Eigentlich ist es ein altes Thema: Es geht darum, in der Bundesrepublik Deutschland Schulen zuzulassen, die bekenntnisfrei sind, sodass in ihnen kein konfessionsgebundener Religionsunterricht mehr erteilt wird. In der Weimarer Republik hatte es solche Schulen bereits gegeben. Laut Grundgesetz sind sie auch in der Bundesrepublik Deutschland zulässig – nur: Diese Möglichkeit ist bislang nicht umgesetzt worden. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat jetzt einen Impuls gesetzt, dies zu ändern. Zugleich bringt sie zur Sprache, wie sich die Einführung bekenntnisfreier Schulen konkret realisieren lässt.
Der konfessionelle Religionsunterricht, der in der Bundesrepublik Deutschland stattfindet, ist seit vielen Jahren aus einem Bündel unterschiedlicher Gründe zu kritisieren. Aufgrund der Kirchenaustritte und der heutigen weltanschaulichen Vielfalt stehen für den herkömmlichen evangelischen oder katholischen Unterricht vielerorts nicht mehr genügend Schüler*innen zur Verfügung. Weil inzwischen ebenfalls islamischer, orthodoxer, alevitischer und sonstiger Religionsunterricht bekenntnisgebunden angeboten wird, führt das Fach zu einer künstlichen Trennung der Schüler*innen. Schulorganisatorisch lässt sich die Vielzahl der verschiedenen Religionsunterrichte, ergänzt um den alternativen Ethikunterricht und gegebenenfalls um humanistische Lebenskunde, vor Ort oft nur schwer bewältigen. Außerdem leuchtet es nicht ein, dass Kirchen oder andere Religionsgemeinschaften durch den Religionsunterricht in die öffentlichen Schulen des weltanschaulich neutralen Staates hineinregieren dürfen. Ein solches Privileg besitzt keine andere Institution. Die Einwände ließen sich ergänzen. Ein Blick in das europäische Ausland könnte noch zusätzlich verdeutlichen, warum ein solcher konfessioneller Unterricht in der Gegenwart nicht mehr angemessen ist.
In der Bundesrepublik erkennen die Kirchen sogar selbst, dass das traditionelle Unterrichtsfach nicht mehr haltbar ist, und bemühen sich deshalb um Reformen. Hierbei werden sie von verschiedenen Bundesländern unterstützt. Allerdings bleiben die Reformversuche – unter anderem in Bayern, Hamburg, Hessen oder Niedersachsen – widersprüchlich und unzureichend. Es ist an der Zeit, einen Schritt weiterzugehen, echte Veränderungen in Gang zu bringen und den herkömmlichen bekenntnisgebundenen Religionsunterricht durch ein übergreifendes konfessionsneutrales Fach zu ersetzen, in dem Ethik und Religionskunde behandelt werden.
Diesem Vorhaben steht zurzeit allerdings das Grundgesetz im Weg. Im Jahr 1949 war es den Kirchen gelungen, gegen schon damals großen politischen Widerstand durchzusetzen, konfessionellen Religionsunterricht durch einen Verfassungsartikel abzusichern. In Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes lautet Satz 1: "Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach." In Satz 2 wird ergänzt, dass der Staat über den Religionsunterricht zwar formal das Aufsichtsrecht hat. Dessen ungeachtet ist er "in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften", das heißt in inhaltlicher Hinsicht nach den Vorgaben der Kirchen oder anderer Religionen, zu erteilen.
Hierdurch ist in der Gegenwart eine paradoxe Lage entstanden. Einerseits ist der traditionelle Religionsunterricht im Schulsystem zu einem Problemfall geworden. Regional läuft er schon heute teilweise leer. Überzeugende Reformmodelle sind nicht in Sicht. Andererseits ist er überaus stark abgesichert, weil er das einzige Schulfach ist, zu dem das Grundgesetz eine Existenzgarantie ausgesprochen hat. Aktuell zeichnet sich nicht ab, dass der Deutsche Bundestag diese Verfassungsnorm mit einer Zweidrittelmehrheit ändern und Artikel 7 Absatz 3 aus dem Grundgesetz streichen würde.
Ein Ausweg aus der verfahrenen Situation: Bekenntnisfreie Schulen
Trotzdem sind weitreichende Reformen vorstellbar, und zwar ohne Änderung des Grundgesetzes. Eine der Möglichkeiten besteht darin, bekenntnisfreie Schulen einzurichten. Eine solche Option wird sogar durch Artikel 7 Absatz 3 Grundgesetz selbst legitimiert. Denn dort heißt es, dass in bekenntnisfreien Schulen der klassische Religionsunterricht nicht erteilt werden soll. Er könnte in ihnen dann durch eine überzeugendere Alternative, nämlich durch das Fach Ethik/Religionskunde, ersetzt werden.
