Der Papst, die Pille und das Zika-Virus

Gretchenfrage "Verhütungsmittel"

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BERLIN. (hpd) Papst Franziskus hat angesichts der Zika-Epidemie in Südamerika die Benutzung von Verhütungsmitteln in den betroffenen Regionen freigegeben – so jedenfalls wurde es in zahlreichen namhaften Medien berichtet. Aber hat er das wirklich?

Wenn der Papst ein Flugzeug besteigt, beginnt in der PR-Abteilung des Vatikan inzwischen wahrscheinlich das große Zittern. Vor gut einem Jahr plauderte der Papst auf dem Rückflug von den Philippinen gutgelaunt mit Reportern im Flugzeug und eröffnete ihnen unter anderem, dass der Westen mit seiner "Homosexuellen-Agenda" offenbar die ganze Welt kolonialisieren wolle, und dass Katholiken sich nicht wie Karnickel vermehren müssten, bloß weil die Ehe nach Auffassung der katholischen Kirche der Fortpflanzung diene. Letzteres brachte im bekanntlich eine Rüge vom Präsidenten des Zentralverbands Deutscher Rassekaninchenzüchter ein, der in dieser Äußerung des Pontifex ein Schüren alter Vorurteile gegenüber Kaninchen sah.

Und jetzt ist es schon wieder passiert: Auf dem Rückflug von Mexiko nach Rom Ende vergangener Woche hielt Franziskus erneut einen seiner gefürchteten Pläusche mit Journalisten. Ergebnis: In der Presse ist zu lesen, der Papst erlaube wegen der Zika-Virus-Epidemie in Südamerika nun den Einsatz von Verhütungsmitteln. Das von Stechmücken übertragene Virus steht im Verdacht, bei Schwangeren schwere Schädelfehlbildungen (Mikrozephalie) der Föten hervorzurufen, weswegen die Weltgesundheitsorganisation WHO Frauen in betroffenen Gebieten derzeit den Einsatz von Verhütungsmitteln empfiehlt, um Schwangerschaften zu verhindern.

Und nun also auch der Papst. Endlich. Ein aufatmendes Seufzen ging durch die Medienwelt. Von der Tagesschau bis zu Spiegel Online wurde über den vermeintlichen Sinneswechsel des Papstes berichtet und die katholische Christenheit, ja selbst kirchenferne Menschen riefen entzückt aus: Und sie bewegt sich doch, die katholische Kirche! Wer hätte das geglaubt. – Nun, ich nicht. Und offen gesprochen: Ich glaube es noch immer nicht.

Sollte Papst Franziskus tatsächlich den Einsatz von Verhütungsmitteln zur Verhinderung der Zeugung behinderter Kinder aufgrund einer Zika-Infektion der Mutter freigegeben haben, so würde er damit fundamental von der bisherigen katholischen Lehrmeinung abweichen. Um die Frage zu klären, ob er dies wirklich getan hat, ist es leider nicht zu vermeiden, sich in die Untiefen theologischer Gedankenwelten zu begeben. Wem dies nicht geheuer ist, dem sei geraten, die folgenden Absätze zu überspringen.

Als in den 1960er Jahren die Antibabypille auf den Markt kam, sah sich die katholische Kirche gedrängt, zur Frage der Verhütungsmittel Stellung zu beziehen. 1968 veröffentlichte der damals amtierende Papst Paul VI. deshalb die Enzyklika "Humanae Vitae" – im Volksmund auch "Pillenenzyklika" genannt – auf die sich in der Verhütungsfrage seitdem alle Päpste beriefen. Auch Franziskus.

Hierin ist zunächst nachzulesen, was bereits vor der Pille katholische Lehre war: "Liebende Vereinigung und Fortpflanzung" sind untrennbar miteinander verbunden. Aber auch zum Thema Familienplanung und Verhütung gibt es für die katholische Christenheit erstmals klare Anweisungen:

