Wer darf an öffentlichen Bekenntnisschulen in NRW lernen und lehren?

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KÖLN. (hpd) Alle Jahre wieder stehen die Schulleiterinnen und Schulleiter von knapp 1.000 öffentlichen Bekenntnisschulen vor der Frage, welche Kinder sie an ihrer Schule aufnehmen dürfen oder müssen. Sie sind diejenigen, die letztlich über diese Frage entscheiden. Man sollte meinen, dass es Gesetze und Verordnungen gibt, die diese Fragen klar beantworten. Doch offenbar verlieren sich die Schulleiter öfter einmal im Dschungel der Gesetze und Verordnungen. Kein Wunder, gibt es doch fast jedes Jahr Änderungen am Schulgesetz und an den einschlägigen Verordnungen.

Nehmen wir einmal den Fall der Sebastianusschule in Würselen. Es handelt sich hier um eine städtische katholische Grundschule. Auf deren Webseite steht eine auf den ersten Blick klare und eindeutige Rangfolge der Kriterien, nach denen die Aufnahme von Kindern an der Schule bewertet wird:

Aufnahmekriterien für die Sebastianusschule (Katholische Bekenntnisschule) sind:

  • Zugehörigkeit des Kindes zum katholischen Bekenntnis (Taufe)
  • Zugehörigkeit des Kindes zum griechisch oder russisch orthodoxen Bekenntnis
  • Zugehörigkeit zum evangelischen Bekenntnis
  • Geschwisterkinder
  • Schulwege (kurze Beine, kurze Wege)
  • Muslimische Kinder
  • Kinder, die keinem Bekenntnis angehören (ohne Taufe)

Über Ausnahmen entscheidet die Schulleitung.

Für alle Kinder ist der katholische Religionsunterricht Pflicht. Das Fach Religion wird benotet. Eltern, deren Kinder nicht katholisch sind, müssen sich mit der Erziehung an einer katholischen Bekenntnisschule und der Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht einverstanden erklären.

Man wundert sich, an welcher Stelle der Rangliste hinduistische, buddhistische oder spaghettimonstergläubige Kinder stehen. Das sind wohl die Ausnahmen, über die sich die Schulleitung eine Entscheidung vorbehält. Klar ist: Alle christlich getauften Kinder haben an dieser Schule gute Karten, sofern sie sich mit dem Kleingedruckten einverstanden erklären. Nicht christlich getaufte Kinder, die aber ein Geschwisterkind an der Schule haben, dürfen offenbar auch noch ganz hoffnungsfroh sein, einen Platz zu erhalten. Schlechter sieht es aus für Kinder mit kurzen Beinen und weiten Wegen sowie für muslimische Kinder. Und alle Hoffnung fahren lassen dürfen Eltern, die sich noch nicht zu einer Taufe durchringen konnten.

Zurück zum Gesetz und zu den Verordnungen, die für die Schulleitung der Würseler Schule offenbar eher eine kreative Handreichung darstellen. Das Schulgesetz enthält keine klaren Vorgaben, sondern verweist auf die einschlägige Ausbildungsordnung. Tatsächlich findet sich in der Ausbildungsordnung Grundschule – unter Fachleute als AO-GS bekannt – eine recht eindeutige Liste, die Schnittmengen mit jener der Grundschule in Würselen aufweist. Wenn es mehr Anmeldungen als verfügbare Schulplätze gibt, so die AO-GS, soll "eines oder mehrere" der folgenden Kriterien herangezogen werden:

  1. Geschwisterkinder,
  2. Schulwege,
  3. Besuch eines Kindergartens in der Nähe der Schule,
  4. ausgewogenes Verhältnis von Mädchen und Jungen,
  5. ausgewogenes Verhältnis von Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher Muttersprache.

Nun kommt an Bekenntnisschulen, auch wenn es sich wie in NRW um öffentliche Grundschulen handelt, die vollständig staatlich finanziert sind und sich in städtischer und nicht etwa in kirchlicher Trägerschaft befinden, eine religiöse bzw. konfessionelle Komponente hinzu.

Tatsächlich ist das in einer "Verwaltungsvorschrift zur AO-GS" mit der reizenden Abkürzung VVzAO-GS genauer festgelegt. Hier finden wir nun keine Liste, sondern folgende Festlegung, wie die Eltern mit der Gretchenfrage konfrontiert werden sollen. Oder besser, welche Konsequenzen deren Beantwortung für die Aufnahme ihres Kindes auf einer Bekenntnisgrundschule hat. In der VVzAO-GS also heißt es in Ziffer 1.23 (in der letzten uns vorliegenden Fassung vom 1.12.2014):

Die Wahl der Schulart steht den Eltern zu Beginn eines Schuljahres frei (§ 26 Abs. 5 SchulG).
In eine Bekenntnisschule darf ein Kind aufgenommen werden, wenn es entweder
a) dem entsprechenden Bekenntnis angehört oder
b) dem Bekenntnis nicht angehört, die Eltern (§ 123 SchulG) aber ausdrücklich übereinstimmend wünschen, dass es nach den Grundsätzen dieses Bekenntnisses unterrichtet und erzogen werden soll.

