich formulierte juristische Maßstäbe. So monierte er, dass "passive Sterbehilfe" (Abschalten eines Gerätes etc.) häufig eine aktive Tätigkeit voraussetzt.

"Freiverantwortlichkeit" sei ein Wort, das in der Psychiatrie nicht vorkomme, so Prof. Dr. Matthias Dose. Deshalb könne zum Beispiel die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) keine Definition und Hilfestellung bei den Fragen der Sterbehilfe geben. Er wies auch darauf hin, dass Menschen, die wissen, dass sie Suizidhilfe bekommen könnten, diese nicht zwingend annehmen.

Die Sicht der DGHS vertrat Prof. Robert Roßbruch, der auch Präsident dieser Patientenschutzorganisation ist. Er erklärte, dass die DGHS den Begriff "Freitod" und "Freitodbegleitung" benutze, weil der Begriff "Suizid" juristisch beziehungsweise psychologisch belastet sei. Es sei ärgerlich, sagte Roßbruch, dass "generell angenommen wird, dass Menschen urteils- und entscheidungsfähig sind. Nur beim Suizid soll das anders sein und ein Gutachten darüber erstellt werden."

Im Anschluss gab es vier Workshops. Unter anderem einen, der mit "Psychiatrische Fragestellung" überschrieben war und – moderiert von Ulla Bonnekoh – von Prof. Dr. Matthias Dose geleitet wurde. Anstatt des von Dose vorgesehenen Vortrags kamen die rund 30 Teilnehmer schon von Beginn an ins Gespräch und in den zwei Stunden wurden viele Fragen beantwortet. So wurde noch einmal klargestellt, dass die DGHS keine Vermittlung einer Freitodbegleitung durchführen würde, wenn es den Anschein hätte, dass es beim Antragsteller psychische Probleme gibt. Dann werde ein Gutachten gefordert.

Es dauerte nicht sehr lange und das beherrschende Thema wurde "Demenz und freiverantwortlicher Freitod". Die Krankheiten aus diesem Spektrum verunmöglichen einen freiverantwortlichen Suizid. Michael Schmidt-Salomon fasste es später mit den Worten zusammen: "Es sterben Menschen früher als sie sterben müssten", wenn sie ihren Tod in die eigene Hand nehmen wollten und nicht warten, bis sie dazu nicht mehr in der Lage seien. Prof. Dr. Matthias Dose vertrat die Ansicht, dass es etliche Fälle gebe, in denen von einer zeitweisen Klarheit eines an Demenz erkrankten Menschen auszugehen sei. Dem stimmte Dr. Johann F. Spittler zu, der über seine eigenen Erfahrungen berichtete. Er wies darauf hin, dass nur der Zustand des Sterbewilligen zum Zeitpunkt des Suizids wichtig sei.

Im Mittelpunkt der DGHS-Fachtagung in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin-Mitte stand das bei der Debatte in Deutschland immer wieder gezeichnete Drohbild einer "Normalisierung" der Suizidassistenz. Was kann "Normalität" in diesem Zusammenhang bedeuten? Worauf richtet sich die Befürchtung, die gegenwärtige Praxis der Suizidassistenz könne eine "Normalisierung" des Suizids als Ausweg aus schwerem Leiden nach sich ziehen? Führt das Angebot eines professionell begleiteten Suizids dazu, dass die Weiterentwicklung alternativer Optionen zur Leidensbegrenzung wie Palliativmedizin, Hospiz und qualitativ gute Pflege ins Hintertreffen gerät? Oder sind diese Befürchtungen eher Indizien für das Weiterbestehen der traditionellen, grundsätzlichen Vorbehalte gegen den Suizid?

Eine zweite Frage stellte sich wenige Tage nach der Bundestagswahl, die veränderte Mehrheitsverhältnisse gebracht hatte: Wie streng dürfen diese Kriterien sein, um Leichtfertigkeit im Umgang mit dem Tod zu vermeiden, ohne den Zugang zur Option des selbstbestimmten Lebensendes übergebührlich einzuschränken?