"Gemäß diesen fundamentalen Grundsätzen menschlicher und christlicher Eheauffassung müssen Wir noch einmal öffentlich erklären: Der direkte Abbruch einer begonnenen Zeugung, vor allem die direkte Abtreibung - auch wenn zu Heilzwecken vorgenommen -, sind kein rechtmäßiger Weg, die Zahl der Kinder zu beschränken, und daher absolut zu verwerfen. Gleicherweise muss, wie das kirchliche Lehramt des öfteren dargetan hat, die direkte, dauernde oder zeitlich begrenzte Sterilisierung des Mannes oder der Frau verurteilt werden. Ebenso ist jede Handlung verwerflich, die entweder in Voraussicht oder während des Vollzugs des ehelichen Aktes oder im Anschluss an ihn beim Ablauf seiner natürlichen Auswirkungen darauf abstellt, die Fortpflanzung zu verhindern, sei es als Ziel, sei es als Mittel zum Ziel. Man darf, um diese absichtlich unfruchtbar gemachten ehelichen Akte zu rechtfertigen, nicht als Argument geltend machen, man müsse das Übel wählen, das als das weniger schwere erscheine (…). Wenn es auch zuweilen erlaubt ist, das kleinere sittliche Übel zu dulden, um ein größeres zu verhindern oder um etwas sittlich Höherwertiges zu fördern, so ist es dennoch niemals erlaubt - auch aus noch so ernsten Gründen nicht -, Böses zu tun um eines guten Zweckes willen: das heißt etwas zu wollen, was seiner Natur nach die sittliche Ordnung verletzt und deshalb als des Menschen unwürdig gelten muss; das gilt auch, wenn dies mit der Absicht geschieht, das Wohl des einzelnen, der Familie oder der menschlichen Gesellschaft zu schützen oder zu fördern." (HV 14)

Was die sexuelle Zusammenkunft betrifft, sind die Richtlinien der katholischen Kirche eindeutig: Man darf zwar versuchen, dem ungezügelten Familienzuwachs zu entgehen, indem nur während der vermeintlich unfruchtbaren Zeiten der Frau Geschlechtsverkehr ausgeübt wird, aber man darf sich nicht prinzipiell der Weitergabe von Leben verschließen, indem man Verhütungsmittel nutzt. Im Vergleich zu der grundlegend abgelehnten Abtreibung, erscheine laut "Humanae Vitae" der Einsatz eines Verhütungsmittels zwar als "weniger schweres Übel", dass es ein Übel ist, daran ist jedoch nicht zu rütteln. Und etwas Übles zu tun, ist nun mal nicht erlaubt, egal wie gut die Absicht sein mag.

Aus theologischer Perspektive ist es daher nicht nachvollziehbar, warum die aktuelle Verbreitung eines Virus, das nach jetzigem Stand der Wissenschaft zu schweren Behinderungen des Fötus führt, die katholische Kirche dazu veranlassen sollte, ihren Schäfchen den Einsatz von Verhütungsmitteln zu gestatten.

Falls dies tatsächlich der Fall sein sollte, so müsste man fragen, warum der Einsatz von Verhütungsmitteln in Regionen mit hoher Aids-Rate in Afrika durch die katholische Kirche seit Jahrzehnten untersagt wird? Zwar führt das HIV-Virus bei Neugeborenen nicht zu Behinderungen, aufgrund der katastrophalen medizinischen Versorgung und fehlender Aids-Medikamente in diesen Gebieten erwartet bei der Geburt infizierte Kinder jedoch häufig nur ein kurzes, sehr leidvolles Leben. Was unterscheidet ihr Leid von dem eines durch das Zika-Virus behinderten Neugeborenen mit ebenfalls nur kurzer Lebenserwartung?

Abgesehen von den Bestimmungen in "Humanae Vitae": Muss ich als gläubiger Mensch nicht ohnehin stets annehmen, was Gott mir auferlegt? Ist es letztlich nicht allein Gottes Wille, ob er mir ein gesundes oder ein behindertes Kind schenkt? Und seine Kreativität im Schaffen von Behinderungen ist bekanntlich groß, sie reicht von der Schöpfung von Erbkrankheiten, über das spontane Verkleben von Chromosomen im frühen Zellteilungsprozess einer Schwangerschaft bis zum Sauerstoffmangel im kindlichen Hirn durch Strangulation des Fötus mit der Nabelschnur kurz vor der Geburt. Wenn es also letztlich Gottes Wille ist, der bestimmt, ob ich ein gesundes oder ein behindertes Kind zur Welt bringe, liegt es dann nicht auch allein in Gottes Hand, ob ich während einer Schwangerschaft mit dem Zika-Virus infiziert werde? Welches Recht habe ich, mit einem Kondom seine Pläne zu durchkreuzen?

Aber das sind freilich philosophische Spitzfindigkeiten, die nichts in ernsthaften theologischen Erörterungen zu suchen haben. Also zurück zur Ausgangsfrage: Wie kann es sein, dass Papst Franziskus die Nutzung von Verhütungsmitteln angesichts der Regelungen in "Humanae Vitae" freigibt, obwohl er selbst die Gültigkeit der Enzyklika stets bekräftigt hat?

