Kommentar zum Kirchgeld-Urteil des EGMR

Kirchen dürfen auch weiterhin munter in die Taschen von Nicht-Mitgliedern greifen

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Auch Nicht-Kirchenmitglieder müssen weiter zahlen
Geld

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat heute über das "besondere Kirchgeld" geurteilt. Es befand den in Deutschland durch das Kirchgeld praktizierten Zugriff der Kirchen auf das Einkommen von Nichtkirchenmitgliedern für rechtens.   

Das besondere Kirchgeld ist eine spezielle Kirchensteuer für Kirchenmitglieder, deren Ehepartner keiner Kirche angehört ("glaubensverschiedene Ehe"). Muss das Kirchenmitglied mangels eigenen Einkommens selbst keine Kirchensteuer zahlen (sog. Hausfrauenehe), hat aufgrund seines gut verdienenden konfessionsfreien Partners aber doch einen höheren Lebensstandard und somit persönlich eine höhere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit als ohne die Ehe, darf die Kirche mit dem besonderen Kirchgeld den sogenannten "Lebensführungsaufwand" des einkommenslosen kirchenangehörigen Ehegatten besteuern. Grundlage für die Berechnung dieses Lebensführungsaufwandes ist das "gemeinsam zu versteuernde Einkommen" des Ehepaares. Damit zahlt mittelbar auch das Nichtkirchenmitglied Kirchensteuer. 

Darin sahen drei der fünf Beschwerdeführer, welche sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wandten, eine Verletzung ihrer negativen Religionsfreiheit (zwei Beschwerden betrafen nicht das besondere Kirchgeld sondern die Berechnung der Kirchensteuer). Neben den Beschwerdeführern waren die beiden Großkirchen und die Giordano-Bruno-Stiftung als sachverständige Drittbeteiligte in das Verfahren involviert und reichten Stellungnahmen ein.

Vier der fünf Beschwerden hat der Gerichtshof heute als unzulässig zurückgewiesen (Klein u.a. gegen BRD, Nr. 10138/11 u.a.) Begründung: Das besondere Kirchgeld werde von den Kirchen und nicht vom deutschen Staat erhoben und den Betroffenen stünde es nach dem deutschen Recht frei, jederzeit aus der Kirche auszutreten. Bei dieser Argumentation verkennt der Gerichtshof die Verquickung zwischen dem deutschen Staat und den Kirchen im Rahmen der Kirchensteuererhebung. Denn die Steuerbehörden berechnen die Kirchensteuern und das besondere Kirchgeld selbst im bundeseinheitlichen Steuersystem ELSTER, einer Software für die Festsetzung der Einkommensteuer. Zwar verwendet das ELSTER-Programm bei der Berechnung der Höhe des besonderen Kirchgeldes die von den Kirchen festgelegte Kirchgeldtabelle. Juristisch entscheidend ist hier jedoch der Punkt, dass letztlich der deutsche Staat handelt und nicht die Kirchen als nichtstaatliche Institutionen. Dementsprechend trägt der Staat auch die Verantwortung. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil die Kirchen nach dem deutschen Recht selbst überhaupt keine Möglichkeit hätten, auf die Daten des nicht der Kirche angehörigen Ehepartners zuzugreifen. Die Informationen über die Höhe des gemeinsam zu versteuernden Einkommens, welches Grundlage der Berechnung des besonderen Kirchgeldes ist, erhalten sie nämlich – datenschutzrechtlich höchst problematisch – überhaupt erst durch den Staat.

Lediglich die Beschwerde des Beschwerdeführers Klein wurde als zulässig angesehen. Grund hierfür war, dass das Finanzamt einen ihm zustehenden Steuererstattungsanspruch im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung automatisch mit dem Anspruch der Kirche gegen seine evangelische Ehefrau auf Zahlung des besonderen Kirchgeldes verrechnet hatte. Mithin war er hier nicht nur mittelbar, sondern sogar unmittelbar betroffen und musste direkt das besondere Kirchgeld für seine evangelische Ehefrau zahlen. 

Im Rahmen einer Gesamtabwägung und unter Verweis auf Effektivitätsgesichtspunkte bei der Einziehung der Kirchensteuer sowie den weiten Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung ihres Kirchensteuersystems hält der Gerichtshof diesen Eingriff im Ergebnis jedoch für gerechtfertigt. Insbesondere, so der Gerichtshof, sei es die freiverantwortliche Entscheidung des Ehepaares gewesen, sich steuerlich gemeinsam veranlagen zu lassen. Hätten sie von dieser Option keinen Gebrauch gemacht, wäre auch keine Verrechnung erfolgt.

