Interview mit einem säkularen Blogger - Teil 1

Asif Mohiuddin: "Bangladesch ist der nächste logische Schritt"

asif-2-1024x768.jpg

Jan Szyper (l.) und Asif Mohiuddin (r.)
Jan Szyper (l.) und Asif Mohiuddin (r.)

BERLIN. (hpd) Eine Serie brutaler Morde an säkularen Bloggern in Bangladesch löste weltweit Besorgnis über die Menschenrechtslage in Bangladesch aus. Asif Mohiuddin erklärt in einem Interview, dass dies nur die Spitze des Eisbergs sei und die Probleme in seinem Land viel tiefer reichen.

Der Blogger war Autor einer der meistgelesenen Seiten Bangladeschs, bis die Regierung sie löschte. Seine Texte für Säkularität und Menschenrechte machten ihn zur Zielscheibe für den Hass islamistischer Gruppen, bis ihm als letzter Ausweg nur die Flucht nach Deutschland blieb. Doch um seine persönliche Geschichte, so dramatisch sie auch ist, soll es hier nur am Rande gehen. Er wolle nicht in den Mittelpunkt gestellt werden, sagt Mohiuddin, er sehe in der medialen Aufmerksamkeit nur etwas positives, wenn Menschen auf die islamistische Radikalisierung in seinem Land aufmerksam werden.

Das Interview führte Jan Szyper für die Berliner Hochschulgruppe der Giordano Bruno Stiftung.
 

Jan Szyper: Wie lange bist du schon in Deutschland?

Ich bin vorletztes Jahr im Januar nach Deutschland gekommen, jetzt also zwei Jahre.
 

In dieser Zeit hast du ziemlich viele Interviews gegeben. Hast du den Eindruck, dass sie deiner Sache geholfen haben?

Manchmal war es hilfreich, aber oft eher enttäuschend. Ich habe mit vielen großen Medien gesprochen, darunter BBC und CNN, und war mehrmals in den USA und London, aber ich bin nicht zufrieden mit dem was sie machen. Ich bat sie Druck auf die Regierung von Bangladesh auszuüben, damit sie ernsthaft gegen die islamistischen Gruppen vorgeht, aber nichts dergleichen ist geschehen.

Die moderne Medienlandschaft konzentriert sich nur auf das gegenwärtige Geschehen und vergisst sehr schnell. Zum Beispiel hat mir BBC ziemlich viele Fragen gestellt, wenn einer der Blogger, zum Beispiel Avijit Roy, getötet wurde und kurz darauf war das Thema aus der Berichterstattung verschwunden. Sie haben mich nie nach der Entwicklung des Falls gefragt, ob jemand bereits verhaftet wurde oder Ähnliches. Ich hatte erwartet, dass sie daraus eine größere Sache machen würden, immerhin betrifft islamistischer Terror spätestens seit Charlie Hebdo auch Europa. Alle europäischen PolitikerInnen waren geschockt. Und das gleiche geschieht in Bangladesh seit inzwischen 2 Jahren, aber ich sehe wenige Reaktionen darauf, man kann also nicht sagen, dass ich zufrieden mit der Berichterstattung bin.
 

Könntest du die aktuelle Entwicklung näher beschreiben?

Ich fing vor 9 Jahren mit dem Bloggen an. In dieser Zeit gab es nur fünf, sechs säkulare Blogger. Wir diskutierten jeden Tag über Rationalität und Wissenschaft. Immer mehr Gleichgesinnte stießen zu uns, nach drei Jahren waren wir 500, nach sechs Jahren ungefähr 10000 Menschen. Wir waren AtheistenInnen oder AgnostikerInnen, Säkulare und HumanistInnen und fühlten uns der islamischen Kultur nicht mehr verbunden, wir weigerten uns, diesem System weiter zu glauben. Als dann islamische Gruppen kamen, um mit uns zu debattieren, hatten wir zuerst eine sehr gesunde Diskussion. Langsam erkannten sie aber, dass sie in der Debatte unterlegen waren. Deshalb fingen sie an uns zu bedrohen. Sie riefen mich an, ich bekam Drohungen über Facebook, manchmal auch über SMS. Dann begannen sie die Blogger zu ermorden und jetzt attackieren sie auch die Verleger. Sie drohen inzwischen, dass alle, die säkulare Schriften oder Bücher über Evolutionstheorie verkaufen, ihr nächstes Ziel sein könnten. Sie belästigen sogar Personen, die meine Posts auf Facebook liken.
 

