HEIDENHEIM. (hpd) Elisabeth Benz schrieb eine politische Biographie, einen 440 Seiten umfassenden Bericht über einen Revolutionär in Württemberg, Fritz Rück (1895–1959). Eine spannende und umfangreiche wissenschaftliche Biographie, geschrieben als Dissertation für die Philosophisch-Historische Fakultät der Universität Stuttgart im Jahr 2014.
Nicht ganz gewöhnlich war das auch das Zustandekommen. Elisabeth Benz (Jahrgang 1948), Mutter, Hausfrau, Lehrerin bis zu ihrer Pensionierung am Margarethe-Steiff-Gymnasium in ihrem Wohnort Giengen an der Brenz, trug in über 20 Jahren Vorarbeit eine ansehnliche Fülle von Materialien zusammen, wertete erstmals neue Quellen, Archivalien, unveröffentlichte autobiographische Manuskripte und Typoskripte aus dem Nachlass Rücks aus, unterzog sich dem mühsamen Geschäft der "oral history", interviewte zahlreiche Zeitzeugen. Ihr erstaunlich großer Fleiß erschließt sich durch Beachtung der Fußnoten. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.
Ein aufregendes Leben und Werk, präsentiert in lebendiger und anschaulicher Weise. Nicht nur Wissenschaftler werden durch die Lektüre befriedigt - an Präzision, Kohärenz und Konsistenz fehlt es an keiner Stelle - auch allen an den Lehren aus der Geschichte der Arbeiterbewegung Interessierten bietet diese politische Biographie vielfältige neue Einsichten und Erkenntnisse. Die herausragende Rolle eines nicht nur regionalen Arbeiterführers wird gewürdigt, bietet Lehrstoff und spannende Wissensvermittlung. Der sparsame Gebrauch von Fachtermini und der klare verständliche Sprachstil lassen die langjährige Pädagogin durchblicken.
Fritz Rücks Kindheit und Jugend war geprägt vom Milieu einer sozialdemokratischen Arbeiterfamilie in Gaisburg im Stuttgarter Osten. Der wissbegierige Jugendliche Fritz fand bald Interesse an Literatur. Religion dagegen langweilte ihn. Er schwänzte den Reli-Unterricht und rechtfertigte sich: "Ich glaube nicht an Gott!" Nach der Volksschule lernte er Schriftsetzer und wurde in seinem weiteren Leben zum Dichter, Schriftsteller, Journalist, Redakteur, Maler, Politiker, Gewerkschafter und Bundesvorsitzenden der Naturfreunde.
Politisiert wurde der 14-jährige in der Stuttgarter antimilitaristischen Arbeiterjugendbewegung "Freie Jugendorganisation" (FJO). Als Geselle ging er mit seinem Freund Emil Birkert kurz vor dem I. Weltkrieg auf Wanderschaft. Bei Ausbruch des Kriegs stellte er sich auf die Seite der radikalen Kriegsgegner und stand in scharfer Opposition zur opportunistischen und kriegsbefürwortenden SPD-Führung.
