Christliche Sexualmoral

Papst: "Die Lust kommt direkt von Gott"

Sex.jpg

Papst Franziskus hat die Lust am Sex rehabilitiert – teilweise. Es ist nicht das erste Mal, dass der für vatikanische Verhältnisse revolutionär auftretende oberste Kirchenfürst mit Aussagen zu diesem Thema für Aufsehen sorgt. Denn traditionell ist Sexualität im Christentum nicht unbedingt positiv belegt.

Christentum und Sex. Woran denkt man da spontan? Vor der Hochzeit ist's tabu. Keuschheit ist die ideale Tugend einer Frau. Sie muss unbedingt jungfräulich in die Ehe gehen. Und danach bitte nur in Missionarsstellung und mit Licht aus. Ganz wichtig: Geschlechtsverkehr ist nur zulässig mit der Absicht, so viele Kinder wie möglich zu zeugen. Denn sich aus reiner Fleischeslust miteinander zu vergnügen, ist Sünde.

Und fertig ist die theologische Rechtfertigung, möglichst viele neue Schäfchen für die eigene Weltanschauung zu produzieren, um so die frohe Botschaft auch zahlenmäßig in die Welt hinauszutragen. In ihrer grenzenlosen Verklemmtheit hätten es so manche Kirchenväter ja gerne irgendwie anders gelöst, damit man diesen unanständigen Akt gänzlich verdammen könnte – aber das hat schließlich nur einmal geklappt: bei Maria – angeblich. Für alle Normalsterblichen gilt – und da hat dieser ominöse Gott ja irgendwie nicht mitgedacht –, ohne diesen schändlichen Sex gibt es keine Kinder.

Wenn Fortpflanzung die Bedingung für die Lizenz zum Geschlechtsverkehr ist, schließt das natürlich einiges aus: Verhütung natürlich, aber auch Praktiken, die nicht der Besamung dienen, geschweige denn gleichgeschlechtliche Liebe. Für "falsche" Sexpraktiken gab es im Mittelalter im Handbuch für Beichtväter, der "summae confessorum", sogar einen Bußekatalog für sexuelle Verfehlungen. Die Höhe der Strafe richtete sich dabei nach dem Lustgewinn (wie haben die frommen Herren den nur in Erfahrung gebracht?): War etwa die Frau beim Geschlechtsverkehr oben, wurde das als besonders sündig betrachtet, getoppt nur noch von Anal- und Oralsex. Wer sich im Beichtstuhl dessen schuldig bekannte, wurde zu Wasser-und-Brot-Fasten über eine bestimmte Zeitspanne verdonnert – und natürlich zum Unterlassen der entsprechenden sexuellen Handlung.1

Der vielen als "Reformpapst" geltende Franziskus geht beim für die Kirche heiklen Thema Sexualität neue Wege. 2015 tat er in einem berühmt gewordenen Pressegespräch während eines Rückfluges aus Asien kund, dass sich gute Katholiken nicht wie die Karnickel vermehren müssten.

Jetzt hat er auf diesem Gebiet, mit dem er sich offiziell ja gar nicht auskennen dürfte, nachgelegt: In einem neu erschienen Buch des nichtgläubigen Soziologen und Gründers der Slow Food-Bewegung, Carlo Petrini, versucht sich der zölibatär lebende Experte für Sex und Partnerschaft an einer Korrektur. So verurteile die katholische Kirche laut ORF nur "unmenschliche, vulgäre Lust", nicht aber die "menschliche, nüchterne". Wie genau sich das unterscheidet und was "nüchterne Lust" überhaupt sein soll (darf man betrunken keinen Sex haben?), belässt er der theologischen Tradition folgend im Nebulösen.

Dann wird es doch noch etwas konkreter: "Die Lust kommt direkt von Gott", sagt sein selbsternannter Stellvertreter, sie sei weder katholisch oder christlich noch irgendetwas anderes, sie sei "einfach göttlich". Eine Rehabilitation sexueller Lust von höchster katholischer Stelle? Fast. Denn es gelten natürlich – neben den bereits genannten unverständlichen Kategorisierungen – Einschränkungen: Denn so wie Freude am Essen dazu diene, durch Essen gesund zu bleiben (ob das, was schmeckt, immer der Gesundheit zuträglich ist, sei mal dahingestellt), sei die Lust am Sex dazu da, "die Liebe schöner zu machen und den Fortbestand der Art zu sichern". Aha. Also bleibt dann irgendwie doch alles beim Alten. Aber Chapeau für die biologisch angehauchte und erfrischend wenig verschwurbelte Erklärung. Das ist doch zumindest ein Anfang.

Unterstützen Sie uns bei Steady!

1 Tony Perrottet: Das Ei des Napoleon und andere historische Sensationen, die unsere Geschichtslehrer uns verschwiegen haben. Heyne Verlag 2008, S. 160–163↩︎