Im Ausnahmefall sind Kinder als Minderheit dann in eine Bekenntnisschule aufzunehmen, wenn eine öffentliche, ihrem Bekenntnis entsprechende Schule oder eine Gemeinschaftsschule auf dem Gebiet des Schulträgers nicht besteht oder nur bei Inkaufnahme eines unzumutbaren Schulweges erreichbar ist.

Hier nun wird es kompliziert. Zunächst einmal: Die Verwaltungsvorschrift nimmt eine Klassifizierung in drei Gruppen vor: 1. dem Bekenntnis der Schule angehörende Kinder, 2. andere Kinder, deren Eltern sich eine Unterrichtung und Erziehung im Sinne des Schulbekenntnisses wünschen, und 3. Kinder, die als Minderheit trotz ihres abweichenden Bekenntnisses in die Schule aufgenommen werden müssen, weil sie schulpflichtig sind und es keine zumutbare Alternative gibt.

Und dann gibt es noch eine sogenannte "Schulmail" von November 2013, die den Lehrern helfen soll bei der Frage, welche Kinder Anspruch auf Aufnahme haben. Nach diesem mit den Kirchen abgestimmten Runderlass des Schulministeriums dürfen Bekenntniskinder bei der Aufnahme an öffentlichen Bekenntnisschulen nicht vorgezogen werden – sofern die Eltern anderer Kinder erklären, dass sie eine Unterrichtung und Erziehung "nach den Grundsätzen des an der Schule vermittelten Bekenntnisses" wünschen, womit sie auch der Teilnahme im Religionsunterricht zustimmen. Die Konsequenz: die Kriterien der AO-GS sind maßgeblich, nicht die tatsächliche Konfession.

Es war wohl diese Ausgangslage, die jüngst dazu führte, dass ein katholisch getauftes Kind von der nächstgelegenen Grundschule – einer katholischen Bekenntnisschule – abgelehnt wurde, während ungetaufte Kinder an der Schule aufgenommen wurden, die noch näher an der Schule wohnen. Die Familie klagte gegen die Ablehnung und erhielt recht, das Kind musste doch aufgenommen werden.

Überhaupt haben Verwaltungsgerichte in Nordrhein-Westfalen gut damit zu tun, über die Frage der Aufnahme an Grundschulen zu entscheiden. Anders als die Juristen des Schulministeriums sehen sie in Verfassung und Schulgesetz keine Grundlage für eine Gleichstellung der "Erklärungskinder" im Fall eines Anmeldeüberhangs. Beispielhaft zitieren wir hier ausführlich ein Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom August 2014 (Aktenzeichen 10 L 1104/14):

Gemäß Art. 12 Abs. 3 Satz 2 LV werden in Bekenntnisgrundschulen Kinder des katholischen oder des evangelischen Glaubens oder einer anderen Religionsgemeinschaft nach den Grundsätzen des betreffenden Bekenntnisses unterrichtet und erzogen. Daraus wird deutlich, dass Bekenntnisschulen für die Kinder des jeweiligen Bekenntnisses eingerichtet werden. Bekenntnisschulen erhalten ihr bestimmendes Gepräge nicht nur durch den bekenntnismäßigen Charakter der Schulerziehung, sondern ebenfalls durch die weitgehende Homogenität ihrer Schüler- und Lehrerschaft. Das vorbehaltlose Recht, eine Bekenntnisschule zu wählen, besteht demnach grundsätzlich nur für Kinder des entsprechenden Bekenntnisses. Eine Bekenntnisschule, in der losgelöst von den Grundsätzen eines bestimmten Bekenntnisses Kinder gleich welchen Bekenntnisses unterrichtet werden, ist der Landesverfassung ebenso fremd wie eine allgemeinchristliche oder bikonfessionelle Bekenntnisschule. Der Anspruch eines bekenntnisfremden Kindes auf Aufnahme besteht daher nur ausnahmsweise, wenn dieses Kind weder eine Schule des eigenen Bekenntnisses noch eine Gemeinschaftsschule in zumutbarer Entfernung erreichen kann. Letzteres ist ausdrücklich in Art. 13 LV geregelt.

[…] Von daher steht einem bekenntnisfremden Schüler grundsätzlich nicht der Weg zur Aufnahme in eine katholische Bekenntnisschule offen, wenn er […] eine Gemeinschaftsgrundschule in noch zumutbarer Entfernung erreichen kann.

