Der Arbeitskreis Säkulare und humanistische Sozialdemokrat:innen Berlin (AK SHS) lehnt die Abschaffung des Neutralitätsgesetzes, wie sie die Grünen im Abgeordnetenhaus nach Presseberichten verlangen, ab. Entgegen dem von den Grünen erweckten Eindruck ist das Neutralitätsgesetz kein Problem, sondern die Lösung eines Problems. Es geht um den Schutz der staatlichen Neutralität und der Rechte religiös gebundener und nicht gebundener Menschen.
Das Gesetz verbietet zum einen in der Auslegung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 27. August 2020 – 8 AZR 62/19), die dieses in Anlehnung an eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu einer vergleichbaren Regelung in Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 27. Oktober 2015 – 1 BvR 471/10 u.a. – "Kopftuch II") vorgenommen hat, das Zeigen religiöser Kennzeichen in Schulen nur, wenn eine konkrete Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität vorliegt. Weitere Regelungen des Neutralitätsgesetzes untersagen in Einrichtungen von Justiz und Polizei das Zeigen religiöser Symbole bei hoheitlicher Tätigkeit, was nach den Grundsätzen einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in einem hessischen Fall (Beschluss vom 14. Januar 2020 – 2 BvR 1333/17 – "Kopftuch III") verfassungsgemäß ist. Beides ist geboten.
Beim Schutz des Schulfriedens geht es um eine alle Fakten eines Einzelfalles berücksichtigende Bewertung. Wird zum Beispiel in einer Schule eine religiöse Atmosphäre geschaffen und durch das Zeigen religiöser Symbole unterstützt, die bestimmte Schülerinnen und Schüler religiösem Druck zur Einhaltung religiöser Anforderungen aussetzt, liegt eine solche Situation vor. Das ist unabhängig davon, ob eine Lehrperson sich persönlich an dem Druck beteiligt.
Erst recht gibt es keinerlei Grund, die Regelungen des Neutralitätsgesetzes, die in Einrichtungen von Justiz und Polizei bei hoheitlicher Tätigkeit das Zeigen religiöser Symbole verbietet, abzuschaffen. Rechtspflege, Justizvollzug und Polizei treten zu weiten Teilen den Rechtsunterworfenen hoheitlich gegenüber. In dieser Situation als nicht oder anders religiös gebundene Person religiösen Zeichen ausgesetzt zu sein, ist nicht hinnehmbar. Die Religiosität anderer zu tolerieren ist zwar ein Zeichen guten Zusammenlebens. Das heißt aber nicht, dass diese Menschen sich deren herausragender Religionsbekundung auch dann aussetzen müssen, wenn die religiösen Menschen ihnen hoheitlich und potentiell mit Zwang gegenübertreten. Ist das aber so, gebieten es Überlegungen der Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten und der Rechtssicherheit innerhalb der Einrichtungen, unnötige Unterschiede zu machen. Es geht um das Vertrauen in die Institution, nicht darum, dass ein Mensch in seinen Ansichten religiös neutral sein muss. Und es geht auch nicht etwa um eine Verhinderung religiöser Debatten, sondern lediglich darum, dass die Rechtsunterworfenen ihnen nicht gegen ihren Willen ausgesetzt werden.
Letztlich gilt das Verbot des Zeigens religiöser Zeichen – nicht nur, wie in der Debatte fälschlich unterstellt wird, eines "islamischen" Kopftuches – im Berliner öffentlichen Dienst uneingeschränkt nur für hoheitliche Tätigkeiten in Justiz, Justizvollzug und Polizei. Dass im Einzelfall Regelungen bei Störungen in Schulen möglich sind, wirkt sich erst in diesen Einzelfällen aus, nicht aber bei der Einstellungspraxis. Dass diese einschränkenden Regelungen in ihrer Gesamtheit tatsächlich ein Problem sind, etwa indem nicht genug qualifizierte Beschäftigte gefunden werden, ist in keiner Weise belegbar. Und eine unangemessene Einschränkung ist das auch nicht. Die positive Religionsfreiheit bei hoheitlicher Tätigkeit steht nicht höher als die Religionsfreiheit der Rechtsunterworfenen, die dieser hoheitlichen Tätigkeit ausgesetzt sind. Und dabei geht es nicht nur um die negative Religionsfreiheit religiös nicht gebundener Rechtsunterworfener, sondern auch um die positive der Personen, die anders religiös gebunden sind als die ein religiöses Zeichen tragende Person mit hoheitlichen Aufgaben. Und die positive Religionsfreiheit steht auch nicht höher als das Ziel der Verhinderung religiösen Druckes in Schulen.
Im Übrigen sind die Berliner Regelungen im internationalen Vergleich moderat. Sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als auch der Gerichtshof der Europäischen Union haben rechtliche Regelungen grundsätzlich zugelassen, die das Tragen von "islamischen" Kopftüchern und anderen religiösen Symbolen im öffentlichen Dienst insgesamt ausschließen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat das sogar bei einem "Kopftuchverbot" für Schülerinnen angenommen. Soweit geht die Berliner Regelung gar nicht.