Überraschend ist, dass die Schul- und Bildungspolitik diese im Grundgesetz enthaltene Erlaubnis bislang unbeachtet gelassen hat. Im Schrifttum findet sie allerdings Aufmerksamkeit und ist zum Beispiel in einem Buch erörtert worden, das vom Verfasser dieses Beitrags stammt. Vom Stillstand in der Bundesrepublik Deutschland hebt sich die Weimarer Republik ab. Trotz erheblicher praktischer Schwierigkeiten wurden nach 1918 bekenntnisfreie Schulen gegründet. In Städten wie Düsseldorf, Magdeburg oder Berlin waren sie ein beachtlicher Faktor des Schulangebots. Der NS-Staat setzte ihnen dann ein Ende. Ihre Verfassungsgrundlage war Artikel 149 der Weimarer Verfassung gewesen: "Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach der Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien (weltlichen) Schulen."
An diesen Weimarer Satz hat sich im Jahr 1949 der Bonner Parlamentarische Rat fast wörtlich angelehnt. Im Jahr 1949 verzichtete man lediglich darauf, wie in Weimar als Wechselbegriff zur "bekenntnisfreien" die "weltliche" Schule zu erwähnen. Der Sache nach hat sich der Bonner Parlamentarische Rat von dem Begriff der weltlichen Schule hiermit aber nicht distanziert. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatten sich die SPD, liberale Parteien sowie Philosophen, Pädagogen und Publizisten, unter ihnen im Jahr 1913 Carl von Ossietzky, für solche weltliche Schulen eingesetzt, in denen die Kirchen keine Sonderrechte mehr besitzen sollten.
An der Übernahme der Weimarer Bestimmung in das Grundgesetz zeigt sich, dass die Kirchen nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Forderungen nicht in dem Ausmaß durchsetzen konnten, wie sie es vehement gefordert hatten. Ohnehin hatte sich der Parlamentarische Rat geweigert, ihrem Willen zu folgen und durch einen Grundgesetzartikel Konfessionsschulen abzusichern. Endgültig wurden derartige staatliche Bekenntnisschulen dann – bis auf Restbestände noch heute in Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsen – in den 1960er Jahren abgeschafft. Und den Religionsunterricht garantierte der Parlamentarische Rat keineswegs so kompromisslos, dass die Kirchen hiermit zufrieden waren. Vielmehr relativierten die Väter und Mütter des Grundgesetzes den bekenntnisgebundenen Unterricht, indem sie zwei Alternativen zuließen.
Ermöglichung durch das Grundgesetz
Die erste Alternative ist stichtagsgebunden. Sie findet sich in Artikel 141 Grundgesetz, der sogenannten Bremer Klausel. Ein Bundesland ist davon befreit, konfessionellen Religionsunterricht anbieten zu müssen, wenn in diesem Land am 1. Januar 1949 eine andere Regelung gegolten hatte. Aufgrund dessen gibt es in Bremen und in Berlin seit vielen Jahrzehnten keine konfessionelle Religionslehre als reguläres Schulfach.
Die zweite Alternative ist institutionengebunden. Artikel 7 Absatz 3 Grundgesetz gestattet es, dass der Religionsunterricht entfällt, wenn eine Schule als Institution keine Gemeinschaftsschule ist, die heute vorherrscht, sondern eine bekenntnisfreie Schule. Als Simultan- oder als Gemeinschaftsschulen werden die staatlichen Schulen bezeichnet, die überkonfessionell, also keine rein katholischen oder evangelischen Bekenntnis- beziehungsweise Konfessionsschulen sind. Teilweise werden solche staatlichen Gemeinschaftsschulen noch heute explizit "christliche Gemeinschaftsschulen" genannt, zum Beispiel in den Artikeln 15 und 16 der Landesverfassung von Baden-Württemberg. Demgegenüber sind bekenntnisfreie beziehungsweise weltliche Schulen religiös-weltanschaulich neutral. Insofern entsprechen sie viel besser als jeder andere Schultyp der weltanschaulichen Neutralität des Staates als einem grundlegenden Verfassungsprinzip der Bundesrepublik Deutschland.
Zwei Aspekte sind zu solchen bekenntnisfreien Schulen noch zu betonen. Erstens: Sie sind weltanschaulich neutral und räumen Kirchen oder Religionen keine Privilegien ein. Aber sie folgen auch keiner laizistischen, antireligiösen oder antikirchlichen Ideologie. Vielmehr bringen sie im Schulwesen den Toleranzgedanken und das Prinzip der Religions- und Weltanschauungsfreiheit institutionell zum Ausdruck.