Podiumsdiskussion, Foto: © Evelin Frerk
Podiumsdiskussion, Foto: © Evelin Frerk

In der abschließenden Podiumsdiskussion sollte unter anderem auch über diese Fragen gesprochen werden. Michael Schmidt-Salomon moderierte die Diskussion und stellte noch einmal das Podium vor. Hinzugekommen war der Palliativmediziner Dr. Dirk Winkler.

Schöne-Seifert nannte es "ein zweischneidiges Schwert, dass wir heute durch die verbesserte Medizin auch dazu verdammt sind, länger zu leben." Für den ehemaligen Richter am Bundesverfassungsgericht Fischer stellte sich die Frage, ob man den Freitod überhaupt im Strafrecht regeln müsse. Für ihn sei das Strafrecht die obere Grenze und biete Orientierung.

Auf die Frage, wie viele Fälle von begleitetem Freitod es im Jahr 2030 geben und wovon das abhängen könnte, antwortete Roßbruch: "Es hat sich viel verändert. Vor 30 Jahren waren Palliativmedizin und Sterbehilfe absolut entgegengesetzt. Das ist heute nicht mehr der Fall. Auch die Medien gehen inzwischen mit dem Thema anders um." Allerdings wisse der Großteil der Menschen (laut einer forsa-Umfrage) nichts über die Möglichkeit einer Freitodbegleitung (und nur 15 Prozent wissen, dass das legal ist).

Winkler ergänzte: "Wir haben uns aus anderen Richtungen auf das gleiche Ziel hinbewegt." Seit dem Urteil vor fünf Jahren habe sich vieles verändert. "Tatsächlich sprechen uns unsere Patienten auf die Möglichkeit der Sterbehilfe an."

An Dose wurde die Frage gerichtet, ob Menschen, die eine Freitodbegleitung wollen, überwiegend psychisch krank seien. Er verneinte und sagte, dass er es im Gegenteil für falsch halte, psychisch erkrankten Menschen das Recht auf einen begleiteten Freitod grundsätzlich abzusprechen.

Schmidt-Salomon fragte abschließend das Podium, was sich durch die neue Regierung ändern werde.

Schöne-Seifert: "Es wird ohne eine 'sanfte' gesetzliche Regelung keine Praxis geben." Es sei ja jetzt schon so, dass derzeit schon viele Sterbewillige nicht versorgt werden könnten – wegen der Verunsicherung von Ärzten. "Wir wollen keine 'Normalität', wir wollen Akzeptanz."

Die Politik werde derzeit gar nichts tun, vermutete Dose, sie habe seiner Meinung nach ganz andere Themen zu beackern.

Für Roßbruch, der wie die DGHS insgesamt die Meinung vertritt, dass es keinerlei juristische Regelungen brauche, ist klar: Wenn am Ende des Jahres einen Gesetzentwurf aus den Reihen des Bundestags kommen werde, könne es nur ein restriktives Gesetz werden. Denn es könne nur Einschränkungen gegenüber dem derzeitigen Status quo geben.

Auch Fischer geht davon aus, dass es zu einer gesetzliche Regelung kommen wird. Er zog einen Vergleich mit dem Abtreibungsrecht. Er erwarte einen Minimalkonsens. Dem widersprach Roßbruch: Abtreibung und Sterbehilfe seien nicht vergleichbar. Denn es habe bei Abtreibungen auch innerhalb der Bevölkerung Streit gegeben und das Gesetz sei ein Kompromiss gewesen. Das sei beim Freitod nicht der Fall, da das BVG alle Freiheiten gegeben habe.

"Die junge Generation der Mediziner hat diese nicht mehr", brachte Winkler eine optimistische Sicht ein: "Die jungen Studenten haben eine ganz andere Herangehensweise und die Antworten auf ethische Fragen sind in deren Reihen viel ausgereifter." Für ihn sei klar, dass sich für die nächste Generation an Ärzten viele der heute hier diskutierten Fragen nicht mehr stellen würden.

Unterstützen Sie uns bei Steady!