Der Hype um Ebola und die übertriebene Gefahr

Afrikas unheimliche Krankheiten

ebola_virus_em.png

Das Ebola-Virus unter dem Elektronenmikroskop
Das Ebola-Virus unter dem Elektronenmikroskop

(hpd) Von Aids bis Ebola: Der Schwarze Kontinent bleibt ein riskantes Gelände. Seine Krankheiten haben allerdings mehr mit sozialen Umständen als mit tödlichen Mikroben zu tun. Auch Ebola ist vor allem ein afrikanisches, kein globales Bedrohungsphänomen.

Afrika steht wieder mal im Blickpunkt. Die Welt schreit auf, wie wenn uns wegen Ebola eine weitere Epidemie im Ausmaß von Aids drohte. Dabei gehört das Ebolavirus nicht einmal zu den 25 wichtigsten Krankheitserregern, die uns diese Region bereits beschert hat. Neben Aids sind dies tropische Krankheiten wie Morbus Chagas, Cholera, Denguefieber, Malaria, Leishmaniose und die zwei Formen der Schlafkrankheit oder Erkrankungen, die wir in unseren Breitengraden nur allzu gut kennen: Hepatitis B, Influenza A, Keuchhusten, Masern, Darminfektionen durch Rotavirus A, Syphilis, Tetanus und Tuberkulose. Nicht zu vergessen auch Gelbfieber, Diphtherie, Mumps, Röteln, Pest, Pocken, Typhus und Paratyphus. Der Grund ist einfach. Die Wiege der Menschheit ist auch die Wiege unserer infektiösen Krankheiten.

Als der Mensch fast ausgestorben wäre

Vor zirka 100 000 Jahren wäre die Menschheit fast ausgestorben. Die Zahl unserer Vorfahren schrumpfte in Afrika zu einer Gruppe von 5000 bis 10 000 Individuen. Dadurch ist ein untereinander genetisch stark verwandter Menschentypus entstanden, ein “Beinahe-Klon”. Die genetische Vielfalt beim Menschen ist deshalb wesentlich geringer als bei den Menschenaffen. Die Ähnlichkeit unter den Menschen ist derart groß, dass es bei ihnen, evolutionsbiologisch gesehen, Unsinn ist, von Rassen zu reden. Was umgekehrt die Krankheitsanfälligkeit innerhalb der Gattung Mensch erhöht.

Konkret: Hat sich ein Mikroorganismus auf uns Menschen spezialisiert, spielt es keine Rolle mehr, auf welchem Kontinent wir leben. Unsere Abstammung – die “Out of Africa”-Hypothese – bedeutet nicht nur, dass unsere Vorfahren auf Wanderung gingen, sondern sie taten dies mit einem Rucksack voller Mikroorganismen. Wir sind nämlich von mehr als tausend verschiedenen Bakterienarten besiedelt, einer derart großen Zahl also, die einem Vielfachen unserer Anzahl Zelltypen entspricht. Wir sind ein Mikroben-Taxi, das aus allen Nähten platzt. Zum Glück machen nur wenige Keime krank.

Ausrottung der Neandertaler

Die Folge von “Out of Africa” war schon zu Urzeiten verheerend. Der Homo sapiens wurde zu einem unheilbringenden Migranten, der überall auf der Welt seine koexistierenden Cousins, etwa den Neandertaler, ansteckte und wahrscheinlich dadurch ausrottete. Was heute wie ein multipler Genozid anmutet, war ungewollt und ist eigentlich der Innovationskraft des Homo sapiens anzulasten. Die Domestizierung verschiedener Tiere ermöglichte es einigen tierspezifischen Krankheitserregern, auf den Menschen überzuspringen. Zudem erlaubte die Landwirtschaft ein dichteres Beisammensein der Menschen, was wiederum infektiösen Erregern die Ausbreitung erleichterte.