Nun, wie so oft im Leben hilft ein Quellenstudium weiter. Auf der Homepage der Catholic News Agency (CNA) ist eine englische Transkription des Interviews mit Papst Franziskus auf seinem Rückflug von Mexiko nach Rom nachzulesen, unter anderem die Passage, die seine Äußerungen zu Verhütungsmitteln angesichts der Zika-Virus-Epidemie beinhaltet:

"Paloma García Ovejero, Cadena COPE (Spanien):
Heiliger Vater, seit einigen Wochen ist man in vielen Ländern Lateinamerikas aber auch in Europa sehr besorgt wegen des Zika-Virus. Schwangere Frauen sind am meisten gefährdet. Die Menschen haben Angst. Einige Behörden haben den Einsatz von Abtreibungen oder anderen Mitteln vorgeschlagen, um Schwangerschaften zu vermeiden. Was das Vermeiden von Schwangerschaften in dieser Angelegenheit betrifft: Könnte die Kirche das Konzept 'des geringeren von zwei Übeln' in Erwägung ziehen?

Papst Franziskus:
Abtreibung ist nicht das geringere von zwei Übeln. Es ist ein Verbrechen. Es ist, als würde man jemanden rauswerfen, um einen anderen zu retten. Das ist das, was die Mafia tut. Es ist ein Verbrechen, ein absolutes Übel. Was das 'geringere Übel', das Vermeiden von Schwangerschaften, betrifft, sprechen wir über einen Konflikt zwischen dem fünften und sechsten Gebot. Paul VI., ein großer Mann, erlaubte Nonnen in einer schwierigen Situation in Afrika den Gebrauch von Verhütungsmitteln bei Fällen von Vergewaltigung.
Aber verwechseln Sie das Übel, eine Schwangerschaft zu verhindern, nicht mit Abtreibung. Abtreibung ist kein theologisches Problem, es ist ein menschliches Problem, es ist ein medizinisches Problem. Man bringt eine Person um, um eine andere zu retten, im besten Fall. Oder um angenehm zu leben, nein? Es widerspricht dem Hippokratischen Eid, den Ärzte schwören müssen. Es ist ein Übel in sich selbst, aber es ist zunächst kein religiöses Übel, nein, es ist ein menschliches Übel. Darüber hinaus ist natürlich, wie alles menschliche Übel, jedes Töten zu verdammen.
Auf der anderen Seite ist das Vermeiden einer Schwangerschaft kein absolutes Übel. In bestimmten Fällen, wie in diesem oder in dem erwähnten des seligen Paul VI., war es eindeutig. Außerdem würde ich die Ärzte dringend bitten, ihr Möglichstes zu tun, um Impfstoffe gegen die beiden Stechmücken zu finden, die diese Krankheit in sich tragen. Hieran muss dringend gearbeitet werden."

Der aufmerksame Leser wird bemerkt haben, dass die Begrifflichkeiten des Interviews jenen, die in der weiter oben zitierten Passage aus "Humanae Vitae" erstaunlich ähneln. Es handelt sich im Grunde um ein theologisches Fachgespräch, das im Kontext der Regelungen von HV 14 zu verstehen ist. Papst Franziskus bekräftigt darin, dass es sich bei Abtreibungen um ein "absolutes Übel" handelt, etwas, dass unter keinen Umständen zu erlauben ist – dies nimmt den größten Teil seiner Antwort auf die Frage der Journalistin ein. Das Vermeiden von Schwangerschaften hingegen ist "kein absolutes Übel". Das heißt, es ist zwar noch immer ein Übel, aber eben kein absolutes. Es gibt Ausnahmeregelungen. Wie eben jene von Papst VI. erteilte Ausnahmegenehmigung für Nonnen während des Kongokriegs in den 1960er Jahren, in dem Vergewaltigungen an der Tagesordnung waren.

Bedeutet das, dass die Regelungen von "Humanae Vitae" verhandelbar sind? Nein. Vielmehr hat man hierbei einen theologischen Trick angewendet:
"Humanae Vitae" spricht seine Regeln ausdrücklich nur für die sexuelle Zusammenkunft von Ehepartnern aus, denn eine andere sexuelle Zusammenkunft ist im Gedankensystem der römisch-katholischen Kirche ja ohnehin nicht erlaubt. Daher steht die Freigabe der Pille für Nonnen durch Paul VI. auch nicht im Widerspruch zu dieser (erst einige Jahre später von ihm verfassten) Enzyklika. Da ihr Sex kein einvernehmlicher, ehelicher Sex wäre, darf sich die jeweils betroffene Nonne selbstverständlich der Weitergabe von Leben beim sexuellen Akt verschließen, indem sie ein Verhütungsmittel nimmt.

