Kommentar

Warum Gretas Segelreise eine gute Idee ist

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Greta Thunberg

Kritik an Greta Thunbergs Segelreise zum UN-Klimagipfel nach New York kommt inzwischen nicht mehr nur aus rechten Kreisen. Doch der Vorwurf, dass ihre Reise über das Wasser letztlich ebensoviele Emissionen produziere, als wäre sie geflogen, ist hanebüchen. Deshalb und vor allem, weil Greta in der jungen Generation viele für die Klimaschädlichkeit von Flügen sensibilisiert, ist ihre Segelreise eine gute Idee.

Dass Greta Thunberg in rechten, konservativen und wirtschaftsliberalen Kreisen kritisiert wird, ist keine Neuigkeit: Rechtsaußen wird der Klimawandel komplett geleugnet. Den Konservativen ist es suspekt, dass ein junger Mensch – noch dazu weiblichen Geschlechts – eine weltweite Jugendbewegung anstößt, der ihre Zukunft wichtiger ist als das lückenlose Erfüllen der Schulpflicht. Und die Wirtschaftsliberalen schließlich kämpfen mit aller Macht dafür, die rasante Entwicklung des Klimawandels herunterzuspielen, um klimaschädliche Wirtschaftszweige vor allzu raschen und kostspieligen Umstrukturierungsmaßnahmen zu schützen, getreu dem Motto "Wirtschaft first, Klima second".

Dass die altbekannten Greta-Kritiker auch an Thunbergs Segelreise zum UN-Klimagipfel in New York kein gutes Haar lassen würden, war klar. Doch erstaunlicherweise fallen nun plötzlich auch links-grüne Medien wie die taz und sogar die etablierte WDR-Wissenschaftssendung Quarks in das Greta-Bashing ein. In investigativer Recherche hat man herausgefunden, dass Gretas Segelreise mehr – oder mindestens gleichviele – klimaschädliche Emissionen erzeugt, als hätten sie und ihr Vater die Hin- und Rückreise per Flugzeug absolviert. Der Clou des Rechenansatzes: Für die Rückfahrt des Segelboots nach Europa wird eine Crew in die USA eingeflogen. Zunächst berichteten Medien von einer sechsköpfigen Crew, doch das Segelteam stellte richtig, dass es sich lediglich um eine vierköpfige Crew handelt. Die Flüge dieser vierköpfigen Crew werden Greta angerechnet, da sie ohne ihre Segelreise ja nicht notwendig geworden wären.

Mir persönlich zieht es angesichts solch hanebüchener Argumentationen schlicht die Schuhe aus. Ich verstehe, dass die taz nach positiver Greta-Berichterstattung auch den bürgerlichen Teil ihrer grünen Leserschaft beruhigen muss, der hauptsächlich deshalb grün wählt, weil er auch bei der nächsten Flugreise zur Chakren-Wanderung in exotischer Natur ein gutes Gewissen haben möchte. Wer will die eigene Leserschaft da schon durch zu viel Flug-Shaming vergrätzen?

Doch könnte Medienschaffenden, selbst dann, wenn sie auf ihre Leserschaft Rücksicht nehmen, mit ein wenig Nachdenken auffallen, dass hier Äpfel mit Birnen verglichen werden. Es ist nicht Greta Thunberg, die die Entscheidung getroffen hat, eine Crew für die Rückführung des Segelboots in die USA einzufliegen, sondern der Besitzer des Segelboots. Hat trotzdem Greta als Verursacherin der mit den Flügen der Crew-Mitglieder verbundenen Emissionen zu gelten? Anders gefragt: Wenn ein Freund mich mit seinem Auto netterweise irgendwo hinfährt, mich am Ziel absetzt und das Auto für den Rückweg mit Altöl betankt, bin ich dann Verursacherin des Umweltschadens, der durch das Altöl entsteht? Wenn ich eine Party gebe und sich dort zwei Menschen kennenlernen, die gemeinsam ein Kind zeugen, das die größte Umweltsau des Jahrhunderts wird, bin ich dann für diese Umweltsauerei verantwortlich? Sicher, diese Ereignisse hätten ohne mich nie stattgefunden, doch bin ich tatsächlich ihre Verursacherin?

