BERLIN. (rog) Reporter ohne Grenzen fordert die ägyptische Justiz zur Aufhebung der lebenslangen Haftstrafen für Abdullah al-Facharani, Samhi Mustafa und Mohamed al-Adli auf. Am Donnerstag beginnt in Kairo das Berufungsverfahren für die drei Journalisten, die im April in einem Massenprozess mit insgesamt 51 Beschuldigten verurteilt wurden.
"Alles andere als ein Freispruch für diese unbescholtenen Journalisten wäre unerträglich", sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Solange über Journalisten jederzeit das Damoklesschwert einer willkürlichen Verhaftung und Verurteilung hängt, ist alles Gerede der ägyptischen Regierung von Achtung für die Grundrechte schlicht absurd."
Insgesamt sitzen in Ägypten derzeit mindestens 21 Journalisten wegen ihrer Arbeit im Gefängnis, darunter auch der seit mittlerweile zwei Jahren ohne Urteil oder Hauptverfahren inhaftierte Fotograf Shawkan. Zwei Journalisten des Fernsehsenders Al-Jazeera wurden nach internationalen Protesten in der vergangenen Woche von Präsident Abdelfattah al-Sisi begnadigt und freigelassen.
Facharani und Mustafa wurden von der Deutsche Welle Akademie trainiert
Abdullah al-Facharani, Samhi Mustafa und Mohamed al-Adli wurden am 25. August 2013 in Kairo festgenommen – wenige Tage nach der gewaltsamen Auflösung eines Protestlagers von Anhängern des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi, bei der Hunderte Menschen getötet worden waren. Die Behörden beschuldigen die Journalisten, sie seien Teil einer "Kommandozentrale" zur vorsätzlichen Verbreitung falscher Nachrichten und manipulierter Bilder im Ausland gewesen.
Facharani und Mustafa gehören zu den führenden Köpfen des Bürgerjournalimus-Projekts Rassd, das auch nach dem Sturz Mursis immer wieder über Demonstrationen der heute verbotenen Muslimbruderschaft berichtete. Sie wurden in der Vergangenheit von der Deutsche Welle Akademie trainiert, und Facharani besuchte im Sommer 2012 auf Einladung des Auswärtigen Amts Deutschland. Adli ist Moderator beim Fernsehsender Amgad TV.
Die drei Journalisten wurden nach eigenen Angaben lange Zeit unter desolaten Haftbedingungen festgehalten. Polizisten hätten sie mit dem Tod bedroht, sie seien geschlagen und unter anderem mit Hilfe von Polizeihunden misshandelt worden. Erst nach sechs Monaten habe man ihnen oder ihren Anwälten Zugang zu den Ermittlungsunterlagen gewährt. Nach Angaben ihrer Anwälte und Familien wurden im gesamten ersten Prozess keine stichhaltigen Beweisepräsentiert; die Anklage stützte sich im Wesentlichen auf die Aussagen eines einzigen Polizeioffiziers.
Prozess gegen Fotograf Shawkan soll am 12. Dezember beginnen
Am 12. Dezember soll im Rahmen eines Massenverfahrens der Prozess gegen den unter seinem Pseudonym Shawkan bekannten freien Fotografen Mahmud Abu Seid beginnen. Bis zu seiner Festnahme am 14. August 2013 war er für internationale Medien wie die Fotoagenturen Corbis und Demotix sowie das deutsche Magazin Focus tätig. Er wurde am 14. August 2013 festgenommen, als er über die gewaltsame Auflösung der Protestcamps der Mursi-Anhänger berichtete.
Die Staatsanwaltschaft hat dem Fotografen unter anderem Besitz von Waffen, Teilnahme an einer illegalen Versammlung, Störung des öffentlichen Friedens, Mord und Mordversuch vorgeworfen. Das sind dieselben Anschuldigungen wie gegen Hunderte zeitgleich festgenommene Demonstranten – obwohl Abu Seids Bruder den Behörden eine Bestätigung der Agentur Demotix übergeben hat, dass er zum Zeitpunkt seiner Festnahme in deren Auftrag berichtete.
Zahlreiche ausländische Medien, für die der Fotograf arbeitete, haben sich für ihn eingesetzt. Beschwerden gegen seine willkürliche Inhaftierung sind immer wieder abgewiesen worden, seinen Anwälten wurde wiederholt Zugang zu den Ermittlungsakten verwehrt. Abu Seid soll in Polizeigewahrsam und im Gefängnis misshandelt worden sein und ist schwer an Hepatitis C erkrankt.
Während mehrere ausländische Journalisten, die zusammen mit ihm festgenommen wurden, nach kurzer Zeit freikamen, wird Abu Seid bereits seit mehr als zwei Jahren festgehalten – länger, als es das ägyptische Strafrecht vor Beginn eines Prozesses erlaubt.
Pressefreiheit nur auf dem Papier
Die Anfang 2014 verabschiedete Verfassung hat Ägypten nur auf dem Papier mehr Presse- und Meinungsfreiheit gebracht. Regierung und Justiz gehen systematisch gegen Medien mit Verbindungen zur Muslimbruderschaft oder Sympathien für die Gruppe vor. Willkürliche Festnahmen und Folter sind an der Tagesordnung. Auch ausländische Journalisten werden immer wieder ohne Grund von der Polizei festgehalten und bedroht. Nicht zuletzt infolge eines von Regierung und Staatsmedien geschürten Klimas pauschaler Verdächtigungen müssen Reporter mit Gewalt von Sicherheitskräften und Demonstranten rechnen.
Selbstzensur ist verbreitet. Viele Medien ergreifen offen Partei für Armee und Regierung, nur wenige ägyptische Journalisten wagen Kritik. Ein im August von Präsident Sisi erlassenes Anti-Terror-Gesetz sieht hohe Geldstrafen für Journalisten vor, die andere als die von den Behörden verbreiteten Angaben über Terroranschläge verbreiten.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Ägypten auf Platz 158 von 180 Staaten.