Das Recht auf Selbstbestimmung ist ein grundlegendes Menschenrecht!

Unglauben

BERLIN. (hpd) Ein Sachbuch zu einem Thema appelliert vornehmlich an den Verstand des Lesers. Ein Roman transportiert seine Botschaft über das Denken und Handeln von Menschen und spricht damit auch das Mitempfinden des Lesers an. Es gibt inzwischen ungezählte religions- und kirchenkritische Bücher. Romane, die sich des Themas annehmen und an menschlichen Schicksalen die zerstörende Macht religiöser Zwangssysteme demonstrieren, sind noch nicht so verbreitet.

Im vorliegenden Roman wird das Leben einer jungen Frau nachgezeichnet. Sie kämpft mit ihren Gefühlen und unbewussten Sehnsüchten gegen eine diesseitsabgewandte und liebesfeindliche, kompromisslos und engstirnig gelebte Religion. Sie ist den patriarchalischen Strukturen des Elternhauses und dem psychischen Druck der religiösen Gemeinde, der sie zwangsläufig angehört, ausgeliefert und spürt doch das Verlangen, sich dieser Fremdbestimmung zu entziehen.

Cover

Rosalinde, die zentrale Gestalt des Romans, erfährt durch Freunde von Freundinnen, durch ihre Tätigkeit als Krankenschwester und durch die Großeltern, dass es auch noch eine Welt außerhalb der Enge des religiösen Korsetts gibt, das ihr der Vater und die sektenhafte Gemeinde angelegt haben. Sie beginnt zu ahnen, ohne noch den rechten Mut dazu zu haben, dass sie, um ihr Leben zu leben, den Käfig, in den sie hineingeboren wurde, verlassen muss. Die Gedanken, die Worte, das Handeln dieser Frau, noch halb Mädchen, sind so nachvollziehbar beschrieben, dass man als Leser mitleidet. Erst nach einem als persönliche und familiäre Katastrophe empfundenen Ereignis gelingt ihr ganz allmählich, das Tor zur Befreiung, zu einem selbstbestimmten Leben wenigstens aufzustoßen. Einem Leben, das noch sehr viele Fragen bereithält und noch so viel Ungeklärtes aus der Vergangenheit mitschleppt. Sie wird es am Ende dennoch schaffen.

Es ist ein lesenswertes Buch entstanden, spannend von der ersten bis zur letzten Zeile, in schöner, anschaulicher und bildhafter Sprache verfasst, ein Buch, das vor dem Leser wie ein Film abläuft. Die Dialoge und Beobachtungen sind einfühlsam gestaltet und klingen so authentisch, als ob auch Autobiographisches oder Familiengeschichtliches eingeflossen wäre. Der Autorin gelingt es, den Spannungsbogen nie abreißen zu lassen. Personen und Ereignisse treiben die Geschichte immer dann weiter, wenn man meint, dass die Protagonistin den Kampf verlieren könnte. Alle Beteiligten werden sorgfältig gezeichnet. Die Autorin widersteht der Versuchung, die unsympathischen Widersacher der um ihr eigenes Leben kämpfenden Frau zu Karikaturen werden zu lassen. Auch sie sind ja Gefangene ihres konstruierten Gedankensystems. Es ist ein aufklärendes Buch, ohne belehrend wirken zu wollen. Es ist ein aufrüttelndes Buch, ohne die Dramatik zu überziehen. Es ist letztlich ein Optimismus verbreitendes Buch, weil es an die Kraft des Einzelnen glaubt, sich von angemaßter Vormundschaft befreien zu können.

Der Vermutung ist zu widersprechen, dass in diesem Roman eine kaum noch vorzufindende fundamentalistische Religionsausübung thematisiert würde. Einerseits schleppen immer noch viele, inzwischen schon Ältere, die noch frühkindlicher religiöser Indoktrination ausgeliefert waren, diese seelische Hypothek mit sich herum, ohne sich wirklich von ihr befreit haben zu können. Andererseits sind es heute vor allem die freikirchlichen Gemeinden, die einen enormen Druck auf die ihnen ausgelieferten Jugendlichen ausüben, sich von aufklärender Wissenschaft fernzuhalten und von ihrem Recht auf Selbstbestimmung Gebrauch zu machen. Nicht zuletzt ist es eine zugewanderte, in der Voraufklärung stehen geblieben Religion, die vielfach ihren Jugendlichen das Recht verwehrt, ihr Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten.

 


Elke Metke-Dippel, Unglauben, Turmhut-Verlag, 2014, 174 Seiten. 11,99 Euro