Der Tiermaler Wilhelm Kuhnert in der Nationalgalerie

Wildnis im Fragment

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Wilhelm Kuhnert: "Verdächtiges Geräusch"
Wilhelm Kuhnert: "Verdächtiges Geräusch"

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Elefantenspitzmaus
Elefantenspitzmaus

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Sekretär
Sekretär

BERLIN. (hpd) Als in Europa die Zoos das Publikum verzückten und der Kolonialismus die Welt aufteilte, malte er Tiere nicht hinter Gittern, sondern im tiefen Afrika. Für seine Bleistiftzeichnungen, seine Skizzen beobachtete Wilhelm Kuhnert die Tiere in ihrer natürlichen Umgebung und studierte ihr Verhalten genau. Bekannt wurde er als Illustrator von "Brehms Tierleben". Die Alte Nationalgalerie in Berlin widmet ihm zum 150. Geburtstag eine Ausstellung.

Über 6.000 Zeichnungen und Skizzen werden im Werkverzeichnis aufgeführt. Manchmal ist nur ein Vorderteil eines Tieres zu sehen oder eine Tatze in unterschiedlichen Positionen. Das Gehörn eines Kaffernbüffels von oben. Die Rückenlinie eines schlafenden Leoparden im Baum. Bravurös gibt der Stift die Struktur des Horns wieder oder das Lichtspiel auf dem getupften Fell. Ein Fuchs drückt sich, als pirsche er sich an, platt auf den Boden. Ein anderer presst schläfrig den Kopf zwischen die Vorderpfoten. Ein Flamingo findet sich gleich ein halbes Dutzend mal in unterschiedlichen Kopfhaltungen auf dem Blatt. Ein Sekretär mit Adlerkopf und Storchenbeinen schaut sich über die Schulter, plustert sein üppiges Gefieder oder posiert auf einem Bein.

Hundsaffe, Foto: © Andreas Kilger, Stiftung Preussischer Kulturbesitz
Hundsaffe, Foto: © Andreas Kilger, Stiftung Preussischer Kulturbesitz

Wilhelm Kuhnerts Strich offenbart eine Jahrhunderte alte Zeichenkultur, eine akademische Tradition im besten Sinne, nun im Dienst der Naturwissenschaft. Das flauschige Fell eines Wickelbären, der üppige Haarschopf eines Hundsaffen, der Glanz in den Augen einer Grant-Gazelle – der 1865 in Oppeln geborene Maler kommt bei ihrer Wiedergabe ohne Umrisslinien aus. Allein die Schattierungen geben den Körpern Tiefe und Plastizität und Raum. Sie unterstreichen den Körperbau. Eine feine Spannung belebt die Gliedmaßen.

Und doch, Kuhnert war nicht nur Künstler, sondern auch Jäger. Dreimal, 1891, 1905 und 1911, brach er zu Afrika-Expeditionen auf. Die letzte organisierte er selbst. Er geriet in Widerstandskämpfe der einheimischen Bevölkerung gegen die Kolonialherren in Ostafrika, den "Maji-Maji-Aufstand", beteiligte sich 1905 an einer Militäraktion, um weiter hinaus in die Wildnis zu gelangen, und bei seiner letzten Expedition schoss er selbst das Großwild, um 800 Träger und Bedienstete zu ernähren. Zum Malen zog er immer gleich mit Staffelei und schussbereitem Jagdgewehr in den Busch. Manche Zeichnungen entstanden nicht nach lebendem, sondern nach erschossenem Modell, und manche vor den Expeditionen natürlich auch im Zoo. Selbst er war noch einer Zeit verhaftet, in der Biologie vor allem im Anatomie- und Seziersaal betrieben wurde.

Hyäne mit Beute, Foto: © Andreas Kilger, Stiftung Preussischer Kulturbesitz
Hyäne mit Beute, Foto: © Andreas Kilger, Stiftung Preussischer Kulturbesitz

Aber auch einer, in der nach Darwin die Neugier grenzenlos war, das Leben der Verwandten, der anderen Wirbeltiere zu erkunden. Mit seinen Bleistiftillustrationen brachte er sie einer Generation nahe, die vom Exotischen träumte, weil sie sich durch rasante technische und gesellschaftliche Umbrüche daheim in den großen Städten längst nicht mehr geborgen fühlte. Sie wurden zum heimlichen Augenschmaus unter der Bettdecke für Millionen Heranwachsende. Dass er auch übrigens mit enormer Geschwindigkeit riesige Salon-Schinken malte, sei ihm heute verziehen. Das Beste sind heute Kuhnerts Studien, die er eigentlich gar nicht für die Öffentlichkeit malte. Auch die kleinen Ölskizzen, so großzügig koloriert, pointiert komponiert, dass sie sehr modern wirken.

1926 starb Wilhelm Kuhnert, nachdem seine zweite Frau ein Jahr zuvor zunächst ihren Liebhaber und dann sich selbst umgebracht hatte.

Kuhnerts Giraffen und Hyänen gehen uns in einer neuerlichen Umbruchphase durchaus wieder etwas an, denn das sind Wesen, die wollen und drängen, fühlen und empfinden.

"Der Löwen-Kuhnert. Afrikas Tierwelt in den Zeichnungen von Wilhelm Kuhnert", Alte Nationalgalerie, Bodestraße 1- 3, 10178 Berlin, bis 6. Dezember, Katalog Nicolaische Verlagsbuchhandlung im Museum 15 im Handel 29,95 Euro.