Kolumne: Sitte & Anstand

Wie betet man richtig vor dem Anpfiff?

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Warum beten Fußballer für den Sieg? Und suchen sie sich einen neuen Gott, wenn sie verloren haben? Immer schon sieht man staunend dabei zu: Der Herr des Himmels, so die Annahme, scheint es für eine sinnvolle Aufgabe zu halten, sich in die zeitgleich laufenden 30.000 Kicks rund um den Planeten einzumischen. Ja, wieso kickt man dann überhaupt noch, wenn am Ende eine höhere Macht über den Sieger entscheidet?

Eine naheliegende Antwort wäre: Die Figur des lieben Gottes ist nicht allzu sorgfältig ausgedacht worden. Zu fragen wäre dann umso mehr, warum sie einen solchen Erfolg hat. Vielleicht wissen die Kollegen von evangelisch.de mehr? Sie widmen sich dem Thema aktuell in ihrem Podcast "AHA", welcher in den Wochen zuvor aufklärte: "Das ist die Bedutung von Pfingsten" und "Das bedeutet Wasser für Christen". Nun also die Handreichung: "So nützt Beten vor dem Anpfiff".

Hier wird mit fast schon modern anmutender Schlichtheit eingeräumt, dass Beten "in jedem Fall eine gute Sache ist, die beim Konzentrieren hilft". Was vermutlich sogar Atheisten bestätigen können: Innere Sammlung tut gut, und besonders wohl vor einem wichtigen Spiel. Allerdings macht sie die reale Existenz eines allmächtigen, unsichtbaren Wesens, das alles geschaffen hat, über alles wacht und am Ende alles kaputt hauen, sämtliche Verstorbenen wieder erwecken und dann in Welt 2.0 mit Drinks und guter Musik dauerbewirten wird, nicht viel wahrscheinlicher. Ist Gott also mehr als ein Wellnesstool, eine Yoga-Flatrate für den Geist?

Wohl kaum. Auch bei evangelisch.de brauchen sie nur wenig Zeit, um auf die Widersprüche ihrer eigenen Idee aufmerksam zu werden, und wie seit Jahrtausenden üblich, stemmen sie sich gegen alle Gehirnwindungen, um das Modell "Gott" aufrechtzuerhalten. Eine Bitte um den Sieg sei so wie eine Bitte um eine gute Ernte, wird etwa angeführt – was natürlich am Grundsatzproblem vorbei argumentiert: Denn wo geerntet wird, wird geerntet, zur Freude aller Beteiligten. Wo aber beim Fußball gewonnen wird, sind ebenso viele Verlierer wie Sieger zu finden, egal, wer von ihnen wie fleißig gebetet hat.

In rascher Folge kommen im Podcast zwei erfrischend offene Eingeständnisse: Beten um den Sieg sei "sehr kindlich". Und: Gott sei "keine Wunscherfüllungsmaschine". Oder auf Deutsch gesagt: Wer an Gebete glaubt, muss ein bisschen naiv sein. Weswegen der denkende Betrachter das Konzept des zuhörenden unsichtbaren Manns im Himmel verwerfen und sich sinnvolleren Beschäftigungen zuwenden kann. Auf evangelisch.de geht das natürlich nicht. So steuert man also auf die Klimax des Räsonnements zu: Wie betet man, wie betet das kindliche Gemüt, wenn es gleichzeitig nicht enttäuscht werden will?

Lerne, mit aller Hingabe um das Gelingen zu bitten – und lerne, dass alle Hingabe vergebens ist. Es ist ein Konzept der Unterwerfung unter das Nichtvorhandene, dich Anschweigende. Auf evangelisch.de nennen sie es "Beistand" und "Begleitung". Zum Glück hat die Natur uns ja die selektive Wahrnehmung geschenkt sowie Erinnerung als einen kreativen Akt: Auf diese Weise können wir alle Enttäuschungen besser vergessen und jeden Sieg als den Willen Gottes einordnen. So ist er dann bei uns alle Tage, und wie schön fühlt sich das an.

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