Was ist das Ziel der Islamisten?

Bangladesh ist für den politischen Islam ein sehr wichtiger Ort. Nachdem sich der Islamismus bereits in Afrika und dem Mittleren Osten etabliert hat, versucht er nun auch in Südasien Fuß zu fassen. Von Afghanistan über Pakistan ist Bangladesh der nächste logische Schritt. Sie haben angekündigt, dort bis 2020 ein Kalifat zu errichten. Es gibt auch viele Probleme in Myanmar. Dies ist alles keine neue Entwicklung, sie planen es schon seit langer Zeit. Die saudische Regierung finanziert seit Jahren Madrasen, die große Mengen an fundamentalistischen Wahabiten produzieren. Weil Bangladesh ein sehr armes Land ist und viele Menschen keinen Zugang zu Bildung haben, ist es ein guter Ort, um radikale, antiaufklärerische Ideen zu verbreiten. Die gesamte Kultur ist dadurch inzwischen sehr gewalttätig geworden. Früher konnten Menschen ihre Meinungsverschiedenheiten in Blogs diskutieren. Heute gibt es keine Toleranz mehr, man wird eingeschüchtert, bedroht und angegriffen. Ein echter Diskurs ist so nicht mehr möglich.
 

Wenn man sich ein wenig mit dem Widerstand gegen diese Entwicklung beschäftigt, fällt immer wieder der Name der Shahbag Bewegung. Was genau hat es damit auf sich?

Irgendwann begriffen wir, dass Blogging nicht genug ist. Wir würden uns zusammenschließen und unseren Unmut auf die Straße tragen müssen, um so das politische System, das dem Islamismus hilflos oder sympathisierend gegenübersteht, zu verändern. Diese theoretischen Überlegungen wurden durch eine hochschulpolitische Reform 2013 schnell allzu praktisch: Man entschied sich, den Semesterbeitrag vieler öffentlicher Universitäten zu erhöhen. Ich schrieb daraufhin einige Artikel gegen diese Maßnahme und organisierte Proteste, einerseits gegen die Regierung, andererseits gegen das außerordentlich brutale Vorgehen der Polizei. Zu dieser Zeit wurde ich zum ersten Mal verhaftet. Ich war für 18 Stunden in Polizeigewahrsam, man war jedoch auf Grund des Drucks von der Straße gezwungen mich wieder freizulassen. Insgesamt waren wir erfolgreich: Der Premierminister entschied schließlich den Semesterbeitrag nicht zu erhöhen. Shahbag ist übrigens ein Viertel von Dhaka, daher der Name. In der Folge hatten wir viele weitere Proteste. Wir mobilisierten über die Blogs, die Menschen sollten auf die Straße gehen und ihre Stimme erheben, gegen Gewalt, Vergewaltigung, gegen die etablierten Parteien und Eliten, speziell gegen die islamistischen Gruppen, die die Scharia in unserer Verfassung verankern wollen. Ich bin strikt gegen die islamistische Partei Jamaat-e-Islami und die Anführer dieser Partei sind größtenteils Kriegsverbrecher, bekannte Kriegsverbrecher. 2013, im Januar, wurde ich sehr brutal angegriffen. Ich war für viele Tage im Krankenhaus und in dieser Zeit lief der Prozess gegen einige dieser Kriegsverbrecher. Wir schreiben gegen diese Partei seit 9 Jahren an, um sie für ihre Taten vor Gericht zu bringen.
 

Die Verbrechen ereigneten sich während Bangladeshs Unabhängigkeitskrieg?

Ja. Ich habe mich der Bewegung angeschlossen, um meine eigenen Ziele zu verfolgen. Andere hatten ihre eigenen Vorstellungen. Ich war anfangs einer der OrganisatorInnen und wir diskutierten, was unsere Ziele sein sollten. Es gab Meinungsverschiedenheiten. Viele forderten die Todesstrafe für die Kriegsverbrecher. Ich unterstützte das hingegen aus Prinzip nicht. Auf der Grundlage dieser Differenzen habe ich die Führung der Bewegung nach 20 Tagen verlassen. Zu dieser Zeit war Shahbag sehr stark und hatte etwa 50000 AnhängerInnen auf den Straßen, Tag für Tag. Einen Monat lang haben sie dort die öffentlichen Plätze besetzt gehalten.
 

War es eine säkulare Bewegung?

