Ein Gottkönig hat Geburtstag

Der kleine Tschi wird sofort als Reinkarnation erkannt

Der Suchtrupp habe sich im Hause der Eltern nicht zu erkennen gegeben, gleichwohl sei der Anführer von dem kleinen Tschi sofort erkannt und mit richtigem Namen angesprochen worden. Zudem habe der Junge mitgebrachte Gegenstände aus dem Besitz des 13. Dalai Lama allesamt richtig identifizieren können. Kurze Zeit später wurde Klein-Tschi in Kumbum feierlich für sein künftiges Amt designiert. Er lebte hinfort im Kloster, wo er auch seine ersten Worte tibetisch lernte; zuhause hatte man einen chinesischen Regionaldialekt gesprochen. Seine Eltern sah er vorderhand nicht mehr.

Im Sommer 1939 wurde Tschi in die tibetische Hauptstadt Lhasa überstellt. Die Karawane mit über 1000 Personen und mehr als 10.000 Last- und Reittieren war drei Monate lang unterwegs. Am 22. Februar 1940 wurde der mittlerweile Viereinhalbjährige offiziell als geistliches Oberhaupt Tibets eingesetzt: er bestieg als 14. Dalai Lama den sogenannten Löwenthron.

Unterrichtet wurde er zunächst gemeinsam mit seinem Bruder Lobsang Samten, in endlosen Wiederholungen mussten die beiden komplexe Ritualtexte auswendig lernen. Außer zu dem drei Jahre älteren Lobsang hatte er keinerlei Kontakt zu anderen Kindern. Bald aber verlor er auch diesen Kontakt: Auslöser war ein Streit gewesen, bei dem er seinen Bruder in einem Anfall von Jähzorn mit einem Elfenbeinstock niedergeschlagen und dabei schwer verletzt hatte. Die Kinder wurden voneinander getrennt.

Überhaupt hätte das Leben, das dem jungen Gottkönig aufgenötigt wurde, isolierter und widernatürlicher nicht sein können: Angehörige des weiblichen Geschlechtes kamen in seinem Umfeld überhaupt nicht mehr vor, die einzigen Frauen, die er gelegentlich zu Gesicht bekam, waren seine Mutter und seine achtzehn Jahre ältere Schwester, die ihn ab und an besuchen durften; private oder persönliche Gespräche indes waren bei diesen streng protokollierten Begegnungen unmöglich. Selbst die Tiere in seinem Palastgarten – es gab mehrere Bulldoggen, ein paar Kamele, zwei Leoparden, einen Tiger und einen Affen – mussten männlichen Geschlechtes sein, weibliche hätten den so genannten „Juwelengarten“ energetisch verunreinigt.

Eine wirkliche Kindheit und Jugend hatte er nicht

Seinen Vater sah er praktisch nie mehr, obgleich dieser, aufgestiegen in den höchsten Adelsrang mit entsprechendem Großgrundbesitz, ebenfalls in Lhasa residierte. Der junge Dalai Lama war bis in sein Erwachsenenalter hinein ausschließlich von sehr viel älteren persönlichen Bediensteten und alten bis uralten Mönchslehrern umgeben. Eine wirkliche Kindheit und Jugend hatte er nicht, vielmehr wurde er, hermetisch abgeschottet gegen jeden äußeren Einfluss, zu einem völlig selbst- und weltentfremdeten Autisten hinerzogen, darauf gedrillt, fehlerfrei buddhistische Lehrtexte aus dem 11. oder 12. Jahrhundert zu rezitieren und ansonsten den obskuren Ritualhandlungen seiner Lehrmeister beizuwohnen. Niemals hatte er auch nur den Hauch einer Chance auf irgendeinen vernünftigen Gedanken oder irgendeine freie Entscheidung. Psychisch - und in Teilen auch kognitiv-intellektuell - dürfte er insofern auf dem Stand eines Vierjährigen stehen geblieben sein.

Hinzu kam die extreme Frauenfeindlichkeit des tibetischen Buddhismus, der er - wie andere Mönchsnovizen auch – in der äußerst repressiven, von verknöcherten alten Männern beherrschten Klosterwelt des alten Tibet ausgesetzt war. Einer der meistzitierten Lehrtexte, mit denen er konfrontiert war, stammt von dem indischen Mystiker Milarepa (1040-1123 u. Z.), demzufolge "die Frau immer eine Unruhestifterin (ist), die primäre Ursache des Leidens, im besten Fall kann sie anderen dienen, im schlimmsten Fall bringt sie Mißgeschick und Unglück." Sie sei, karmisch bedingt, ein prinzipiell übles und minderwertiges Wesen, aufgrund ihrer "Neigung zu schlechten Gewohnheiten, die in der Vergangenheit entstanden ist, in der niederen Form einer Frau geboren." Ihre Gebärmutter - gemeint ist vermutlich die Vagina - sei „äußerst unrein und übelriechend. Denn diese ist mit Eiter, Blut, Getier und anderem völlig angefüllt. Diese sehr beengende dunkle Höhlung ist ein Sammelpunkt größter Schrecken."