hpd: Mir ist aufgefallen, dass einige Autoren sich sehr um Abgrenzung gegenüber dem so genannten Neuen Atheismus beziehungsweise gegenüber jeder Art polemischer oder satirischer Religionskritik bemühen, sogar der olle Johann Most wird als „Radau-Atheist“ verdammt. Warum fällt es Humanisten so schwer, herzhaft über die unsinnigen Aussagen von Religion zu lachen?
Horst Groschopp: Das hat viele Facetten. Erstens sei daran erinnert, dass am zweiten Tag der Konferenz die „Humanistische Akademie Berlin“ zum Thema „’Neuer Atheismus’ und politischer Humanismus“ (veröffentlicht in „humanismus aktuell“ Heft 23) eingeladen hatte, und dass danach der „KORSO“ gegründet wurde. An beiden Tagen herrschte das Bedürfnis nach klarer Aussprache vor.
Zweitens ist mir die Frage nach dem Humor „der“ Humanisten zu allgemein, denn es gibt, wie man so sagt, so’ne und solche. Dann ist – drittens – der Johann Most eine historische Person und zunächst als solche zu sehen. Das bedeutet auch, dass das Damals nicht das Heute ist und umgekehrt, woraus sich sicher Vergleichsschwierigkeiten ergeben. Aber er gilt nun einmal mit seiner „Gottespest“ von 1887, worin er diese als Geisteskrankheit geißelt, als radikaler Anti-Religionskämpfer und ein Vergleich mit dem „Gotteswahn“ bietet sich nun einmal an – inwiefern gerechtfertigt, das muss die Leserschaft selbst feststellen.
Viertens finde ich persönlich vieles in Religionen lächerlich. Aber auch der real existierende Säkularismus ist oft nicht frei von Komik. Dieses oft zu kurze weltliche Hemd ist mir näher als mancher überlange geistliche Rock.
Dann wird mir – fünftens – das Thema Religion häufig von (ich greife jetzt das Wort mal auf) „Radau-Atheisten“ nicht ernstlich genug genommen. Religionen lassen sich nicht einfach weglachen. Wenn Humanismus Religionen ersetzen soll, das ist ja der Wunsch vieler, die für ihn eintreten, dann müssen Religionen ernst genommen werden als Kultursysteme. Das hat Folgen.
Böse Folgen hat aber auch, sechstens, wenn ich die Religionsfrage über die „soziale Frage“ stelle. Hier steht mir mancher religiöse Sozialist wiederum näher als mancher atheistische Chicago-Bruder.
hpd: Ich könnte auch anders fragen: Beschreibt die Abgrenzung gegenüber dem Neuen Atheismus die Trennlinie zwischen zwei politischen Lagern oder geht es eher darum, das eigene Profil klar zu zeichnen, um so die Unterschiede innerhalb eines politischen Lagers erkennbar werden zu lassen?
Horst Groschopp: Ich glaube, es ist noch zu früh, von der Ausbildung politischer Lager innerhalb der Fraktionen der deutschen Säkularisten zu sprechen. Organisationen, noch dazu nicht sehr große, sind zudem keine „Lager“. Historisch gesehen gab es immer mindestens zwei Fraktionen, die der Freireligiösen und Humanisten sowie die der Atheisten und Freidenker. Vielleicht passt das wirklich nicht in einen Verein.
Man kann Ansätze zu einer „Lagerbildung“ unter den Organisierten erkennen in der politischen Strategiefrage, ob die Antwort hinsichtlich der Staat-Kirche-Trennung vorrangig (!) in GG Art. 140 iVm Art. 138,1 WRV gesehen wird (verkürzt: Abschaffung aller Staatsleistungen) oder in Art. 137,7 (verkürzt: Gleichbehandlung).
Doch ob das mit der Atheismus-Debatte etwas zu tun hat oder ob Diskurse über kulturellen versus evolutionären Humanismus uns in der Strategiebildung weiter bringen, das wage ich sehr zu bezweifeln. Hier geht es zwar um wichtige weltanschauliche Profile und theoretische Thesen, durchaus auch von Organisationen – aber daraus folgt nicht notwendig ein politisches Schisma. Gerade die „Humanismusperspektiven“ können so etwas nicht belegen.
hpd: Mir hat die Formulierung bei Petra Caysa, die in Anlehnung an Michel Foucault Humanismus als „Kunst des Nichtregiertwerdens“ bezeichnet, gut gefallen, da sie Humanismus als politisches Projekt versteht. Gibt es unter den organisierten Humanisten eine Mehrheit für eine solche Interpretation von Humanismus?
Horst Groschopp: Zunächst ist Petra Caysa meine geschätzte Kollegin am „Institut für Humanistische Lebenskunde des HVD Berlin“. Insofern ist sie eine organisierte Humanistin.
Inwiefern das humanistische Prinzip der „Selbstbestimmung“ in den Wunsch nach dem „Nichtregiertwerdenwollen“ münden könnte oder sollte und dann auch noch mehrheitsfähig sein könnte, das ist wahrlich eine „konzeptionelle“ Frage. Sie schließt nicht nur die Frage ein, was „Regieren“ und „Regiert-werden“ heißen soll. Das Problem ist hier die alte freidenkerische und sozialdemokratische Überlegung, dass sich, ganz konsequent gedacht, die „Volksherrschaft“ und die Staat-Kirche-Trennung durch Abschaffung des Staates einführen lassen. Damit wären wir dann wieder beim ollen Johann Most und seinem und anderer linker Leute Anarchismus als ein Vorschlag in diese Richtung.
Ob das jetzt ein vordringliches Thema ist, das weiß ich nicht. Aber wenn hier Debattenbedarf gesehen wird, schön, dann sollte dazu jemand, wenn wir dafür Geld und Zeit finden, eine Debatte organisieren. Ich würde da gern etwas zum „‘Staatshumanismus’ in der DDR im Gefolge einer zweckdienlichen Aneignung des Arbeiterbewegungskulturerbes“ einbringen.
Die Fragen stellte Martin Bauer.
Horst Groschopp (Hrsg.): Humanismusperspektiven. Schriftenreihe der Humanistischen Akademie Deutschlands, Bd. 1. Aschaffenburg 2010. Alibri Verlag, 209 Seiten, kartoniert, Euro 16.-, ISBN 978-3-86569-058-6
Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.