[…] Etwas anders gilt nur dann, wenn Eltern Wert darauf legen, ihr Kind nach den Grundsätzen eines Bekenntnisses zu erziehen bzw. erziehen zu lassen, dem es formell nicht angehört. Eine im Hinblick auf Art. 4 Abs. 1 Grundgesetz und das Gesetz über die religiöse Kindererziehung zu beachtende Wahl der Erziehungsberechtigten kann zu einer ausnahmsweise zu gewährenden Aufnahme führen, wenn dadurch die notwendige "formelle Homogenität" der Schülerschaft nicht gefährdet wird. Bei einer nennenswerten Zahl bekenntnisfremder Kinder würde ansonsten der Bekenntnischarakter der Schule in Gefahr geraten. In diesem zulässigen Rahmen dürfen bekenntnisfremde Kinder, deren Eltern den Wunsch nach einer schulischen Erziehung im Sinne des fremden Bekenntnisses äußern, nicht zurückgewiesen werden, wenn die Aufnahmekapazität Raum für die Aufnahme lässt. Sollten allerdings für die Aufnahme aller Kinder nicht genügend Plätze zur Verfügung stehen, können bekenntnisfremde Kinder keinen Vorrang vor den Kindern erhalten, für deren Bekenntnis die Schule errichtet worden ist. Dies folgt aus dem grundsätzlichen Ausnahmecharakter der Aufnahme bekenntnisfremder Kinder.

Zurück zur Sebastianusschule Würselen: Hier darf die Schulleitung offenbar im Einklang mit geltendem Recht alle nicht katholisch getauften Kinder diskriminieren. Für die oben dargestellte Rangfolge gibt es allerdings keine gesetzliche Grundlage.

Soviel zu jenen, die an einer Bekenntnisgrundschule in Nordrhein-Westfalen lernen dürfen. Aber wer darf die Kinder im Sinne des Schulbekenntnisses unterrichten? Tatsächlich war das bis zur Gesetzesänderung von Frühjahr 2015 noch recht eindeutig geregelt: Alle Lehrkräfte an staatlichen Bekenntnisschulen mussten laut Schulgesetz der entsprechenden Konfession angehören. Seit 1. April 2015 gibt es auch Ausnahmen. Das Gesetz sagt zwar immer noch:

An Bekenntnisschulen müssen

  1. die Schulleiterin oder der Schulleiter und
  2. die übrigen Lehrerinnen und Lehrer dem betreffenden Bekenntnis angehören. Sie müssen bereit sein, im Sinne von Absatz 3 Satz 1 an diesen Schulen zu unterrichten und zu erziehen.

Es folgt allerdings ein Nachsatz, der ausdrücklich Ausnahmen von der Bekenntnisbindung erlaubt: Zur Sicherung des Unterrichts sind Ausnahmen von Satz 2 Nummer 2 zulässig.

Konkret läuft das darauf hinaus, dass sich seit diesem Schuljahr auch un- oder andersgläubige Lehrkräfte auf viele Stellen bewerben können, die in einer ersten Bewerbungsrunde nicht mit bekenntnisangehörigen Bewerbern besetzt werden können. Sie müssen allerdings immer bereit sein, die Schülerinnen und Schüler nach den Grundsätzen des betreffenden Bekenntnisses zu unterrichten und zu erziehen. Was das heißt, wird auf der Webseite der Sebastianusschule anschaulich dargestellt:

Religiöse Erziehung beschränkt sich nicht nur auf den Religionsunterricht, sondern findet regelmäßig auch in Ritualen und Feiern im Schulleben Ausdruck:

  • Morgengebete
  • Lieder
  • Wortgottesdienste und Eucharistiefeiern
  • besondere Gottesdienste (Einschulung/Martinsfeier/Weihnachten/Sebastianusfest/Schuljahresschluss/aktuelle Anlässe)

Es ist schwer vorstellbar, wie sich Lehrkräfte an Bekenntnisschulen mit einem solchen Programm identifizieren können, ohne dem Bekenntnis auch anzugehören.


Öffentliche Bekenntnisschulen in NRW in Zahlen:

947 der 2882 öffentlichen Grundschulen in NRW sind bekenntnisgebunden, 855 davon katholisch. Sie werden zu 100 Prozent aus allgemeinen Steuermitteln finanziert, die Kirchen sind weder Träger noch tragen sie zur Finanzierung bei. In 75 Kommunen gibt es ausschließlich Bekenntnisgrundschulen. Im Schnitt gehören an Bekenntnisgrundschulen lediglich knapp über 50 Prozent der Schülerinnen und Schüler dem Schulbekenntnis an.