Eine Kritik an der Ethik des Christentums entwickelte der Psychologe Franz Buggle (Jg. 1933) in der Streitschrift „Denn sie wissen nicht, was sie glauben“ von 1992. Darin bestritt er den häufig erhobenen Anspruch, die Bibel sei die letzte Instanz für Moralbegründungen der Gegenwart. Buggle wies dem gegenüber auf die Bejahung von Eroberungskriegen und Völkermord im Alten Testament und die archaisch-inhumanen Implikationen der zentralen neutestamentlich-christlichen Lehre vom Kreuzestod Jesu als Erlösungstat und Sühneopfer hin. Darüber hinaus kritisierte er die absolute Willkür des biblischen Gottes und die Forderung nach bedingungslos-rechtloser Unterwerfung ebenso wie die hasserfüllte Abwertung von Anders- und Nichtgläubigen und die Auffassung vom ständig auf Gnade angewiesenen Menschen. Anschließend wandte sich der Autor auch gegen den selektiv-verfälschenden Umgang mit der Bibel in den Schriften moderner Theologen und plädierte für eine moderne Religionskritik im Sinne von Moralkritik.
Joachim Kahl (Jg. 1941) wurde durch sein 1968 erstmals erschienenes und weit verbreitetes Buch „Das Elend des Christentums“ bekannt. Darin ging er auf die Unerkennbarkeit des historischen Jesus, die zahlreichen Unklarheiten und Widersprüche der christlichen Theologie, die von Diskriminierung und Verfolgung geprägte Kirchengeschichte und die unterentwickelte Trennung von Kirchen und Staat in der Bundesrepublik Deutschland ein. Der Autor war damals ein frisch promovierter evangelischer Theologe, der nach Abschluss seines Examens öffentlich mit dem Glauben brach und aus der Kirche austrat. Anfang der 1970er Jahre wandte sich der mittlerweile auch in Philosophie promovierte Kahl dem Marxismus zu, brach Anfang der 1990er Jahre aber auch mit dieser Denkrichtung und verstand sich fortan als Anhänger eines skeptischen und weltlichen Humanismus. In all diesen Entwicklungsphasen blieb sein atheistisches Verständnis von Religion eng an Feuerbach und Marx orientiert, sah er diese doch als Spielart illusionären Bewusstseins an.
Der Publizist Jaya Gopal (Jg. 1944), Begründer der Atheist Society of India, veröffentlichte mit „Gabriels Einflüsterungen“ 2000 eine Kritik am Islam aus atheistischer Sicht. Dabei ging es ihm insbesondere um den Nachweis des autoritären Wesens und des totalitären Charakters dieser Religion: Der Erfolg des Islam gründe sich weder auf besondere Einfachheit oder Überzeugungskraft seiner Dogmen noch auf die angebliche Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit seines Propheten Mohammed, sondern er beruhe einzig und allein auf systematischer Indoktrination und rigoroser Durchsetzung seiner einengenden Gesetze. Der Islam habe sich nur verbreiten können aufgrund der systematisch angewandten tyrannischen Methoden zur ständigen Überwachung seiner Anhänger und durch Projektion seiner ihm wesensmäßig eigenen Unfähigkeiten und des dadurch entstandenen Elends auf eine feindliche Außenwelt. Mit Gopal Buch liegt eines der wenigen religionskritischen Werke zum Islam vor.
Dazu gehört auch das bereits 1995 veröffentlichte Buch „Warum ich kein Muslim bin“ von Ibn Warraq (Jg. 1946), einem unter diesem Pseudonym schreibenden ehemaligen Absolventen pakistianischer Koranschulen. Er formuliert darin scharfe Kritik: Das islamische Recht sei ein totalitäres, theoretisches Konstrukt, das jeden einzelnen Aspekt im Leben eines Menschen von der Geburt bis zur Todesstunde zu kontrollieren versuche. Die wissenschaftlichen aussagen stünden in vielen Punkten in direktem Konflikt zu muslimischen Glaubenssätzen. Dem Islam fehle das Konzept der entscheidungsfähigen, moralisch verantwortlichen Person vollkommen, ebenso wie das Konzept von Menschenrechten überhaupt. Nirgends trete der totalitäre Charakter des Islam so deutlich zutage wie in dem Konzept des heiligen Krieges, dessen letztendliches Ziel es sei, die ganze Welt zu erobern. Ibn Warraqs Buch, das sich auf die kritische islamwissenschaftliche Forschung stützt, fand im englischsprachigen Raum große Aufmerksamkeit.
Literatur:
Deschner, Karlheinz (Hrsg.), Das Christentum im Urteil seiner Gegner, Ismaning bei München 1986. (Der Sammelband enthält kurze Portraits mit Zitatensammlungen von Kritikern des Christentums von Celsus bis Camus, wobei der Schwerpunkt auf den Denkern der Neuzeit liegt.)
Fastenrath, Heinz: Religionskritik. Ein Abriss atheistischer Grundpositionen:
Feuerbach, Marx, Nietzsche, Sartre, Stuttgart 1999. (Eine für didaktische Zwecke konzipierte Darstellung mit Kommentaren zu den genannten Religionskritikern aus kritisch-theologischer Sicht.)
Ley, Hermann: Geschichte der Aufklärung und des Atheismus, Berlin (DDR) 1966ff. (Das mehrbändige Werk aus der Perspektive des Marxismus-Leninismus enthält eine informative Darstellung zur Frühphase atheistischen Denkens.)
Mauthner, Fritz: Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande, Frankfurt/Main 1989. (Neuausgabe des erstmals zwischen 1920 und 1923 erschienen Werkes mit einer Gesamtdarstellung zum Thema auf Basis des seinerzeitigen Forschungsstandes.)
Minois, Georges: Geschichte des Atheismus. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Weimar 2000 (Die neueste umfassende Darstellung zur Geschichte der Ungläubigen, wozu der Autor nicht nur Atheisten, sondern auch Agnostiker, Pantheisten und Skeptiker zählt).
Armin Pfahl-Traughber
Religionskritiker I: Antike und Mittelalter(11.3.2010)
Religionskritiker II: Neuzeit (16.3.2010)
Fotografien:
Hans Albert und Karlheinz Deschner: Evelin Frerk
Jaya Gopal: Mailmaoi (flickr)
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