Ein „Band der Freundschaft“ knüpfen (I)

hpd: Also nicht Kant, der den in Deutschland bekanntesten Leitsatz der Aufklärung formuliert hat, man möge sich seines Verstandes bedienen, um der selbst verschuldeten Unmündigkeit zu entkommen?

Streminger: Natürlich: „Was ist Aufklärung?“ von 1783, die kleine Arbeit von Kant, ist eminent wichtig. Aber der Königsberger Philosoph besaß einen Januskopf, der wie der österreichische Doppeladler in zwei Richtungen blickte. Auf der einen Seite gilt er, völlig zu Recht natürlich, als der ‚Alleszermalmer’, als der deutsche Aufklärer. Aber andererseits betonte er die Notwendigkeit einer Begrenzung des Wissens, um dem religiösen Glauben Platz zu schaffen. Kant im Originalton: „Ich mußte also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen.“ Diese Janusköpfigkeit ist Kant eigen, obwohl seine Philosophie, wie schon gesagt, einen eminent wichtigen aufgeklärten Teil hat, etwa die Rechtfertigung der Menschenrechte.

Hume war hinsichtlich einer solchen Verdoppelung der Welt völlig eindeutig, nämlich rein diesseitsbezogen. Für ihn sind Menschen keine Bürger zweier Welten, sondern als Geschöpfe der Natur ganz im Diesseits verankert. Die mit den Sinnen erfahrbare Welt ist die einzige, die wahre. Humes Philosophie ist also von transzendenten Zweideutigkeiten und übernatürlichen Fangnetzen vollständig frei, und wenn ich Ihre Frage nach seiner Bedeutung noch einmal aufgreifen darf: Hume war nicht nur Philosoph, er war auch Historiker und hat eine viertausend Seiten lange Aufklärungshistorie über die Geschichte Englands geschrieben. Es gibt keinen anderen großen Philosophen, der ein ebenso großer Historiker gewesen wäre wie Hume. Seine History of England wird, obwohl schon 250 Jahre alt, immer wieder neu ediert, es gibt mittlerweile allein im Englischen mehr als 100 Ausgaben. Man kann darin nicht zuletzt lernen, wie Hume seine Aufklärung betrieb, wie er in die Geschichtsschreibung immer wieder seine Religionskritik einbrachte, und wie er auch aufzeigte, dass Religion eminent gewalttätig sein kann, wenn sie einen dominanten Einfluss auf die Gesellschaft ausübt.

Auf der einen Seite war Hume also der Religionskritiker und Historiker, auf der anderen natürlich der Empirist, der Erkenntnistheoretiker, derjenige, der die Bedeutung der Erfahrung glänzend verteidigt und etwa mit seiner Induktions- und Kausalanalyse die philosophische Reflexion enorm vorangebracht hat. Zudem schrieb er politische Essays, in denen er unter anderem die „Glorious Revolution“ von 1688 verteidigte, also die Abkehr von einem katholischen, absolut regierenden Herrscherhaus zu einem protestantischen. Durch diesen Wechsel sah Hume die Gewaltenteilung, die am besten den Frieden innerhalb der Gesellschaft garantiert, am ehesten verwirklicht: das Zwei-Kammern-Parlament hier und ein Königshaus dort, das ebenfalls an die vom Parlament beschlossenen Gesetze gebunden war, eine parlamentarische Monarchie also.

Hume war demnach ein eminent vielseitiger, ganzer Denker - zumindest Naturalisten sehen dies so, für die auch nur diese eine Welt, das Diesseits, relevant ist; für religiöse Metaphysiker war (und ist) Hume aber ein in transzendenten Dingen Obdachloser, gar ‚einer der schlimmsten Verächter der Wahrheit, den die Geschichte kennt’, so John Wesley oder William Warburton, beide Zeitgenossen Humes und dessen erbitterte Gegner. Der eine war Begründer der Kirche der Methodisten, der andere war anglikanischer Bischof von Gloucester. Allerdings war auch Hume in seiner Einschätzung nicht gerade zimperlich, denn den Bischof nannte er immerhin „widerlichster Schriftsteller Europas“.

hpd: Was kann man allgemeinverständlich unter „Empirismus“ verstehen?

Streminger: Der Empirismus betont, dass die Erfahrung die entscheidende Erkenntnisquelle ist. Das ist zum einen die subjektive Erfahrung und zum anderen die durch das Experiment intersubjektiv überprüfbare Erfahrung. Diese beiden bilden die Basis. Die Aufgabe des Verstandes ist es, die Erfahrung zu ordnen, zu systematisieren, durch Phantasie Möglichkeiten einer Erklärung zu finden. Aber das Fundament des Erkennens, also dasjenige, was aus den Möglichkeiten das Richtige auswählt, ist die Erfahrung, nicht der Verstand. Ich kann mich nicht hinsetzen und die Welt aus dem Kopf heraus spinnen und dann annehmen, dass ich die Welt verstehe, sondern ich muss in die Welt hinaus schauen, sie also hören, betasten, spüren.

Francis Bacon hat ein wunderschönes Bild gebraucht, um die ‚wahre’ Philosophie – und das war auch für ihn der Empirismus - zu charakterisieren. Im Novum Organum – eine der großen Schriften des Empirismus – vergleicht er Philosophen mit Tieren, mit Ameisen, Bienen und Spinnern. Die Ameisen sammeln nur, die Spinnen sind Idealisten, die spinnen alles aus ihrem Kopf heraus, aber die Bienen sammeln und verarbeiten. Das ist die wahre Philosophie: sammeln, was es denn in der Welt so gibt, und dieses dann durch kluge Experimente und rationale Erklärungen verarbeiten.