Durch die geografische Trennung der Menschheit kam es erst zu genetischen Unterschieden. In Afrika findet man gehäuft die Genvariante eines menschlichen Rezeptors (Toll-ähnlicher Rezeptor 4), weil sie gegen Malaria schützt. In unseren Regionen ging die Variante praktisch verloren, weil sie zugleich empfänglicher für bakterielle Infekte macht. Einige der tropischen Krankheiten haben die Migration aus biologischen Gründen nicht mitgemacht oder wurden nachträglich bei uns ausgerottet. Mit den großen Gewässerkorrektionen des 18. und 19. Jahrhunderts in der Schweiz hat man die Malaria in der Linthebene, im Seeland oder im Wallis zurückgedrängt, weil die Anopheles-Mücke Hauptwirt und der Mensch bloß Zwischenwirt ist. Obwohl wir in der Zwischenzeit mehrheitlich für Malaria empfänglicher geworden sind, haben wir dafür die Natur verändert, um die Krankheit loszuwerden. Für Ebola sieht die Situation ganz anders aus. Hätte dieses Virus in unseren Regionen einen geeigneten Wirt, wäre es seit Jahrtausenden bei uns in den Wild- oder Haustieren heimisch geworden.

Der derzeitige Hype um Ebola ist umso peinlicher, ja geradezu beschämend, wenn man bedenkt, dass die Malaria jährlich immer noch zirka 1,2 Millionen Menschenleben fordert. Anopheles-Mücken könnten in jedem Flug aus Afrika mitreisen. Sollte es bei uns einmal wieder wirklich wärmer werden, würde diese Mücke bei uns sicher wieder Biotope finden. Trotzdem fürchten sich die Menschen vor dem Ebolavirus mehr als vor dem Malaria-Erreger. Aids ist ebenfalls fast ganz aus den Schlagzeilen verschwunden: Wen kümmert es, dass südlich der Sahara fast 25 Millionen HIV-Infizierte leben?

Man spielt derzeit hemmungslos mit der Angst, Ebola könnte bei uns großräumig ausbrechen und sich zu einer Pandemie entwickeln. Diese Angst ist unbegründet, weil das Ebolavirus andere klimatische Bedingungen und geeignete Wirte brauchen würde. Dieses Virus ist deshalb nur begrenzt migrationsfähig, weshalb es auch damals nicht mit unseren Vorfahren auf Wanderschaft ging. Selbst mit der Sklaverei hat das Virus den Sprung nach Amerika nicht geschafft. Eine Überquerung mit dem Schiff dauerte länger als die Krankheit. Biologisch gesehen, ist der Mensch kein tauglicher Wirt für Ebolaviren. Das Virus bringt den Menschen viel zu rasch um, und die Überlebenden werden immun. Das Ebolavirus hat in früheren Zeiten ganze Stämme ausgerottet und tat dies so rasch, dass eine Übertragung auf weiter entfernte Populationen nicht gelang. Das ist keine erfolgreiche virale Strategie. In der Vergangenheit verschwand das Virus nach einigen Zyklen im Menschen jeweils wieder und überlebte nur im Tierreich.

Pocken und Pest: Tödlichere Strategien

Das Pockenvirus und das Pestbakterium hatten eine wirkungsvollere Strategie. Die Krankheit und somit die Ansteckungsgefahr dauerten viel länger als bei Ebola. Derzeit werden Flüge aus Afrika so behandelt, als ob es sich um einen kontinentalen Übertritt handeln würde wie bei der Pest im 6. Jahrhundert von Konstantinopel nach Europa. Das ist verständlich, denn, so wie die historische Schifffahrt eine neue Migration ermöglichte, fürchtet man heute, dass Viren zu blinden Flugpassagieren werden. Diese Angst freilich ist stark übertrieben. Man kann davon ausgehen, dass in den letzten Monaten Hunderte von Flügen im Ebola-Gebiet gestartet sind mit Destinationen innerhalb und außerhalb Afrikas. Darunter befanden sich sicher auch Ebola-Infizierte. Trotzdem hört man nichts davon, dass Menschen in einem Flugzeug angesteckt worden seien.

Das Virus ist nicht entfernt so infektiös wie etwa das Masernvirus oder Grippeviren. Fürchten muss man sich vor allem vor dem fortgeschrittenen Stadium bei Ebola-Patienten, wenn es zu unkontrollierten Ausscheidungen von Fäkalien und Erbrochenem kommt. In einem solchen Zustand ist man aber sicher nicht mehr flugtauglich. Ungeachtet dessen gibt es in Amerika bereits Passagiere, die in B-Waffen-tauglichen Schutzanzügen die Reise antreten möchten. Ironischerweise passiert dies in dem Land, in welchem den Indianern pockenverseuchte Wolldecken und Kleider überreicht wurden, um sie absichtlich umzubringen.