Hat der Papst mit seinem kurzen Statement "Auf der anderen Seite ist das Vermeiden einer Schwangerschaft kein absolutes Übel. In bestimmten Fällen, wie in diesem oder in dem erwähnten des seligen Paul VI., war es eindeutig" also tatsächlich den Einsatz von Verhütungsmitteln bei nicht-ehelichen Vergewaltigungen gleichgesetzt mit dem Einsatz von Verhütungsmitteln zur Verhinderung des Lebens von behinderten Kindern bei ehelichem Sex in Zika-Gebieten? Etwas, das "Humanae Vitae" eindeutig nicht als legitimen Grund anerkennt:

"Wenn es auch zuweilen erlaubt ist, das kleinere sittliche Übel zu dulden, um ein größeres zu verhindern oder um etwas sittlich Höherwertiges zu fördern, so ist es dennoch niemals erlaubt - auch aus noch so ernsten Gründen nicht -, Böses zu tun um eines guten Zweckes willen: das heißt etwas zu wollen, was seiner Natur nach die sittliche Ordnung verletzt und deshalb als des Menschen unwürdig gelten muss; das gilt auch, wenn dies mit der Absicht geschieht, das Wohl des einzelnen, der Familie oder der menschlichen Gesellschaft zu schützen oder zu fördern." (HV 14)

Kann einem theologisch geschulten Menschen wie dem Papst tatsächlich so ein grober Schnitzer unterlaufen? Das fragte sich auch ACI Stampa, die italienische Ausgabe der Catholic News Agency, und bat Pater Frederico Lombardi, den Direktor des Pressebüros des Heiligen Stuhles, um eine Stellungnahme. Lombardi sagte, dass "der Papst entschieden zwischen der Abtreibung, einem Verbrechen, und der Verhütung unterschieden hat. Dadurch, dass er an das Beispiel von Paul VI. erinnerte, hat er unterstrichen, dass in besonders schwerwiegenden Fällen eine — selbstverständlich nicht abtreibende — Anwendung in Betracht gezogen werden kann."

In der Kunst, mit vielen Worten wenig zu sagen, unterscheiden sich Theologen kaum von Politikern. Durch Lombardis Paraphrase wird nicht im Mindesten deutlicher, was der Papst denn nun eigentlich gemeint hat. Ja zu Verhütungsmitteln bei Zika? Oder dürfen doch nur die Nonnen im Kongo? Was sind "besonders schwerwiegende Fälle"? Oder gibt es vielleicht doch noch eine andere Lesart der päpstlichen Worte, die mit "Humanae Vitae" in Einklang zu bringen wäre?

Ja, die gibt es. Der Papst spricht von einer "Verhinderung der Schwangerschaft". Eine solche ist nach "Humanae Vitae" katholischen Ehepaaren aus Gründen der Familienplanung durchaus erlaubt. Allerdings nicht durch Verhütungsmittel, sondern nur durch Beischlaf an den nicht fruchtbaren Tagen der Frau. Sollte der Papst am Ende also einfach nur das gemeint haben? Keine Zika-Babys durch Enthaltsamkeit an den kritischen Tagen?

Fazit?

Wieder mal ist es Franziskus gelungen, PR-technisch im besten Licht zu erscheinen. Dass er ein barmherziger Papst ist, der über die Gesetze der Kirche hinwegschaut, wenn es darum geht, Leid zu lindern, das ist es, was bei den Menschen hängenbleiben wird – egal, wie Franziskus seine Äußerung denn nun tatsächlich meinte.

Dabei ist dieser PR-Effekt diesmal ausnahmsweise weder Franziskus noch dem Vatikan vorzuwerfen. Nein, die PR-Maschinerie "Franziskus”"hat sich inzwischen verselbständigt. Durch Franziskus-Fans aller Glaubens- und Nichtglaubensrichtungen – und vor allem durch jene, die von Beruf Journalisten sind – wird ein päpstlicher Halbsatz zu einer Wundertat aufgebauscht, obwohl er vielleicht nur kalter Kaffee ist. Und warum? Weil seine Fans in Franziskus auf Teufel komm raus den Erlöser vom jahrhundertealten Mief der katholischen Kirche sehen wollen, den sie schon so lange verzweifelt erhoffen. Wie die Realität "Franziskus" aussieht, interessiert sie dabei herzlich wenig.