Ludger Lütkehaus ist tot. Der Philosoph, Literaturwissenschaftler und gbs-Beirat starb am vergangenen Freitag im Alter von 75 Jahren nach langer schwerer Krankheit in Freiburg. Ein Nachruf von Michael Schmidt-Salomon.
"Sein oder Nichtsein – Das ist hier die Antwort": Mit diesen markanten Worten bewarb der Verlag "Gerd Haffmans bei Zweitausendeins" das Opus magnum von Ludger Lütkehaus "Nichts", das sich zu einem veritablen Bestseller entwickelte. Dass er der Mann sei, der 758 Seiten über "Nichts" geschrieben hatte, sorgte bei Vorstellungsrunden für Erheiterung, allerdings konnte seine stets präsente Selbstironie die Ernsthaftigkeit seines philosophischen Anliegens nicht überdecken. Tatsächlich hat seit Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche wohl niemand so intensiv über die "Nichtigkeit der Welt" nachgedacht wie er.
Als ich "Nichts" Anfang der 2000er Jahre das erste Mal las, hielt ich das Ganze zunächst nur für eine amüsante akademische Fingerübung. Erst allmählich begriff ich die fundamentale Erkenntnis, die Lütkehaus vermitteln wollte, nämlich dass die Leugnung der Vergeblichkeit unseres Seins keineswegs zu einem besseren Leben führt. Er machte klar: Nur wenn wir die kosmische Sinnlosigkeit unserer Existenz voll und ganz akzeptieren, werden wir in der Lage sein, unserem Leben einen halbwegs tragfähigen Sinn zu geben.
Diese Haltung hat mich nachhaltig beeindruckt: Sätze wie "Am Ende der menschlichen Geschichte steht nicht der dauergrinsende 'Mr. Fortschritt', sondern das heillose, trostlose, sinnlose Nichts" oder "Der Stein der Weisen ist der Grabstein", die man in meinen Büchern findet, waren Reminiszenzen an das Werk von Ludger Lütkehaus, die er als solche auch wahrgenommen hat.
2010 gab Ludger Lütkehaus zum 150. Todestag von Arthur Schopenhauer einen Sammelband mit dem schönen Titel: "Ich bin ein Mann, der Spaß versteht: Einsichten eines glücklichen Pessimisten" heraus. Dieser Buchtitel charakterisierte nicht nur den besonderen Zugang, den Lütkehaus zur Philosophie Schopenhauers gefunden hatte, sondern auch seine eigene Lebenseinstellung.
Seinen Weg zum "glücklichen Pessimisten" hatte er sich allerdings hart erarbeitet, wie das (2012 bei Alibri neuaufgelegte) autobiographische Buch "Kindheitsvergiftung" zeigt. Er schildert darin sehr nachdrücklich die leidvollen Erfahrungen, die er als Kind in einem streng katholischen Umfeld machen musste. Vermutlich haben ihm gerade auch diese Erfahrungen in besonderem Maße bewusst gemacht, mit welch hohen psychischen Kosten die affirmative Bejahung des Seins im Allgemeinen und der "Schöpfung" im Besonderen verbunden ist, weshalb er sich letztlich dazu entschloss, sich in der Nachfolge Schopenhauers und Nietzsches nicht weiter aus der Wirklichkeit "fortzulügen" und die "Nichtsvergessenheit der abendländischen Kultur" zu überwinden.
Für seine Arbeit als Philosoph und Autor sowie als Herausgeber der Werke und Briefe Schopenhauers wurde Lütkehaus vielfach geehrt, unter anderem mit dem Sonderpreis der Schopenhauer-Gesellschaft (1979), dem Robert-Mächler-Preis (2007) sowie mit dem Friedrich-Nietzsche-Preis des Landes Sachsen-Anhalt (2009). Nicht zuletzt war er auch ein brillanter Redner, dessen Formulierungskünste allseits gerühmt wurden. Noch immer erinnere ich mich sehr lebhaft an die fulminante Laudatio, die er 2001 auf Karlheinz Deschner bei der Verleihung des Erwin-Fischer-Preises des IBKA gehalten hat. Es war das erste Mal, dass wir uns begegneten. Einige Jahre später wurde er Beiratsmitglied der neugegründeten Giordano-Bruno-Stiftung.
Im September 2015 trafen wir uns das letzte Mal bei der Trauerfeier für unseren gemeinsamen Freund Max Kruse, dem Schöpfer des berühmten "Urmel aus dem Eis". Schon damals berichtete uns Ludger von seiner schwerwiegenden Krebserkrankung. In den darauffolgenden Jahren zog er sich mehr und mehr zurück. Am 22. November ist er nun im Alter von 75 Jahren in seiner Wahlheimat Freiburg gestorben.
Auf die Frage, ob es besser sei, dass etwas ist statt vielmehr nichts, hätte Ludger niemals mit einem klaren Ja geantwortet. Dass es besser war, dass es diesen Ludger Lütkehaus gegeben hat statt vielmehr nicht, steht für uns aber eindeutig fest: Es war eine Freude, diesen klugen, vielseitig belesenen und interessierten "glücklichen Pessimisten" unter uns zu wissen. Wie Schopenhauer war auch er "ein Mann, der Spaß versteht" – und dies ist vielleicht das allerwichtigste Therapeutikum für einen rationalen Umgang mit dem allumfassenden Nichts.
4 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Von Nichts kommt nichts? Doch!
Martin Winkler am Permanenter Link
„Am Ende der menschlichen Geschichte steht nicht der dauergrinsende ‚Mr. Fortschritt‘, sondern das heillose, trostlose, sinnlose Nichts" Das Nenn ich mal ne gesunde Lebenseinstellung.
Martin Winkler am Permanenter Link
Ich bin selbst nicht gläubig im Sinne unserer Weltreligionen und der Wissenschaft zugetan.
Roland Fakler am Permanenter Link
Ich finde es ziemlich tröstlich, dass ich mich nach meinem Tod so fühlen werde wie vor meiner Geburt. Da gibt es nichts zu fürchten und nichts zu jammern.