Ebola ist ein afrikanisches, kein globales Phänomen. Entstehungsbedingungen und Gefährlichkeit haben sehr viel mit dem Kontinent zu tun, auf dem das Virus zu Hause ist. Der Ausbruch von Ebola ist geradezu ein Paradebeispiel für die Krankheitswirkung bestimmter kultureller Überlieferungen. Traditionelle Bestattungsrituale und Voodoo-Glaube waren neben der unzureichenden Hygiene ein Hauptgrund für das Ausbrechen der Krankheit.

Dies allerdings ist kein Grund, mit dem Finger auf Afrika zu zeigen. Schließlich sind es bei uns auch Anhänger religiöser Sekten, die sich weigern, sich gegen die Masern impfen zu lassen, oder Pflegepersonal, das sich weniger gegen die Grippe impfen lässt als der Durchschnitt der Bevölkerung. Sechzig Prozent der Schweizer glauben gemäß Umfragen, reines Wasser und Zucker seien ein Medikament. Seit wir die Homöopathie in unserer Verfassung verankert haben, haben wir kein Recht, über Voodoo zu lächeln.

Ebola ist nicht Aids

Die Ebola-Hysterie wurzelt in falschen Parallelen zum HI-Virus. Es waren der Zeitgeist, die sexuelle Revolution, die Aids erst die Möglichkeit gaben, pandemisch zu werden. Anders als das Ebolavirus hat dieses Virus den Sprung vom Tierreich auf den Menschen vor Tausenden von Jahren vollzogen und ist seither ein rein Menschen-pathogenes Virus.

Aus viraler Sicht hat HIV eine perfekte Strategie entwickelt, um im Menschen zu verweilen. Für die Fähigkeit, sich weltweit zu vermehren, war es aber auf geänderte Verhaltensweisen und technische Innovation angewiesen. Zu den ersten Aids-Opfern in der Schweiz gehörten Bluter, die aufgrund von modernen Medikamenten und der Bluttransfusion angesteckt wurden. Die erste in Afrika dokumentierte Ebola-Epidemie wurde ebenfalls durch verseuchte Injektionsnadeln verursacht, da die behandelnden Nonnen bloß fünf Injektionsnadeln besaßen. Daraus von Ebola auf Aids zu schließen, ist freilich nicht zulässig.

Das Ebolavirus hat einen weiteren makabren Nachteil gegenüber den allermeisten anderen Viren. Mit seiner relativ kurzen Inkubationszeit von sieben bis zwanzig Tagen und dem schweren Krankheitsverlauf weiß man jederzeit rasch, wo das Virus steckt. Man kann es alleine mit Quarantänemaßnahmen eingrenzen und zurückdrängen.

Eine rationale Abschätzung der Ansteckungsgefahr scheint für die meisten Menschen dennoch nicht möglich. Man kann es nicht genug betonen: Das Ebolavirus kann nicht fliegen, und ein Patient müsste einen Menschen sehr unappetitlich anspucken oder anhusten, um eine Gefahr darzustellen. Aber eben, es scheint, dass unser Affengehirn gerne mit Risiken flirtet und dafür echte Gefahren ausblendet. Bis hierhin kann man die Situation nüchtern zusammenfassen: Dem Ebolavirus fehlt die biologische Fähigkeit, eine Pandemie zu verursachen. Während der früheren und der heutigen Ausbrüche hätte das Virus genügend Möglichkeiten gehabt, auf Wanderschaft zu gehen. Was es aber nicht tat, da es sich für Wanderungen nicht besonders eignet. Obwohl man das eigentliche Reservoir des Ebolavirus nicht kennt, deutet vieles darauf hin, dass es Flughunde sind, die bei uns nicht vorkommen. Einigen anderen Tierarten scheint jeweils das gleiche Schicksal zu blühen wie dem Menschen. Sie werden angesteckt, erkranken und sterben, ohne wirklich zum Wirt für das Virus zu werden. Es existiert auch keine neue technische Errungenschaft, keine spezielle Drogenszene, welche dem Virus neue Fähigkeiten verleihen würde.

