Ökonomische Plaudereien

Definitionen oder Vom Wert klarer Worte

BERLIN. (hpd) Es könnte Galletti gewesen sein, der in einer Mathematikvorlesung auf das schwierige Problem 7 x 8 stieß. Der Professor wandte sich an die Studenten um Hilfe. Einer rief “51” und ein anderer “58”. Daraufhin zog der Professor die Augenbrauen hoch und meinte: “Aber meine Herren, 7 x 8 kann doch nur 51 ODER 58 sein.”

Man kann Dinge so oder so sehen. Ein Bild oder ein Musikstück kann man mögen oder es ablehnen. Vielleicht ist es einem auch völlig egal. Kann auch sein, dass man es gar nicht kennt. Meinungen gibt es ohne Ende. Aber nicht überall haben sie die gleiche Berechtigung. Schaut man nicht genau hin, riskiert man schnell, alles mögliche für gleichermaßen gültig zu halten. Anders als bei Werken der Kunst geht es in den Wissenschaften darum, die Meinungen etwas zu sortieren und die ihnen zugrunde liegenden wahren Aussagen von den falschen zu unterscheiden.

Doctrina multiplex veritas una. [1]

Mit Abstimmungen und Wahlen verhält es sich ähnlich. Da hat jeder so seine ganz eigene Sicht auf die Dinge. Oft gibt es auch mehr Meinungen als Wahlmöglichkeiten. Mit einer Abstimmung kann man aber nur herausfinden, wie die Meinungen verteilt sind. Man kann damit nicht zwischen richtig und falsch unterscheiden. Das wird manchmal übersehen.

Zuweilen hört man in Diskussionen die Wendung “das kann man so oder so sehen”. Manchmal kommt die Redensart auch, wenn jemand gerade seine Unwissenheit zu verbergen sucht. Das ist zwar menschlich verständlich, aber ein Buchhalter oder ein Bauingenieur kommen mit solchen Sprüchen nicht weit. Da muß man schon Farbe bekennen und Sinn von Unsinn unterscheiden. Wer will schon über eine Brücke fahren, die jemand gebaut hat, der “für alles offen” ist?

Definitionen

Aber auch in der Wissenschaft hat man Spielraum. Man kann an den Anfang einer Abhandlung eine Definition setzen, nach der rechts links ist und links rechts, also das Gegenteil der landläufigen Bezeichnungen. Das kann man machen. Man muß es dann nur die ganze Abhandlung lang durchhalten. Kein Problem. Ob das dann besonders angenehm zu lesen ist, mag etwas anderes sein, spielt aber keine große Rolle, sofern alles korrekt ist. Neben der Bequemlichkeit kann es aber viel wichtigere Argumente gegen allzu willkürliche Definitionen geben. Man stelle sich vor, jemand unterscheide die natürlichen Zahlen in “Schöne Zahlen”, “Nicht ganz so schöne Zahlen” und “Potthäßliche Zahlen”. Diesen Begriffen ordnet man dann gewisse Eigenschaften zu und schon kann es losgehen mit der Mathematik. Aber die vorgeschlagenen Definitionen sind vermutlich nicht besonders zweckmäßig. Sie fügen sich nicht gut in bestehende Begriffsgefüge. Man kann mit ihnen nur mühsam arbeiten - mühsamer noch als beim Vertauschen von links und rechts. Besser ist es, die Wahl der Eigenschaften (und Definitionen) so vorzunehmen, dass man im weiteren Verlauf etwas damit anfangen kann - also Erkenntnis gewinnen und wahre von falschen Aussagen unterscheiden. Da ist es dann vielleicht nützlicher, “gerade” und “ungerade” Zahlen zu definieren.

Man hört gelegentlich Menschen auch über ökonomische Fragen diskutieren. Manchmal kommen sie dabei nicht recht voran, weil sie die verwendeten Begriffe nicht klar voneinander trennen und nicht entsprechend einer Definition gebrauchen. Statt dessen folgen sie einer vermuteten oder unterstellten Bedeutung, was immer wieder zu Schwierigkeiten, Missverständnissen und Irrtümern führt. Das liegt daran, das manche Begriffe der Ökonomie zwar der Umgangssprache entnommen sind, aber (unter Ökonomen) eine ganz andere Bedeutung haben als im Alltag. In anderen Disziplinen ist das nicht so häufig. Medizin und Mathematik etwa verwenden Fachbegriffe, die von der Alltagssprache oft gut unterscheidbar sind. Man bemerkt sofort, dass man kein Wort versteht.

Ein Beispiel…

Ein Stein ist ein Stein. Wendet man ein wenig Arbeit auf, wird daraus vielleicht eine Axt oder eine Vogeltränke. Die menschliche Arbeit macht also aus einem Rohstoff ein Produkt. Wenn es nicht reicht, sich danach zu bücken, kann selbstverständlich schon das Beschaffen bzw. Bereitstellen des Rohstoffs mit Arbeit verbunden sein. Davon leben ganze Industriezweige.