Zweitens: Wie ist in Artikel 7 Absatz 3 Grundgesetz der Begriff "Ausnahme" zu deuten? Dort heißt es ja, in den Schulen der Bundesrepublik Deutschland finde Religionsunterricht "mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen" statt. Als der Parlamentarische Rat 1949 bekenntnisfreie Schulen zulassen wollte, hatte er zunächst eine weitgefasste, allgemein gehaltene Formulierung gewählt. Sie lautete: "Dies" – nämlich die Bestimmung über öffentliche Schulen als Gemeinschaftsschulen mit konfessionellem Religionsunterricht – "gilt nicht für bekenntnisfreie Schulen". Für die Endfassung des Grundgesetzes verfuhr der Parlamentarische Rat dann aber so, wie er es auch in anderen Zusammenhängen praktizierte: Er übernahm die Diktion der Weimarer Verfassung, hier also die Wendung "mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen".
Wichtig ist, dass in der heutigen staatlichen Rechtsordnung Ausnahmebestimmungen immer wieder als "Ermöglichung" bewertet werden. Dass Ausnahmen nicht eng auszulegen sind, geht auch aus juristischer Literatur und aus Gerichtsurteilen hervor. Ein weites Verständnis von Ausnahmen ist zumal dann legitim, ja geboten, wenn gute Gründe vorliegen. Angesichts der eingangs erwähnten Krise des konfessionellen Religionsunterrichts und des starken Rückgangs des kirchlich gebundenen Bevölkerungsteils kann kein Zweifel bestehen, dass sich die Einführung bekenntnisfreier Schulen ohne konfessionellen Unterricht in der Gegenwart überzeugend begründen lässt.
Neue Perspektiven für die Schulen
Vor diesem Hintergrund ist der Beschluss der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zu sehen, der im November 2025 veröffentlicht wurde und zügig auf Zustimmung stieß. Er hat einen Vorlauf besonders in Niedersachsen. Dort setzt sich die GEW auf Landesebene schon länger für bekenntnisfreie Schulen ein. Im Jahr 2022 hatte Dieter Galas, der früher Leiter der Schulabteilung des Kultusministeriums und GEW-Landesvorsitzender gewesen war, im Landtag eine Petition eingereicht, um eine landesgesetzliche Zulassung solcher Schulen zu erreichen. Der aktuelle GEW-Beschluss knüpft an seine Überlegungen an und legt dar, wie sich die vom Grundgesetz eröffnete Chance auf bekenntnisfreie Schulen konkret auf den Weg bringen lässt.
Der Vorschlag lautet, dass Schulgremien, in denen die verschiedenen Gruppen – Lehrkräfte, Erziehungsberechtigte, Schüler*innen – vertreten sind, das Recht haben sollen, bei ihrem Schulträger den Status ihrer Schule als "bekenntnisfrei" zu beantragen. Hierfür müssen die einzelnen Bundesländer eine gesetzliche Grundlage schaffen. In den bekenntnisfreien Schulen soll kein konfessioneller Religionsunterricht mehr stattfinden und stattdessen ein Pflichtfach Ethik/Religionskunde unterrichtet werden – in der Formulierung der GEW: "ein verpflichtendes Fach zur ethischen, philosophischen und religionskundlichen Meinungs-, Willens- und Wertebildung". Hiermit wird gewährleistet, dass sich die Schüler*innen – anders als bislang – gemeinsam mit Themen der Wert- und Sinnorientierung befassen und sie auf diese Weise im heutigen Pluralismus Dialog und Toleranz einüben. Falls eine genügende Zahl von Schüler*innen dies wünscht, können – so schlägt die GEW vor – an der Schule auf freiwilliger Basis zusätzlich Arbeitsgemeinschaften eingerichtet werden, in denen es bekenntnisgebunden um eine bestimmte Religion oder um Lebenskunde geht.
An dem zuletzt genannten Aspekt lässt sich nochmals ablesen, dass das Konzept der bekenntnisfreien Schule keine kirchen- oder religionsablehnende Stoßrichtung hat. Ein vergleichbares Modell – Ethikunterricht für alle als Pflichtfach, zusätzlich freiwillig wählbare Angebote von evangelischem, katholischem, muslimischem, jüdischem und weiterem Religionsunterricht und von humanistischer Lebenskunde – wird auf der Grundlage der Bremer Klausel schon jahrzehntelang im Bundesland Berlin praktiziert und stößt dort auf gute Resonanz. Um vor Ort die Errichtung bekenntnisfreier Schulen zu erleichtern, plant die GEW "die Erstellung einer Handreichung zur Gründung solcher Schulen".
Im Ergebnis ist festzuhalten: Es ist ein Schritt nach vorne, dass die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft das aus der Weimarer Republik entlehnte, im Grundgesetz verankerte Modell der bekenntnisfreien Schule neu in den Vordergrund gerückt hat. Die Option dürfte auf jeden Fall für Gesamtschulen, für Schulen mit einem hohen Anteil von Kindern und Heranwachsenden mit Migrationshintergrund und für berufsbildende Schulen interessant sein. Auf Dauer könnte sie weitflächig relevant werden. Es liegt an den Bundesländern, diese Möglichkeit, die das Grundgesetz aus guten Gründen eröffnet hat, in ihre Schulgesetzgebung zu integrieren.






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