Ein „Band der Freundschaft“ knüpfen (I)

hpd: Sie irritieren mich gerade, weil ich mich veranlasst sehe, mein Bild eines Philosophen zu korrigieren. ....

Streminger: ... Hoffentlich zum Besseren...

hpd: Ja! Bisher war ich doch der Meinung, ein Philosoph sei eher ein Mensch, der sich Gedanken über die Welt macht, schöne Ideen hat, vielleicht auch ein bisschen idealistisch, dass man wie zur Entschuldigung sagt „Na ja, er ist halt ein Philosoph!“, also eher etwas lebensfremd ist und deshalb fand ich es immer wohltuend, dass in der Humboldt Universität in Berlin – auch nach der deutschen Wiedervereinigung – die im Hauptfoyer in den Marmor in goldenen Lettern eingemeißelte zehnte Feuerbachthese von Karl Marx nicht entfernt wurde: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“ Und dieser jetzt ganz konkrete Bezug von Ihnen, wie müsste eigentlich eine Gesellschaft aussehen? Das ist sehr praktisch, sehr konkret, als erst einmal allgemeiner Rahmen. Das überrascht mich, wie konkret Sie sich mit Ökonomie auseinandersetzen.

Streminger: Danke, aber auch in dieser Praxisorientiertheit sehe ich mich einfach in britischer Tradition, und noch im 18. Jahrhundert wurde die Philosophie Weltweisheit genannt. Sie dürfen nicht vergessen – um nur zwei berühmte Denker zu nennen -, dass John Locke Philosoph und Politiker war, und Hume viele Essays zur Allgemeinbildung geschrieben hat und auch Diplomat war. Insofern hatten diese zur Philosophie einen viel handfesteren Zugang als ihre idealistischen Kollegen. Es ist durchaus problematisch und kann zu schrecklichen Verwerfungen führen, wenn man bloß versucht, neue Ideen bis an die Grenze des Denkbaren zu verfolgen, aber sich nicht ernsthaft darum kümmert, ob diese Ideen auch realistisch und gangbar sind, ob also Menschen, so wie sie nun einmal sind, diese auch verstehen und umsetzen können.

Die genannten britischen Philosophen versuchten, von einem Wissen um die Menschennatur auszugehen oder ihre Ideen und Entwürfe daran zu überprüfen. Es ist natürlich kein Zufall, dass Hume sein philosophisches Hauptwerk A Treatise of Human Nature genannt hat, also Ein Traktat über die menschliche Natur. Um noch schnell eine Brücke zur Pädagogik zu bauen: Das Geheimnis guter Erziehung ist wohl dieses, andere nicht zu überfordern, aber auch nicht zu unterfordern. Um dies leisten zu können, bedarf es einer guten Menschenkenntnis. So veränderten wir, um auf Ihr Eingangsstatement zurück zu kommen, die Welt ganz sanft zum Besseren.


hpd: Ich verstehe. Sie haben in Ihrem Buch „Ecce Terra“ – aus der Sicht eines Ballonfahrers – den Unterschied zwischen einer französischen Gartenbaukunst und englischen Gärten herausgearbeitet. Die französischen Gärten mit ihren strengen Linien und Formen, der Unterordnung und Beherrschung der Natur innerhalb der abstrakten Regeln einer Geometrie, während englische Landschaftsgärten den Versuch unternehmen, die umgebende Landschaft aufzunehmen, sie zu integrieren und den Garten nicht als etwas Künstliches hinein zu setzen. Das klingt für mich ähnlich, wenn Sie sagten es gibt eine englische Tradition von Philosophie, die sehr pragmatisch denkt und eine mehr kontinentale, vielleicht eher sogar eine vorwiegend deutsche, idealistische Tradition, die Philosophie um der Philosophie, der Ideen willen betreibt.

Streminger: Wirklich eine schöne Verbindung sehen Sie da, von der englischen Philosophie zur englischen Gartenkunst. Da gibt es sogar gemeinsame historische Wurzeln, etwa den Philosophen und Humanisten und Politiker Shaftesbury, dessen Ideen für die Entwicklung der englischen Gartenarchitektur von zentraler Bedeutung waren.

Aber allgemeiner: Ich meine, dass die idealistische Philosophie und die Ideen, die dem französischen Barockgarten zugrunde liegen, noch stark theologisch geprägt waren. Hegel zufolge ist, so wurde mir einmal erzählt, jeder Gedanke ein Gottesdienst (oder sollte es sein), und der französische Barockgarten offenbart die alte Darstellung: „Wir Menschen, die Krone der Schöpfung, setzen der Natur etwas vor, was nicht natürlich ist!“ Es geht also auch bei diesen Barockanlagen um die Herrschaft des Menschen über die Natur, der laut Bibelbericht kein Naturwesen, sondern ein Geistwesen, gar das Ebenbild Gottes ist. Fundamentalisten und religiöse Menschen denken zumeist in diesen Kategorien der Dominanz und Unterwerfung; Dein Wille geschehe!, heißt es ja auch im zentralen Gebet der Christen. Und gerade Fundamentalisten, die weiterhin Strenge fordern, wo die Gebote der Menschlichkeit Menschen schon längst human gemacht haben, halten sich für kulturell überlegen, und sind in ihrer strengen Kammer im Wirklichkeit doch die kulturell weit Unterlegenen.