Natürlich steht außer Frage, dass Gretas Segelreise – obwohl selbst emissionsneutral – klimaschädliche Emissionen verursacht. Bereits Gretas Anreise zum Abfahrtshafen mit der Bahn hat Emissionen verursacht – auch wenn diese natürlich ein Vielfaches geringer sind, als wäre sie geflogen. Über Gretas Abreise wurde berichtet, was bedeutet, dass mehrere Journalisten zum Hafen von Plymouth gefahren sind, die diese Reise ohne Greta nicht angetreten hätten. Hinzu kommen auch noch einige Transatlantikflüge von Medienberichterstattern, die über Greta und den UN-Klimagipfel in New York berichten werden. Doch ist an den hierdurch verursachten Emissionen Greta Schuld? Und wäre es bei einer solchen Denkweise nicht besser, gleich den UN-Klimagipfel abzusagen, der ja der größte Bösewicht in diesem Spiel ist, weil er der Auslöser sowohl für Gretas Reise als auch die Reisen aller Journalisten ist?

Wer sich an den Emissionen, die im Zusammenhang mit Gretas Segelreise über den Atlantik entstehen, festbeißt, hat schlicht und ergreifend nicht verstanden, worum es bei dieser Reise eigentlich geht. Hält man Greta Thunberg und die Jugendlichen der Fridays for Future-Bewegung tatsächlich für so dumm nicht zu wissen, dass ein klimaneutrales Leben gegenwärtig vor allem in der westlichen Welt unmöglich ist? Worum es ihnen geht, ist darauf aufmerksam zu machen, dass klimaschädliche Emissionen zeitnah drastisch reduziert werden müssen: Durch die Umstellung des persönlichen Lebensstils ebenso wie durch die Förderung klimafreundlicher Technologien.

Zur Umstellung des persönlichen Lebensstils gehört unter anderem das Vermeiden von Flugreisen. Mit ihrer Segelreise nach New York setzt Greta Thunberg diesbezüglich ein Zeichen. Ein Zeichen, das von der WDR-Wissenschaftssendung Quarks, die sich ansonsten eigentlich durch Qualität auszeichnet, gründlich missverstanden wird:

"Mit dem Segeltrip suggeriert Thunberg, dass jeder Mensch, der ihrem Vorbild folgt, auch mit dem Schiff in die USA fahren sollte anstatt zu fliegen. Man könnte die Message sogar so deuten, dass Thunberg Segeln als klimaneutrale Alternative zu Flugreisen vorstellen möchte. (…) Mit großer Wahrscheinlichkeit sitzen jetzt viele Jugendliche zuhause und planen innerlich ihren eigenen Segeltörn in den Urlaub. Gleichzeitig wird es Leute geben, die sich von Greta abwenden, weil sie ihre Methoden für übertrieben und nicht massentauglich halten. Schließlich kann sich nicht jeder mal eben vier Wochen frei nehmen, um auf diese Art zu seinem Urlaubsziel zu gelangen."

Ob in der Quarks-Redaktion verstanden wurde, dass die Fridays for Future-Aktivisten eben nicht die von rechten Kreisen gezeichneten vermeintlichen Wohlstandsblagen sind, die von Mutti mit dem SUV zur Demo gefahren werden? Ob in der Redaktion die Information durchgedrungen ist, dass viele Fridays for Future-Aktivisten nicht in den Urlaub gefahren sind, dass die Freitagsdemos auch in den Ferien weitergingen und dass es während der Schulferien sogar einen klimafreundlich per Bahn zu erreichenden Fridays for Future-Sommerkongress gab? Es geht der jungen engagierten Generation eben nicht darum, weiterzumachen wie bisher. Und das bedeutet eben auch den Verzicht auf ferne Urlaubsziele.

Auch Greta Thunberg hätte ihre Reise in die USA weder per Segelboot noch auf einem anderen Weg wohl jemals angetreten, wenn es dabei um einen "Urlaub" gegangen wäre. Wer ihre Kanäle in den Sozialen Medien verfolgt hat, weiß, wie schwer sie sich mit der Entscheidung getan hat, überhaupt zum UN-Klimagipfel zu reisen. Die Möglichkeit, im persönlichen Gespräch mit führenden Politikern aus aller Welt Positives bewirken zu können, ließ sie die Reise schließlich antreten. Die Geschichte ihrer Segelreise steht deshalb vor allem für die Empfehlung, auf Fernreisen möglichst vollkommen zu verzichten – und wenn sie unbedingt sein müssen, zuvor zu klären, ob es umweltverträglichere Möglichkeiten des Reisens gibt als das Fliegen. Gretas Reise setzt diesbezüglich ein Zeichen, das sicherlich viele junge Menschen inspirieren wird, Fernreisen und Flüge weniger selbstverständlich zu nehmen, als dies inzwischen in unserer Gesellschaft der Fall ist.