Für die Abschaffung des § 166 Strafgesetzbuch

Menschenrechte und Religionsfreiheit – Freiheit von Religion

Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK, Artikel 10 Abs. 1) garantiert die Freiheit der Meinungsäußerung als eine der wesentlichen Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft und eine der grundlegenden Bedingungen für den gesellschaftlichen Fortschritt und die Selbstverwirklichung eines jeden Einzelnen. Die Meinungsfreiheit ist nicht nur auf Informationen und Ideen anwendbar, die positiv aufgenommen oder als unschädlich oder belanglos angesehen werden, sondern auch auf solche, die beleidigen, schockieren oder beunruhigen (z.B. Oberschlick gegen Österreich). Die Europäische Menschenrechtskonvention schützt nicht nur den Inhalt der geäußerten Ideen oder Informationen, sondern auch die Form, in der sie vermittelt werden. Ausnahmen sind eng auszulegen (u. a. Jerusalem gegen Österreich).

In seiner autoritativen Auslegung der Meinungsfreiheit aus Art. 19 des Zivilpaktes äußerte der zuständige Fachausschuss der Vereinten Nationen (VN) im Jahr 2011, Meinungsfreiheit dürfe nicht mit Berufung auf traditionelles religiöses und anderes Gewohnheitsrecht eingeschränkt werden. Das Verbot von Anzeichen mangelnden Respekts für eine Religion (wie bei Blasphemiegesetzen) sei nur unter gewissen Umständen kompatibel mit der Meinungsäußerungsfreiheit, zum Beispiel, falls es sich um ein Anstacheln von Hass und Gewalt handelt. Solche Gesetze dürften auf keinen Fall die eine Religion gegenüber der andern privilegieren oder herabsetzen und auch nicht die Kritik an religiösen Führern oder Dogmen zu verhindern suchen.

Vielmehr sind Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit im Sinne praktischer Konkordanz miteinander in Ausgleich zu bringen, wobei zu beachten ist, dass es kein Grund- und Menschenrecht darauf gibt, in seinen religiösen Gefühlen nicht verletzt zu werden. Hierauf weist die internationale Kampagne zur Abschaffung von Blasphemie-Gesetzen zutreffend hin.

Der § 166 Strafgesetzbuch steht im Konflikt zur Freiheit der Meinungsäußerung, verbürgt in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK, Artikel 10) und des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt, Artikel 19). Zudem hat die deutsche Rechtspraxis eine abschreckende Wirkung auf andere Personen.

Fazit

In dem Maße wie der Staat religiöse Dogmen bevorrechtet, verliert er den Charakter eines Rechtsstaats.

Daher ist es das Gebot der Stunde, unsere Rechtspolitik an den Anforderungen einer pluralen Gesellschaft auszurichten und sie so zukunftssicher zu machen. Wie Thomas Fischer, Richter am Bundesgerichthof, in der ZEIT Anfang März forderte: "Vielmehr sollte § 166 StGB ganz gestrichen werden. Ersatzlos." Das damit zusammenhängende Geflecht von Absicherungen und Stabilisatoren der religiösen Bevorrechtung stünde vor dem Aus. So die Ziffer 10 des Pressekodex des Deutschen Presserats und § 5 des Gesetzes zum Westdeutschen Rundfunk (WDR), um nur einige der Beispiele zu nennen.

Auch international wäre die Abschaffung des § 166 Strafgesetzbuch ein wichtiges Signal für die Stärkung internationaler Standards bei Grund- und Menschenrechten. Denn das deutsche Blasphemie-Religionsstrafrecht ähnelt fatal dem so mancher irdischer Gottesstaaten – bis auf das Strafmaß, hierzulande und heutzutage „nur“ Geld- und Haftstrafe, andernorts folgt auf Blasphemie Folter, Todesstrafe und gesellschaftliche Ächtung der Hinterbliebenen. Wie derzeit in den Medien zum Fall des saudi-arabischen Bloggers Raif Badawi zu verfolgen ist. Die deutsche Politik sollte sich konsequenterweise aus den antiken und mittelalterlichen Relikten des eigenen Religionsstrafrechts verabschieden und nicht nur das Strafmaß in anderen Ländern als "grausam, falsch, ungerecht und sowieso völlig unverhältnismäßig" (Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier) kritisieren. Und so mit Vorbildfunktion weitere Länder ermutigen, sich in die internationale Menschenrechtsagenda einzubringen.

 


Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Autorin von blog-rechtsanwael.de