LUDWIGSHAFEN (hpd) Am Wochenende 13./14. März findet die vom Dachverband Freier Weltanschauungsgemeinschaften (DFW) und dem Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) organisierte Tagung „Religiöse und weltanschauliche Meinungsfreiheit“ statt. Im Vorfeld stellt hpd die Referenten und ihre zentralen Thesen in Kurzinterviews vor.
hpd: Geraten Künstler häufiger in Konflikt mit Heiligkeiten als andere Menschen?
Silvana Uhlrich: Nicht öfters, aber auf eine offensivere Art und Weise, durch die Auslegung der entstandenen Kunst als subjektive Beleidigung und Blasphemie. Das einzige Gegenmittel dazu ist die Konfrontation mit der Wirklichkeit, die durch Kritik verabreicht wird. Gerade bei Aussagen, die einen besonders hohen Wahrheitsanspruch für sich beanspruchen, ist Kritik einfach unerlässlich! Eine Satire z.B. ist kein dummer Witz, keine reine Geschmacklosigkeit, sie deckt wichtige Wahrheiten mit Humor auf, die sonst nur unterschwellig mitlaufen. Das ist ihre Kraft, die Kraft der Kunst, eine Kraft, auf die wir nicht verzichten dürfen. Grenzen sollte man eher aus seinem persönlichen Geschmack heraus ziehen, nicht wegen möglicher Reaktionen. Ich finde es absolut in Ordnung, sich über die Art und Weise wie Leute leben, lustig zu machen, egal ob es dabei um Religion oder anderes geht. Sogar Frau Käßmann gibt zu, dass Religion sich auch der Kritik einer Gesellschaft stellen muss. Und die Art und Weise der Kritik hängt nun mal davon ab, in welche Hülle wir sie schnüren. Die Hülle der Kunst ist eben sehr transparent und ehrlich.
hpd: Was ist typisch für solche Konflikte zwischen Kunst und Religion?
Silvana Uhlrich: Typisch sind Provokation und der Wille aufzufallen und auch anzuecken, mit dem Zweck, etwas anstoßen zu wollen. Damit wird das Bestehende offensiv in Frage gestellt. Darauf reagiert die Gegenpartei mit absoluter Ablehnung religionskritischer Kunst durch Beschuldigung von Respektlosigkeit, Diffamierung oder einer Unterstellung der Nichtkompetenz des Künstlers bis hin zur Idiotie. Doch was soll respektiert werden?
Wenn es um die allgemeinen Menschenrechte jeder Person geht zu gleichen Teilen, ist Respekt neben Toleranz einer der wichtigsten Voraussetzungen für ein friedliches Miteinander. Wenn es aber darum geht, Menschen unter dem Joch einer religiösen Furcht zu halten, Menschen zu diskriminieren und ausgrenzen zu wollen, egal durch welche noch so heilige Schrift, dann kann und will ich dafür keinen Respekt aufbringen.
Beispiele für solche Konflikte lassen sich in allen möglichen Bereichen der Kunst finden:
1. Der Film „Dogma“ von Kevin Smith. Die amerikanische Catholic League, eine kleine, aber feine Bande von Leuten, die nichts anderes zu tun haben, als sich als katholische Besserwisser und Moralwächter immer dann ins Zentrum der Öffentlichkeit zu stellen, wenn es um die Verteidigung ihrer reinen Lehre geht, sah in Kevin Smiths verwickelter und verwinkelter Farce „Dogma“ ein solches Produkt des Teufels gegen den Allmächtigen. Doch „Dogma“ ist weder ein antireligiöser noch im engeren Sinn ein antikatholischer Film – im Gegenteil. Kevin Smith selbst äußerte sich gegen die institutionelle Religion, aber nicht gegen den Gottesglauben, auch nicht den katholischen, und scheint selbst ein gläubiger Christ zu sein. Das, was er mit „Dogma“ in die Kinos brachte, ist abseits des Streits um Blasphemie eher eine Mischung aus Zivilisationskritik und der Beschwörung urchristlichen Glaubens. Insofern ist „Dogma“ ein durch und durch religiöser Film, der gleichzeitig die Anmaßung päpstlicher Unfehlbarkeit nicht nur anzweifelt, sondern ablehnt.
2. Das Buch „Wo bitte geht’s zu Gott? fragte das kleine Ferkel“ von Michael Schmidt-Salomon. Das Bundesfamilienministerium stellte einen Zensurantrag bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien gegen das religionskritische Kinderbuch „Wo bitte geht’s zu Gott? fragte das kleine Ferkel“. Begründung: das Buch sei geeignet, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu gefährden. Außerdem würden in dem Buch „die drei großen Weltreligionen Christentum, Islam und das Judentum verächtlich gemacht“. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien entschied, dass das Kinderbuch nicht als jugendgefährdend indiziert wird. Endlich mal wieder ein Sieg für die Meinungs- Kunst- und Religionsfreiheit!
3. Musik. Die Popmusikerin Madonna ließ sich während der Bühnenshow eines Live-Konzerts 2006 „ans Kreuz nageln“ und stieß damit auf heftige Kritik bei Kirchenvertretern und Christen. Die Staatsanwaltschaft verwies jedoch darauf, dass Anzeigen wegen Blasphemie nicht zu einer Verurteilung führen würden.