Ja, es war eine sehr säkulare Bewegung. Ein weiteres Ziel war zum Beispiel die Wiederherstellung der Verfassung von 1972, die die Trennung von Staat und Religion beinhaltet. Sie wurde seit ihrer Einführung häufig verändert, sodass wir gegenwärtig die Basmala, also die Anrufung Allahs, in der Präambel haben. Man kann auch die ursprüngliche Fassung kritisieren, aber Laizismus und Säkularität sollten Ziel eines jeden Staates sein. Das konnte ich eher unterstützen.

Aber wenn man den Säkularismus in Bangladesh und den Säkularismus in Europa vergleicht, gibt es Unterschiede. Ich sah viele Menschen, die gerufen haben: Die Kriegsverbrecher sind die Juden von Bangladesh. Ich war geschockt, als ich diesen Slogan hörte und fragte, warum sie Juden mit den Kriegsverbrechern von Bangladesh vergleichen.

Die jungen Menschen sind sehr säkular, aber das Bildungssystem erzieht die Menschen zum Antisemitismus. Ich versuchte meine Bedenken zu erklären, aber die DemonstrantInnen wurden wütend auf mich. Sie waren zahlreich und ich war der einzige, der den Slogan stoppen wollte. Zu dieser Zeit wurde ich sowohl von IslamistInnen als auch von Säkularen angegriffen. Auch das hat meinen Entschluss forciert, die Bewegung zu verlassen und mehrere kritische Artikel über sie zu schreiben, darüber, warum ich ihr nicht mehr angehöre und weshalb sie einen faschistischen und nationalistischen Charakter annimmt. Sie hatten nationalistische Ideen und ich bin gegen jede Art von Nationalismus.
 

Hast Du den Eindruck, dass in Bangladesh eine neue Bewegung entsteht, die liberaler und mehr im Einklang mit deinen Werten ist?

Nein. Es ist ein langwieriger Prozess. Vor einigen Jahren schrieb mir ein Imam. Er war sehr aggressiv und hat mich und meine Familie bedroht. Nach einiger Zeit schrieb er, an meinen Blogs sei schon was dran, er lese sie regelmäßig. In einer späteren Mail meinte er, dass er sei ziemlich verwirrt sei, was seinen Glauben angeht. Schließlich sagte er mir, dass er nicht mehr wirklich an den Islam glaube. Dann redete ich wieder und wieder mit ihm und er sagte, dass er Frauenrechte unterstütze und Frauen die gleichen Rechte wie Männer haben sollten. Diese Entwicklung machte mich wirklich glücklich. Dann schrieb ich aber einige Artikel über LGBT-Rechte und er wurde sehr wütend auf mich. Er sagte, er könne unmöglich die LGBT-Community tolerieren. Er drehte einfach durch, als ich das schrieb. Wie gesagt, es ist ein sehr langsamer Prozess. Wenn unser Bildungssystem progressive Ideen vermitteln würde, wäre alles viel einfacher. Wir Autoren führen neue Ideen ein und müssen oft gegen Jahrzehnte von vorurteilsbehafteter Sozialisation und Indoktrination ankämpfen.

Aber später, nach fünf Jahren, nach zehn Jahren, werden sie das verstehen. Viele säkulare Menschen unterstützen die Rechte von Frauen, aber nicht die Rechte von Lesben und Schwulen.
 

In Europa brauchte es viele Jahrzehnte von der Anerkennung von Frauenrechten bis zur Anerkennung der Rechte von Homosexuellen.

Ich weiß. Aber diese Zeit liegt schon lange zurück. In Bangladesh kommen alle neuen Ideen gleichzeitig und davor war es wie eine abgeschlossene Welt. Und wegen der sozialen Medien erreichen uns alle neuen Ideen auf einmal. Es gibt viele Leute, die wie ich denken und liberal sind. Manche sind liberaler als ich, manche können besser schreiben als ich, aber wir sind eine kleine Gemeinschaft. Die meisten Menschen versuchen sich von den althergebrachten Vorstellungen und Dogmen zu lösen, aber das betrifft oftmals nur spezifische Themen, in anderen bleiben sie erzkonservativ. Es wird einige Zeit dauern, denke ich.
 

(wird fortgesetzt)

Der Text erschien zuerst auf der Webseite der Berliner Hochschulgruppe der Giordano Bruno Stiftung und wurde mit freundlicher Genehmigung übernommen.