In der englischen Philosophie ist der Naturbegriff ein anderer. Da spielt die Natur bei vielen Denkern eine weitaus positivere Rolle. Die meisten englischen Philosophen verteidigten ein Menschenbild, das dem christlichen – dem zu folge die menschliche Natur verderbt, sündhaft und der göttlichen Gnade bedürftig ist –, diametral entgegen gesetzt ist. Und dem englischen Deismus zufolge offenbart sich Gott in der Natur und in keinem heiligen Buch. Im Buch der Natur lernen wir die Ideen Gottes kennen, in God´s work also, und nicht in God`s word! Der Deismus, dem auch Adam Smith nahe stand (nicht jedoch Freund Hume!), knüpft hier insbesondere an die Naturphilosophie Isaac Newtons an.

hpd: Würden Sie, wenn ich dass jetzt einmal etwas salopp formuliere, sagen dass die Giordano Bruno Stiftung mit ihrem evolutionären Humanismus, der ja auch mit dem Namen Julian Huxley verbunden ist, in dieser Tradition steht und es kein Zufall ist, dass der Engländer Richard Dawkins den ersten Deschner-Preis erhalten hat? Dass also die Stiftung durchaus anglophil ist?

Streminger: In dieser Hinsicht, ja, auf alle Fälle. Der Großvater von Julian Huxley, Thomas Huxley, hat – um die Verbindung: Giordano Bruno Stiftung, Darwin, englischer Empirismus noch ein wenig zu vertiefen – ein erfolgreiches Buch über David Hume geschrieben. Thomas Huxley war ja als „Darwins Bulldogge“ berüchtigt und wies in seinem Buch über Hume darauf hin, wie sehr Darwin auch von jenem beeinflusst war bzw. wie sehr Hume bereits einige zentrale Ideen Darwins vorweg genommen hatte. Von Huxley stammt übrigens das berühmte Bonmot – gegen einen Bischof gerichtet, der ihn fragte, ob er mütterlicher- oder väterlicherseits vom Affen abstamme –, dass er lieber einen Affen zum Großvater habe als einen Bischof.

hpd: Ist die Bedeutung von Hume Ihre persönliche Setzung oder gibt es in der Kommunität der Wissenschaft so eine Art Rangliste der wichtigsten Philosophen? In England und den USA gibt es doch einen gewissen Tick ‚Rankings’ zu erstellen und hat der David Hume da einen wichtigen Platz?

Streminger: Ich mag diese Ranglisten auch nicht, aber gerade kürzlich fand eine Umfrage unter den 99 führenden Instituten der Philosophie statt, Schwerpunkt Vereinigten Staaten – bei uns würde das Ergebnis gewiss anders lauten, obwohl der Empirismus und Pragmatismus mittlerweile auch hierzulande auf der Überholspur zu sein scheint. Das Ergebnis der Umfrage war eindeutig: Hume gilt mit Abstand als der wichtigste und interessanteste Philosoph, vor Aristoteles, Kant und Wittgenstein. Also ein Schotte vor einem Griechen vor einem Deutschen vor einem Österreicher. Die Philosophie ist somit ebenfalls ein weitgehend europäischer Beitrag zur Weltkultur; auch darauf sollten wir doch stolz sein.

hpd: Also ist es nicht nur Ihre persönliche Wertschätzung...

Streminger: ....nein, nein, auf keinen Fall. Da hatte ich einfach das Glück, mich unbewusst auf die richtige geistige Autobahn begeben zu haben.

hpd: Nächstes Jahr feiern wir den 300. Geburtstag von David Hume und wenn wir einmal seine Lebenszeit nehmen, dann hat er seine Schriften vor rund 250 Jahren geschrieben, eine lange Zeit der Kulturgeschichte mit vielen Brüchen und Veränderungen. Warum ist David Hume für uns heute noch ein so wichtiger Philosoph, mit dem sich zu beschäftigen eine ertragreiche Arbeit ist?

Streminger: Die philosophischen Grundfragen: Woher, Wozu, Wohin gehen wir nachher essen? – um einmal Josef Hader zu zitieren – bleiben gleich, und Hume hat auf diese Fragen höchst interessante Antworten gegeben. Er gehört gewiss zu den größten Aufklärern, das wird wohl niemand bestreiten, manche meinen sogar, er wäre der wichtigste Aufklärer, der Vater der modernen Philosophie.