4. Werbung: Benetton. Die betont provokanten Werbekampagnen der italienischen Bekleidungsfirma Benetton und ihres Fotografen Oliviero Toscani waren vor allem in den 1990er Jahren Gegenstand von kontroversen Debatten um die Grenzen von Tabus und Kunstfreiheit. Während die Werbetreibenden in den Schockfotos eine kritische Hinterfragung herkömmlicher Vermarktungsstrategien sahen, riefen Bilder z.B. von Neugeborenen mit Nabelschnur, Aidskranken oder blutverschmierten Kampfanzügen Proteste und Skandale hervor. 1995 wurden einige Plakate vom Bundesgerichtshof verboten, da es sich u.a. bei dem Motiv „H.I.V. Positive“ um Schockwerbung handele, die gegen die Menschenwürde verstoße. Dieses Urteil wurde vom BVerfG aufgehoben, da es die Tragweite der Meinungsfreiheit verkenne. Vergleichbar wäre dazu auch die provokante Aids-Kampagne des letzten Jahres.
hpd: Sehen Sie eine Möglichkeit künstlerische Kreativität in dieser Sache zu „zügeln“ oder laufen derlei Versuche zwangsläufig auf die „Schere im Kopf“ hinaus?
Silvana Uhlrich: Kritik ist immer von Bedeutung. Nun ist es leider jedoch so, dass ausgerechnet diejenigen, die Kritik am dringendsten benötigen, am wenigsten in der Lage sind, Kritik zu ertragen. Wie sollen sich Satiriker zügeln? Wie kann ich Kritik äußern, egal ob konstruktiv oder nicht, wenn die Gegenpartei, hier die Religion, nicht kritikfähig ist bzw. Kritik offiziell verbietet?
Die Religionen sind sehr verletzungsanfällig, der Unterschied in der Kritikempfindlichkeit zu religionsfreien Menschen ist höchst signifikant, was wohl daran liegt, dass religiöse Menschen meinen, ihre Überzeugungen seien heilig, also unantastbar und müssten deshalb unter „Denk-mal-Schutz“ gestellt werden.
Eine Zügelung wäre nur dann möglich, wenn die Gegenpartei lernt, dass nicht jeder humoreske Blick, jede Kritik an ihrer Praxis diffamierend oder existenziell bedrohend ist. Es ist ein Weg zur eigenen Reflexion, zur Hinterfragung, zur Verbesserung der gegenwärtigen Lage, auch im Dialog mit anderen. Alles andere ist nur Vermeidung einer Provokation aus Angst vor Gewaltandrohung oder Vermeidung von Konflikten, die aber notwendig sind im Sinne der Aufklärung. Eine falsche Rücksichtnahme wäre fatal und würde die Probleme zwischen beiden Parteien nur noch mehr schüren. Es gilt Denkblockaden zu durchbrechen.
Angenommen, ich würde an Gott glauben: Hätte er gewollt, dass wir blindlings gehorchen? Dann hätte er uns keinen Verstand geben brauchen. Und den besitzen wir glücklicherweise. Das wissen wir wenigstens seit der Aufklärung. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist etwas, was kein Mensch in unserem Land missen möchte. Nicht einmal die Religiösen unter uns. Die Islamisten bekunden immer aufs Neue, das der Islam eine tolerante Religion ist. Wenn dem so ist, sollte es möglich sein, egal wie geschmacklos es ist, Köpfe auf einer Bühne zu präsentieren. Wer es nicht mag, sollte sich die Aufführung nicht ansehen. Wenn irgendetwas im Fernsehen nicht gefällt, zappt man schließlich auch weiter!
Die berühmte „Schere im Kopf“ wurde durch den Karikaturenstreit nur neu geschliffen, das gleiche entstand durch die Absetzung der Ideomeo-Aufführung. Der Grad der Freiheit einer Gesellschaft zeigt sich besonders darin, inwieweit sie Satire zulässt. Wo Erkenntnis nicht gewünscht, sondern als Angriff auf die eigenen Werte missverstanden wird, kann Kunst keine Freiheit erlangen. Die Kunst muss nichts, aber die Kunst darf alles. Sie darf schmähen, verletzen, Missfallen erregen und Proteststürme auslösen. Sie ist keinem Glauben verpflichtet, sie muss niemandem zu Diensten sein. Die Zeiten, in denen weltanschauliche Offenheit religiösem Offenbarungswahn geopfert wurde, sollten endgültig vorbei sein!
So ist verkehrt, den Kopf hängen zu lassen und pessimistisch auf diese Situation in der Welt zu blicken. Es ist zu spät, pessimistisch zu sein. Die Aufklärung ist einfach zu weit, um denkende Köpfe aufzuhalten. Lieber sollte man sich bemühen, aktiv etwas an diesen Verhältnissen zu ändern. Und da gehört nun mal eine ordentliche Portion Humor dazu.
Die Fragen stellte Martin Bauer.
Silvana Uhlrich ist Gesangslehrerin, Musikerin und Theaterpädagogin. Sie ist seit 17 Jahren ehrenamtlich aktiv in der nationalen und internationalen humanistischen Jugendarbeit und DFW-Referentin für diesen Bereich. Auf der Tagung wird sie zum Thema „Kultur- und Kunstfreiheit oder Blasphemie?“ referieren.