Bisher größte Archäogenetik-Studie zur Vorgeschichte des Balkans

Alte Genome beleuchten Vorgeschichte Südosteuropas

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Das Gräberfeld von Warna, Bulgarien, ist für seine reichen Grabbeigaben bekannt. In einem der rund 6.500 Jahre alten Gräber fand sich mehr Gold, als allen anderen bekannten Bestattungen aus dieser Zeit enthielten. Genetische Untersuchungen ergaben, dass die DNA des dort bestatteten Mannes Ähnlichkeit mit der DNA früher europäischer Bauern hat.
Goldfund

Eine in der Zeitschrift Nature veröffentlichte Studie alter Genome beleuchtet erstmals detailliert die genetische Geschichte Südosteuropa vor und nach Einführung der Landwirtschaft durch anatolische Bauern. Für die zweitgrößte veröffentlichte Studie dieser Art analysierte ein internationales Forschungsteam unter maßgeblicher Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena das Erbgut von 225 menschlichen Skeletten. Diese Individuen lebten teils vor und teils nach dem Epochenwechsel in Südosteuropa – einer Region, für die bislang kaum genetische Daten aus der Vorgeschichte zur Verfügung standen.

Vor etwa 8.500 Jahren wanderten frühe Bauern aus Anatolien von Südosten her in Europa ein und trafen dort auf einheimische Jäger- und Sammler-Gemeinschaften. Ein internationales Forschungsteam hat nun die Genome aus 225 alten Knochen von Menschen analysiert, die vor rund 14.000 bis 3.000 Jahren in Südosteuropa lebten. "Die Region ist der Brückenkopf, der Anatolien mit Europa verbindet. Von dort breitete sich die Landwirtschaft nach Europa aus. In dieser Studie werden die Interaktionen von frühen Bauern, indigenen Jägern und Sammlern aus dem Balkanraum und den Bewohnern der Zentralasiatischen Steppen erstmals umfassend betrachtet", sagt Raiko Krauß, Archäologe an der Universität Tübingen, der einige Skelette aus dem berühmten kupferzeitlichen Gräberfeld von Warna, Bulgarien, für die Studie zur Verfügung stellte.

Zwischen Isolation und intensivem Austausch

"An manchen Orten scheinen sich Jäger und Sammler mit den einwandernden Bauern sehr schnell vermischt zu haben", sagt Erstautor Iain Mathieson, Genetiker an der Universität von Pennsylvania. "Aber meistens blieben die beiden Gruppen isoliert, zumindest in den ersten paar hundert Jahren. Die Jäger und Sammler hatten seit Tausenden von Jahren in der Region gelebt, und es muss ein ziemlicher Schock für sie gewesen sein, als die neuen Menschen auftauchten – mit einem völlig anderen Lebensstil und Aussehen."

"Dreitausend Jahre später hatten sie sich vollständig durchmischt", fährt David Reich von der Harvard Medical School fort, einer der Leiter der Studie. "Einige Bevölkerungsgruppen haben bis zu einem Viertel ihrer Gene von den Jägern und Sammlern geerbt." In manchen Regionen Europas trugen vor allem die Männer das Erbgut der Jäger und Sammler weiter; nicht jedoch im Südosten. "Das zeigt, dass beide Gruppen an verschiedenen Orten unterschiedlich interagierten. Genau das versuchen wir im Zusammenhang mit archäologischen Erkenntnissen zu verstehen", fügt Mathieson hinzu.

Die Studie umfasst auch eine Stichprobe von 40 Jägern und Sammlern sowie frühen Bauern aus der Region des Eisernen Tors, die heute an der Grenze von Rumänien und Serbien liegt. Die Untersuchungen zeigen, dass es in dieser Region einen intensiven Austausch von Jägern und Sammlern mit frühen Bauern gab. Zum Beispiel stammten zwei von vier Individuen aus der Grabungsstätte Lepenski Vir am Eisernen Tor genetisch vollständig von anatolischen Bauern ab, passend dazu bestätigte eine Isotopenanalyse, dass sie Migranten von außerhalb der Region waren. Ein drittes Individuum war gemischter Abstammung und hatte laut Isotopen viel Fisch gegessen, was zu erwarten ist, wenn Bauern in eine Jäger-Sammler-Gruppe integriert werden oder deren Lebensweise annehmen.

"Diese Ergebnisse beleuchten den Zusammenhang zwischen Migration, Vermischung und Subsistenz in dieser Schlüsselregion. Sie zeigen zudem, dass sich bereits die frühen europäischen Bauern in ihrer Abstammung unterschieden, was ein dynamisches Mosaik von Vermischungen zwischen Jäger-Sammler-Gruppen und frühen Bauern widerspiegelt", erklärt Ko-Studienleiter Ron Pinhasi, Anthropologe an der Universität Wien.

Warna – frühester Nachweis von Genen aus der Steppe

Für die Studie wurden auch Skelette aus Warna untersucht, einer der bedeutendsten archäologischen Stätten der europäischen Vorschichte und einem der ersten Orte der Welt, für den es Hinweise auf extrem ungleich verteilten Reichtum gibt. Das Grab eines der untersuchten Individuen enthielt mehr Gold als alle anderen bekannten Bestattungen aus dieser Zeit. "Die DNA aus der berühmten Grabstätte von Warna ist der DNA anderer früher europäischen Bauern sehr ähnlich", sagt Johannes Krause, Direktor am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, der die Analyse der Proben von Warna leitete. Krause fährt fort: "Überraschenderweise fanden wir jedoch auch ein Individuum aus Warna und mehrere aus benachbarten bulgarischen Fundorten, die Vorfahren aus der osteuropäischen Steppe hatten. Dies ist der früheste Nachweis der sogenannten Steppenabstammung so weit im Westen – zweitausend Jahre vor der großen Einwanderungsbewegung aus der Steppe, die in der Zeit zwischen 5.000 und 4.500 Jahren vor heute mehr als die Hälfte der Bevölkerung Nordeuropas ersetzte."

David Reich bemerkt abschließend: "Diese sehr großen Studien alter DNA, die auf einer intensiven Zusammenarbeit von Genetikern, Archäologen und Anthropologen basieren, erlauben es, ein detailliertes Bild von Schlüsselperioden der Vergangenheit zu zeichnen, welche vorher nur schwach zu erahnen waren. Studien dieser Größenordnung zeigen, dass die Forschung an alter DNA den Kinderschuhen entwachsen ist. Ich freue mich auf die Erkenntnisse, die wir gewinnen, wenn ähnliche Forschungsansätze auch auf andere Regionen der Welt angewandt werden."

Die Studie wurde von einem internationalen Team von 117 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus 82 Einrichtungen in Europa und den Vereinigten Staaten durchgeführt. (PM/MEZ)