Religionskritiker III: 20. und 21. Jahrhundert

(hpd) Als Religionskritiker sollen im Folgenden einige Denker mit ihren Auffassungen entlang der historischen Chronologie kurz portraitiert werden. Zwar besteht eine Gemeinsamkeit in der grundlegenden Kritik an Religion allgemein oder an besonderen Religionen. Es handelt sich allerdings nicht immer um Atheisten, kamen die Dargestellten doch auch auf Basis einer agnostischen, deistischen oder pantheistischen Auffassung zu ihren Einwänden.

Mitunter handelt es sich sogar um die Anhänger einer Religion, die andere Religionen kritisieren oder bestimmte Grundlagen der eigenen in Zweifel ziehen. Darüber hinaus lassen sich Unterschiede in der Schwerpunktsetzung der Kritik ausmachen: Mal ist es die Begründungsebene, also die Rechtfertigung für Religion, mal ist es die Erklärungsebene, also die Deutung der Akzeptanz, mal ist es die Wirkungsebene, also die Geschichte der Religion. Bei der Auswahl der Portraitierten fanden insbesondere Kritiker des Christentums und der deutschsprachige Raum Berücksichtigung.


Religionskritiker III: 20. und 21. Jahrhundert

Die Auseinandersetzung mit der Religion nahm für Sigmund Freud (1856-1939), den Begründer der Psychoanalyse, einen geringen Stellenwert ein. Gleichwohl widmete er sich ihr in mehreren Schriften, wozu insbesondere das Werk „Die Zukunft einer Illusion“ von 1927 gehört. Zwar stellte Freud darin einen Widerspruch der Religion zu Erfahrung und Vernunft fest, ihm ging es aber mehr um die Ursachen für ihre Akzeptanz. Sie führte Freud auf das allen Illusionen eigene Bedürfnis der Menschen nach Erfüllung von Wünschen zurück, wozu insbesondere die Tröstung über die Widrigkeiten der Existenz gehöre. Religion habe durchaus einen hohen Beitrag zur Entwicklung der Kultur erbracht, ein mündiges und nüchternes Individuum bedürfe ihr aber nicht mehr. Gott gilt Freud als projektierte Vater-Figur, der gegenüber der autonome Schritt in die Realität des gesellschaftlichen Lebens gewagt werden müsse. Diese Auffassungen erweiterten die Religionskritik nicht nur allgemein um eine analytische, sondern auch um eine psychologische Perspektive.

Nahezu den gesamten Themenbereich der Religionskritik behandelte der Mathematiker und Philosoph Bertrand Russell (1872-1970) in seinen Aufsätzen und Reden, die in dem Sammelband „Warum ich kein Christ bin und andere Essays“ von 1957 enthalten sind: Die Grundlage der Religion sah er in der Angst vor Geheimnisvollem und Unbekanntem, die mit der Hoffnung auf den Beistand einer gütigen und helfenden Instanz einher ginge. Die kursierenden Gottesbeweise mit rationalem Anspruch lehnte Russell als nicht überzeugend und widerspruchsfrei ab. Der biblischen Jesu-Figur konnte er aufgrund deren Dogmatismus und Intoleranz ebenso wenig etwas abgewinnen wie der fortschrittsfeindlichen und repressiven Rolle der Kirche in der Geschichte. Überhaupt vertrat Russell die Auffassung, Religion habe zur moralischen Entwicklung der Menschheit keinen Beitrag geliefert. Zwar entwickelte der Philosoph keinen eigenständigen Beitrag zur Religionskritik, seine Schriften fassten aber wichtige Positionen zusammen.

Der französische Philosoph Jean-Paul Sartre (1905-1980) ging aufgrund seines Existentialismus davon aus, dass es keine ewigen Normen und Werte gebe und der Mensch auf sich selbst zurückgeworfen sei. Daher verfüge er über die Autonomie und Fähigkeit, sich selbst zu entwerfen und zu entwickeln. Insofern konnte für Sartre Gott nicht existieren, was er in zahlreichen literarischen und philosophischen Werken immer wieder postulierte. Die Vorstellung von einem solchen Wesen galt dem Philosophen als Ausdruck des Wunsches nach Sinngebung. Diese könne sich dabei aber nicht an Gott orientieren, erwachse Sinn doch nur aus dem Menschen selbst. Insofern bedarf es nach Sartre auch nicht der Vorstellung von einem solchen Wesen, das noch dazu die menschliche Freiheit einschränke. Mit einzelnen Gottesbeweisen oder anderen Religionsdimensionen setzte er sich nicht auseinander, die Existenz eines solchen Wesens passte nicht in seine Auffassung vom Primat der Freiheit des Menschen.

Aus einer erkenntnistheoretischen Perspektive wurde der Soziologe Hans Albert (Jg. 1921), der bedeutendste deutsche Vertreter des Kritischen Rationalismus, ein Kritiker der Theologie. Er ging davon aus, dass sich alle Wissenschaftlichkeit beanspruchenden Aussagen einer kritischen Prüfung an der Realität aussetzen und auf theoretischer Ebene widerspruchsfrei sein müssten. Bereits in seinem Hauptwerk „Traktat über kritische Vernunft“ von 1968 kritisierte er das Offenbarungsmodell der Erkenntnis als gescheiterten Versuch der Ermittlung einer absolut sicheren Grundlage für Aussagen. Darüber hinaus wies er kritisch auf die antipluralistischen Folgen des Dogmatismus dieser Erkenntnislehre, die Immunisierungsstrategie der Trennung von Glauben und Wissen und die Mängel der Gottesbeweise in der modernen Theologie hin. Alberts Haupteinwand lautete: Die Aussagen und Theorien in diesem Bereich entziehen sich einer kritischen Prüfung. Insofern formulierte er weniger eine Religions- und mehr eine Theologiekritik.

Als Kritiker der Kirchengeschichte bekannt wurde Karlheinz Deschner (Jg. 1924), der mit dem Buch „Abermals krähte der Hahn“ von 1962 den Grundstein für seine späteren Veröffentlichungen legte. Hierzu gehört insbesondere das seit 1986 erscheinende mehrbändige Werk „Kriminalgeschichte des Christentums“. Darin listete der Autor historisch-chronologisch die im Namen dieser Religion begangenen Untaten in Gestalt von Diskriminierungen, Menschenrechtsverletzungen und Verfolgungen auf. Deschner widmete sich aber auch den historischen Aspekten der theologischen Grundlagen des Christentums, wie etwa seine Schrift „Der gefälschte Glaube“ von 1988 dokumentiert. Dort ging er etwa auf die Fragwürdigkeit der historischen Existenz Jesu, die Widersprüche der Evangelien und das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit ein. Der sich als Agnostiker verstehende Deschner entwickelte allerdings keine allgemeinere Kritik an Religion im Sinne eines eigenen theoretischen Ansatzes.