Die Stuttgarter Linken um Friedrich Westmeyer hatten sich, deutlich früher als ihre Genossen im Reich, von der SPD-Führung getrennt. Am 21. September 1914 war der Reichstagsabgeordnete Karl Liebknecht bei den sozialdemokratischen Kriegsgegnern in Stuttgart zu Besuch und wurde hierbei erstmals gerügt, weil er zuvor noch im Reichstag (gegen seine Überzeugung und aus Fraktionsdisziplin) für die Kriegskredite abgestimmt hatte. Fritz Rück berichtete hierüber in seinem bisher unveröffentlichten autobiographischen Typoskript: [Als Liebknecht; H.J.] "das feierliche Versprechen abgab, er werde sich nie mehr Beschlüssen der Partei oder einer ihrer Körperschaften unterwerfen, die gegen die sozialistischen Prinzipien gingen. Im Dezember 1914 löste er dieses Versprechen ein und richtete durch die Ablehnung der Kriegskredite im Reichstag die Standarte der internationalen Solidarität wieder auf." (S. 55)
Im Jahr 1918 wurde Fritz Rück, als führender regionaler Spartakist der ersten Stunde, schließlich Anführer der Novemberrevolution in Württemberg. Durch einen Kommunikationsfehler schlugen die Stuttgarter schon zu früh los und eröffneten dadurch die Reihe der Revolutionen in Deutschland. Am 4. November führte Rück die Stuttgarter Demonstrationen von Fabrik zu Fabrik um die noch Unentschlossenen zum Anschluss zu bewegen. Vom Musikpavillon auf dem Schlossplatz forderte er die Beendigung des Krieges und die Abschaffung der Monarchie. Die weit verbreitete Anekdote, dass er hierbei auch - vorausschauend und politisch korrekt geschlechtsneutral - "Brüderinnen und Brüder" zum Kampf aufgerufen habe, konnte die Autorin allerdings nicht ausdrücklich belegen. Rück wurde verhaftet (gemeinsam mit August Thalheimer) und fand sich nach dem Sturz der Monarchie wieder als Vorsitzender des ersten Arbeiterrates. Ein angebotenes Ministeramt in der neuen Regierung unter dem neuen SPD-Ministerpräsident Wilhelm Blos lehnte er ab.
In den Jahren der Weimarer Republik arbeitete er als Wanderredner und politischer Journalist (Buchtitel: "Vom 4. August bis zur russischen Revolution" 1920 und "Aus dem Tragebuch eines Spartakisten" 1926), arbeitete mit Johannes R. Becher für die Agitprop-Abteilung des ZK der KPD in Berlin und betrieb mit seiner ersten Frau Dora eine kleine Buchhandlung im Wedding. Im Jahr 1929 trat er aus der dogmatisch gewordenen KPD aus und schloss sich später der SAP und der SPD an.
Nach 1933 ins Exil gezwungen, gelangte er zunächst in die Schweiz und dann nach Schweden. Hier erlernte die schwedische Sprache, gründete er eine Familie und verfasste sieben Bücher. Neben Sachbüchern (u. a. "Tausendjähriges Schweden. Von der Wikingerzeit zur sozialen Reform") und Reportagen schrieb er auch zahlreiche, in Arbeiterkreisen weit verbreitete, Gedichte ("Kerkerblumen" und "Feuer und Schlacken. Gedichte aus Krieg und Revolution").
Im Jahr 1950 kehrte er mit seiner schwedischen Frau und den vier Kindern ins zerstörte Stuttgart zurück. Er wurde Chefredakteur der Gewerkschaftszeitung der IG Druck und Papier und 1955 zum Bundesvorsitzenden der Naturfreunde gewählt. Hier verstand er es den Verband aus einer schwierigen Situation zu konsolidieren und dessen Profil als politische Kulturorganisation zu schärfen. „Von der Wanderherberge zum Kulturheim“ war seine Orientierung.
Der zunehmenden Verbürgerlichung der SPD standen in Stuttgart gleich drei "rote Fritzen" entgegen: Fritz Rück, Fritz Helmstädter und Fritz Lamm (Michael Benz: Der unbequeme Streiter Fritz Lamm. Jude, Linkssozialist, Emigrant 1911–1977. Eine politische Biographie. Essen 2007). Der Gewerkschafter und linke Sozialdemokrat Rück kämpfte in der Adenauerzeit vor allem gegen die Wiederaufrüstung und warnte vor den "Höllenkräften" der Atomindustrie.
Im Nachkriegsdeutschland der "Nazi-Väter" war Rück für die junge Generation von Gewerkschaftern, durch seine integre Persönlichkeit und durch seine nonkonformistische Haltung, durchaus ein Vorbild.
Elisabeth Benz: Ein halbes Leben für die Revolution. Fritz Rück (1895–1959). Eine politische Biografie. 440 S.m.Abb. Klartext Verlag. Essen 2014. 29,95 Euro. ISBN 978–3–8375–1293–9.