Ist das Produkt (also Rohstoff + Arbeit) für den Tausch bestimmt, haben wir es mit einer Ware zu tun. Nicht jedes Produkt ist eine Ware. Aber die meisten Waren sind Produkte.

Eine Ware hat Eigenschaften. Das sind einerseits diejenigen, die sie von anderen Waren (Dinge, Leistungen) sachlich unterschieden - wie Maße und Gewicht, Qualität usw. Daneben gibt es Eigenschaften, die ein wenig mehr Potential für Mißverständnisse bieten:

Gebrauchswert: Der Gebrauchswert ist die Nützlichkeit einer Ware.

Es ist die Antwort auf die Frage: Wofür ist es gut? Oder: Was kann man damit machen? Gebrauchswert kann eine Sache sowohl für ein Individuum als auch für sehr viele Menschen oder eine Gesellschaft haben. Deutlich zu sehen ist, dass Gebrauchswert und Wert erst einmal nichts miteinander zu tun haben. Es geht hier nur um die Eignung für einen oder mehrere Zwecke. Schuhe haben den Gebrauchswert, als Schuhe zu dienen - zu wärmen, zu schützen, chic zu sein usw. Ob sie aus Italien kommen oder 1000 € gekostet haben, hat damit nichts zu tun.

Wert: Der Wert einer Ware ist die Menge Arbeit, die drinsteckt.

Diese “Menge Arbeit”, die zur Schaffung der Ware aufgewendet wurde, kann man vergleichbar machen durch Arbeitsstunden, andere Waren oder Geld. Vergleicht man Werte von Waren miteinander, geht es nicht um deren Nützlichkeit. Es geht nur um den Aufwand, den sie repräsentieren. Der Wert ist eine wichtige Größe, um ökonomische Prozesse zu untersuchen. Jeder Hersteller von Waren hat auf die eine oder andere Weise damit zu tun.

Preis: Der Preis ist, was im Tausch der Ware zu erlösen ist.

Das kann eine bestimmte Menge Geld sein. Es können auch andere Waren sein. Der Preis einer Sache kann über ihrem Wert liegen, ihm gleich sein oder auch darunter liegen. Das liegt an der Marktsituation, also am Verhältnis von Angebot und Nachfrage.

Umgangssprachlich werden Preis und Wert oft vermischt. Man spricht vom Neuwert und meint den Neupreis. Man erkennt irgendwo einen Liebhaberwert und hat etwas ganz anderes im Sinn als einen Wert. Auch ein Marktwert ist im vorgestellten Sinn ein Preis und kein Wert.

Die angedeutete Begriffsbestimmung, die man in Anfängen schon bei Aristoteles findet [2] und die im 19. Jh. sorgfältig ausgearbeitet wurde, kann verschiedene Fragen auslösen:

Eine Ware ohne Gebrauchswert - geht das? Dabei denkt man vielleicht an Lavalampen und Klingeltöne. Für den einen haben diese Waren keinen Nutzen, für andere sehr wohl. Gebrauchswert ist also manchmal auch “Ansichtssache”.

Wert hingegen hat ein Gartenzwerg auch dann, wenn er scheußlich aussieht und man ihn deshalb nicht zu einem entsprechenden Preis verkaufen kann. Er hat auf alle Fälle Arbeit gekostet, also hat er einen Wert.

Kann der Wert einer Sache zu ihrem Gebrauchswert werden? Das geht. Der Wert ist die Menge Arbeit, die drinsteckt. Der Gebrauchswert ist der Nutzen. Der Wert einer Ware wird zu ihrem Gebrauchswert, wenn jemand damit handelt und selbst keine Verwendung dafür hat. Ein Mann, der mit Damenunterwäsche handelt, wird deren Gebrauchswert, also deren Nützlichkeit, darin sehen, dass er sie verkaufen kann. Meistens jedenfalls.

Man kann Produkt, Ware, Gebrauchswert, Wert und Preis auch ganz anders definieren. Dann sollte man sich aber versichern, dass der Gesprächspartner dieselben Definitionen anwendet. Wenn man dann möglicherweise festgestellt hat, dass sie nicht weit tragen, kann man zu denen zurückkehren, deren Nützlichkeit bereits vielfach gezeigt wurde.


  1. Motto an der Tür des Hauptgebäudes der Universität Rostock, wo Tycho Brahe und Heinrich Schliemann studierten.  ↩

  2. Aristoteles, Nikomachische Ethik, I.III.4. Verhalten im Verkehr der Güter, Gerechtigkeit., nachzulesen bei Marx, K., Das Kapital, Bd. 1, 1. Buch, 1. Abschnitt, 1. Kapitel, 3.3 Die Äquivalentform  ↩