Afrikas Seuchenherde

Trotz der begrenzten Gefährlichkeit des Ebolavirus bleibt Afrika ein seuchenmäßig riskanter Kontinent. Luis Gomes Sambo, der Regionaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Afrika, führte bereits 2010 aus, dass 63 Prozent der Todesfälle in Afrika auf ansteckende Krankheiten zurückzuführen sind. Auch wenn Aids damals für zirka 15 Prozent aller Todesfälle verantwortlich war, sind heute in Afrika viele ansteckende Krankheiten im Prinzip Zoonosen: Der Mensch steckt sich beim Tier an. Bei der noch herrschenden Armut in ländlichen Gebieten ist es unmöglich, etwa die Jagd auf wilde Tiere oder den Umgang mit Haustieren derart zu verändern, dass man nicht auch weiterhin mit Ausbrüchen von verschiedenen Krankheiten in Afrika rechnen muss. Es ist eine Tatsache, dass Afrika im Unterschied zu anderen Kontinenten, trotz oder wegen der Abermilliarden an Entwicklungshilfe, immer noch keinen genügenden Selbstversorgungsgrad in der Medizin erreicht hat. Die WHO hat für Afrika als Entwicklungskontinent gerade mal 350 essenzielle Medikamente definiert. Die Antibabypille findet sich darin nicht, bloß das Kondom. Wer sich bei uns mit dieser minimalen Apotheke pflegen müsste, würde auswandern.

Gefährlich für Afrika, nicht für Europa

Die WHO betreibt zudem zahlreiche Impfprogramme für Afrika und behandelt diesen Kontinent so, wie wir unsere Kleinkinder behandeln. Neuerdings kämpfen Unicef und Pampers-Hersteller gar gemeinsam für kostenlose Tetanusimpfungen. Die bewundernswerte Aktion macht deutlich, dass in Afrika die allereinfachsten medizinischen Grundlagen nicht gegeben sind. Das macht Afrika zu einem gefährlichen Kontinent – für Afrikaner, weniger für Europäer, die gegen die meisten der in Afrika noch immer gefährlichen Krankheiten geimpft oder gewappnet sind. Sollte die Impfdisziplin in Europa, in der Schweiz allerdings nachlassen, könnte Afrika für uns seuchenmäßig wieder zum Problem werden, weit bedrohlicher als jetzt bei Ebola.

Zum Schluss: Uno und WHO spielen aktuell eine traurige Rolle. Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon macht auf Alarmismus, statt zu beruhigen: “Wir müssen Versprechen zu Taten machen. Wir brauchen mehr Ärzte, Pfleger, Ausrüstung, Behandlungszentren und Evakuierungskapazitäten.” Das Problem sei “sehr ernst”.

Tatsächlich hat die Weltgesundheitsorganisation ein ernstes Problem, allerdings ein anderes als das, welches sie zu haben vorgibt. Die von der WHO zuletzt als Weltbedrohung hochgespielten angeblichen Pandemien – Vogel- und Schweinegrippe – erwiesen sich als gewöhnliche Grippen. Seither lautet die verschärfte Fragestellung: Wie finanziert man einen solchen bürokratischen Moloch, nachdem die Glaubwürdigkeit selbstverschuldet beschädigt worden ist?

Am 17. Oktober hat die WHO verlauten lassen, Ebola sei in Senegal vorbei. Der Kongo und Nigeria zeigen seit Ende September auch keine steigende Zunahme an Todesfällen mehr. Ebola wird hoffentlich bald wieder ausschließlich auf der Leinwand grassieren. Die wirklich bedrohlichen Infektionskrankheiten werden weiterhin in Afrika wüten, aber wie bis dahin ohne mediale Begleitung.

 


Dieser Artikel erschien zuerst in "Die Weltwoche" - mit freundlicher Genehmigung des Autoren hier nachveröffentlicht.

Vgl. auch "Ebola - ein tödliches Virus, aber kein Dämon" auf hpd.de