KÖLN. (hpd) Seit dem neuen Schuljahr gelten an den über 900 staatlichen Bekenntnisgrundschulen in Nordrhein-Westfalen neue Regeln. Sie können jetzt leichter in Gemeinschaftsschulen umgewandelt werden, die Kindern und Lehrkräften unabhängig von deren Glaubensüberzeugung offenstehen. Und: Kinder, die nicht dem Schulbekenntnis angehören, können jetzt Religionsunterricht im abweichenden eigenen Bekenntnis erhalten. In beiden Fällen müssen die Eltern an der jeweiligen Schule aktiv werden.
Da im landesweiten Durchschnitt nur gut 50 Prozent der Schülerinnen und Schüler an den katholischen und evangelischen Grundschulen im Schulbekenntnis getauft sind, kann dies an vielen Schulen zu Veränderungen führen.
Zum ersten Punkt ein Beispiel. Wenn sich an einer katholischen Bekenntnisschule die Eltern von mindestens 12 muslimischen oder evangelisch getauften Kindern (egal welcher Klassenstufe!) zusammentun, so können Sie bei Ihrer Schulleitung unter Hinweis auf den Erlass des Schulministeriums vom 17. Juli 2015 beantragen, dass Religionsunterricht im jeweiligen Bekenntnis erteilt wird. Dies wird allerdings selten zu einer schnellen Einrichtung des jeweiligen Unterrichts führen. Voraussetzung ist nämlich, so der Erlass weiter, dass die personellen Voraussetzungen an der Schule erfüllt sind. Und an welcher katholischen Schule gibt es schon Lehrer/innen, die evangelischen oder islamischen Religionsunterricht erteilen können? Zumal bislang galt, dass staatliche Konfessionsschulen nur Lehrkräfte anstellen durften, die dem Schulbekenntnis angehören. Auch durch die gesetzliche Neuregelung hat sich daran grundsätzlich nichts geändert: Nach wie vor gilt, dass nur im Ausnahmefall und zur Sicherung des Unterrichts Lehrkräfte anderer Bekenntnisse eingestellt werden dürfen. Interessierte Eltern sollten dennoch einen Antrag an die Schulleitung stellen und darauf drängen, dass die neuen Bestimmungen mit Leben gefüllt werden. Formulierungshilfen für die Beantragung des islamischen Religionsunterrichts finden sich auf den Seiten des Beirats für den Islamischen Religionsunterricht in NRW.
Wesentlich weitreichender ist die zweite Neuerung, die seit diesem Schuljahr gilt: Eltern können ihre Schule mit einer Mehrheit von 50 Prozent der Stimmen in eine andere Schulart umwandeln: eine katholische oder evangelische Grundschule wird so zu einer Gemeinschaftsschule. Bisher galt für eine solche Umwandlung eine enorm hohe Hürde: für eine erfolgreiche Umwandlung mussten zwei Drittel der Gesamtheit aller Stimmberechtigten dem Antrag zustimmen.
Eine Gemeinschaftsgrundschule steht anders als eine konfessionelle Grundschule unabhängig von Religion und Herkunft allen Kindern und Lehrkräften vor Ort gleichermaßen offen und erspart zum Beispiel auch Flüchtlingskindern die Erfahrung, dass sie aufgrund der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft an einer Grundschule nicht willkommen sind. Es ist bekannt, dass viele Eltern für Ihre Kinder Bekenntnisschulen nicht aus religiösen Gründen wählen, sondern weil sie sich von einem homogenen schulischen Lernumfeld mit möglichst wenigen Kindern nichtdeutscher Herkunft bessere Bildungschancen versprechen. Nicht zuletzt aus diesem Grund findet man auch viele Kinder nichtchristlicher Familien in den katholischen und evangelischen Grundschulen.
In vielen Kommunen Nordrhein-Westfalens führt das allerdings dazu, dass Schulen, die nur wenige Straßen voneinander entfernt sind, sozial extrem unterschiedlich zusammengesetzt sind. Gelebte Integration funktioniert anders. Es liegt an den Eltern an Bekenntnisschulen, daran etwas zu ändern. Die Entscheidung über die Schulart liegt ausschließlich bei ihnen. Die Sorge, dass an der Schule nach einer Umwandlung keine christlich begründeten Feste (St. Martin, Adventsfeiern), mehr gefeiert werden dürfen, ist unbegründet: Die Landesverfassung hält in Artikel 12 ausdrücklich fest: "In Gemeinschaftsschulen werden Kinder auf der Grundlage christlicher Bildungs- und Kulturwerte in Offenheit für die christlichen Bekenntnisse und für andere religiöse und weltanschauliche Überzeugungen gemeinsam unterrichtet und erzogen."
Um ein Umwandlungsverfahren einzuleiten, müssen die Eltern von einem Fünftel aller Schulkinder einer Schule einen Antrag beim Schulamt stellen. Ein Beispiel: Wenn eine Grundschule 180 Schülerinnen und Schüler hat, müssen die Eltern von mindestens 18 Kindern in einem Schreiben an das städtische Schulamt erklären, dass sie ein Umwandlungsverfahren zur Umwandlung ihrer konfessionellen Schule in eine Gemeinschaftsgrundschule einleiten möchten. Wenn Eltern einen solchen Antrag noch bis 1. September einreichen, kann das Verfahren noch vor den Anmeldungen für das Schuljahr 2016/17 durchgeführt werden. Zukünftige Eltern wüssten dann bereits bei der Anmeldung, welche Schulart ihr Kind besuchen wird. Ansonsten gilt der 1. Februar jeden Jahres als Ende der Antragsfrist. Wenn eine ausreichende Anzahl an Anträgen gestellt wurden, führt das Schulamt eine Abstimmung unter allen Eltern durch, die gegebenenfalls zur Schulartänderung im darauffolgenden Schuljahr führt. Wichtig ist allerdings, dass möglichst viele Eltern bewegt werden können, sich an der Abstimmung zu beteiligen, da eine absolute Mehrheit von 50 Prozent aller Stimmen erreicht werden muss, auch das ist noch eine hohe Hürde.
Eine ausführliche Anleitung stellt die Initiative "Kurze Beine – kurze Wege" auf ihren Internetseiten zur Verfügung.
2 Kommentare
Kommentare
Max Ehlers am Permanenter Link
Es hat sich ein Fehler aus einer alten Fassung dieses Artikels eingeschlichen, für den ich um Entschuldigung bitte.
Mathias Voss am Permanenter Link
Kleine Korrektur zum letzten Absatz: 1/5 von 180 sind 36, nicht 18.