Dabei verkennt der Gerichtshof, dass es keinen inneren Zusammenhang zwischen einer gemeinsamen Veranlagung einerseits und den zu entrichtenden Beiträgen andererseits gibt. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass die Bundesrepublik und die Kirchen während des gesamten Verfahrens argumentierten, dass es sich bei der "Kirchensteuer" eigentlich nicht um eine "Steuer", sondern um "Mitgliedsbeiträge" handelt, die durch den Staat beigetrieben werden. Umso unverständlicher ist es dann jedoch, warum bestimmte Beitragsbelastungen für die Ehefrau an eine besondere steuerliche Gestaltung geknüpft sind, nämlich die sogenannte "gemeinsame Veranlagung".

Die gemeinsame Veranlagung als Wahl von Ehegatten hat nichts mit der Frage zu tun, ob die Ehegatten Mitglied einer kirchlichen Religionsgemeinschaft sind. Der entspre­chende Steuervorteil kann auch von Ehepaaren gewählt werden, die beide nicht in der Kirche sind. Der Steuervorteil hat letztlich noch nicht einmal viel mit der Frage zu tun, ob und wie die Eheleute zusammenleben. So kann das Zusammenleben für wenige Tage im Jahr bereits ausreichend sein, um für das gesamte Jahr entsprechende Steuervorteile geltend zu machen. Der Steuervorteil ist auch völlig unabhängig davon, ob die Ehepartner neben einer Zivilhochzeit auch kirchlich geheiratet haben.

Die gemeinsame steuerliche Veranlagung sagt auch nichts über die Frage aus, wieviel Geld einer Ehefrau tatsächlich zur Lebensführung zur Verfügung steht. Ob sie Zugriff auf gemeinsame Konten hat, auf dem die Einnahmen des Ehemannes eingehen oder ob dieser wöchentlich oder monatlich "Haushaltsgeld" an seine Ehefrau zur Auszahlung bringt, ist für die steuerliche Betrachtung völlig ohne Bedeutung, d.h. aus der Wahl einer bestimmten Veranlagungsart ergibt sich keinerlei Rückschluss darauf, wie die Ehegatten ansonsten im Innenverhältnis mit ihren Finanzen umgehen. Dementsprechend kann auch nicht pauschal argumentiert werden, dass die Steuerbelastung der Ehefrau durch das besondere Kirchgeld nur ein Äquivalent zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit durch die Eheschließung sei.

Mit diesen Argumenten könnten auch andere Institutionen (z.B. Sportvereine), bei denen Beiträge oder ähnliches gestaffelt nach dem Einkommen sind, auf die Idee kommen, für den Fall einer gemeinsamen steuerlichen Veranlagung höhere Beiträge zu verlangen. Dies zeigt die Absurdität der Argumentation.

Letztlich zieht sich der Gerichtshof hier, wie auch schon im Verfahren W. gegen BRD (Nr. 12884/03), bei dem es um die Beschwerde eines Steuerzahlers über die verpflichtende Angabe auf der Lohnsteuerkarte ging, aus der hervorgeht, dass er keiner kirchensteuererhebenden Religionsgemeinschaft angehört, auf den weiten Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung ihres nationalen Kirchensteuersystems zurück. Das ist enttäuschend, mangels einheitlicher Regelungen unter den Mitgliedsstaaten des Europarats zu dieser Frage aber hinzunehmen.

Wichtig zu betonen bleibt die Tatsache, dass der Gerichtshof mit seinem heutigen Urteil nicht über alle Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem besonderen Kirchgeld entschieden hat. Insbesondere noch nicht über die Rechtmäßigkeit des besonderen Kirchgeldes im Fall einer sog. Doppelverdienerehe (vgl. dazu hpd-Interview mit der Autorin vom 9. September 2016). Entsprechende Verfahren laufen derzeit noch vor den nationalen Gerichten und werden von der Giordano- Bruno-Stiftung unterstützt.

Lehre aus dem heutigen Urteil für Säkulare, welche sich für eine Abschaffung des staatlichen Kirchensteuereinzugs im Allgemeinen und des besonderen Kirchgeldes im Besonderen einsetzen, ist, dass neben der juristischen Auseinandersetzung auch das Engagement im rechtspolitischen Bereich weiter ausgebaut werden muss und mithilfe säkularer Rechtspolitiker in den Parlamenten der einzelnen Bundesländer Reformen angestrengt werden müssen, so dass derartige Eingriffe in die negative Religionsfreiheit zukünftig nicht mehr möglich sind. Dies hat der Gerichtshof klargestellt.  

Hier die Stellungnahmen der Giordano-Bruno-Stiftung zum Download: