Rezension

Machtkampf im Ministerium

2018 erschien das Buch von Susanne Wiesinger, "Kulturkampf im Klassenzimmer. Wie der Islam die Schulen verändert". In diesem zeigte die Lehrerin einer Brennpunktschule in Wien-Favoriten und Personalvertreterin der sozialdemokratischen Lehrergewerkschaft die Probleme mit muslimischen Schülern auf.

Schonungslos schildert sie, wie sich in immer mehr Schulen eine Parallelgesellschaft herausbildet: von Schülern, die in der Mittelschule kaum genug Deutsch verstehen, um dem Unterricht folgen zu können, die ihre Mitschülerinnen nötigen, sich zu verhüllen und die ihre Religion über alles stellen. Obwohl aus den Darstellungen von Frau Wiesinger kein Hass, sondern die fast mütterliche Sorge um diese Generation von jungen Muslimen spricht, provozierte sie damit teilweise hochemotionale Reaktionen.

Dieses Buch war ein Tabubruch und besonders schmerzhaft für die "linke Reichshälfte", weil hier eine Sozialdemokratin die parteipolitisch vorgegebene Kommunikationsstrategie der rot/grünen Apologetik ("gibt es nicht", "das sind Einzelfälle", "das ist ein rassistisches Vorurteil", "das gibt es auch bei den Österreichern" etc.) in Frage stellt.

Im Februar 2019 wurde sie von Bildungsminister Fassmann als "Ombudsfrau für Wertefragen und Kulturkonflikte" an das Bildungsministerium berufen. Dort war sie fast ein Jahr tätig. Mit dem Erscheinen des vorliegenden Buches, in welchem sie ihre diesbezüglichen Erfahrungen mit der Parteipolitik darlegt, wurde ihre Tätigkeit als Ombudsfrau vom Minister sofort für beendet erklärt.

Im Unterschied zu anderen Rezensionen soll in der vorliegenden Besprechung – nach der allgemeinen Darstellung der Grundthesen – schwerpunktmäßig auf das Thema Ethikunterricht eingegangen werden.

Cover

Das Hauptthema des neuen Werkes von Susanne Wiesinger sind die parteipolitischen Konflikte, welche Reformen im Schulsystem verunmöglichen. Nach der Veröffentlichung ihres ersten Buches führte Frau Wiesinger viele Gespräche mit den Politikern verschiedener Parteien. Hierbei machte sie die Erfahrung, dass es gerade bei linken Politikern oftmals eine Differenz zwischen der eigenen und der offiziellen Meinung gibt. So sind auch grüne und sozialdemokratische Politiker im Vieraugengespräch sehr häufig für ein Kopftuchverbot, vermeiden es aber in der Öffentlichkeit gegen die jeweilige Parteilinie zu argumentieren. Genau diese Linientreue und dieses parteipolitische Einzementieren und Boykottieren der politischen Konkurrenz führen zu Konflikten und Entscheidungen, in welchen meistens die vernünftige Einsicht gegenüber dem machtpolitischen Kalkül das Nachsehen hat. Dieses ausgeprägte politische Lagerdenken führte dazu, dass sogar die parteipolitisch unabhängige und weisungsfreie Ombudsfrau parteipolitisch vereinnahmt werden sollte. Der diesbezügliche Widerstand Wiesingers führte zu Konflikten und war auch ausschlaggebend für das Verfassen des vorliegenden Buches.

Einer der Vorwürfe, der gegen ihr erstes Buch erhoben wurde, war, dass die von ihr geschilderten Probleme in dieser Massivität nur an ihrer "Brennpunktschule" auftreten würden und daher lediglich ein Einzelfall seien. In ihrer Tätigkeit als Ombudsfrau hatte Frau Wiesinger nun auch die Möglichkeit, mit anderen Lehrern und Direktoren in ganz Österreich Gespräche zu führen. Hierbei konnte sie feststellen, dass die von ihr geschilderten Probleme praktisch überall in Österreich zu finden waren, sie wurden nur nicht – aus den oben genannten Gründen – medial kommuniziert.

Beim "Kulturkampf" hat Wiesinger die Religion (hier: den Islam) als Hauptproblem im Schulalltag ausgemacht. In "Machtkampf" kommen, neben einer Wiederholung ihrer einschlägigen Erfahrungen der muslimischen Schülerschaft, aber auch andere Religionen in den Fokus des Problembewusstseins, wobei das Hauptproblem im Katholizismus zu verorten ist. Der Einfluss der (nichtislamischen) Religion war sowohl im Ministerium als auch in den Bundesländern zu spüren, wobei – welche Überraschung! – die jeweilige politische Einfärbung unterschiedliche Blüten treibt.

Im erzkatholischen Westen Österreichs ist es vor allem die katholische Kirche, die per Anruf die Dinge im Schulalltag (Sexualerziehung, Stundenplan, Schulleiterbestellungen) steuert, im rot/grünen Wien wiederum agieren politisch protegierte, quasireligiöse Vereine in den Projekten. Wiesinger skizziert hier den Verein ZARA (Zivilcourage und Antirassismus-Arbeit), der basierend auf einem hochgradig ideologisch determinierten Weltbild, in welchem die Schuld für misslungene Integration grundsätzlich bei der Aufnahmegesellschaft (konkret bei den Lehrern) zu suchen ist, Fortbildungen anbietet, welche aufgrund des mangelhaften Realitätsbezuges von geringer praktischer Relevanz erscheinen. Den Lehrern werden in der Weiterbildung keine Lösungen für die Probleme geboten, sondern einstudierte rhetorische Ausweichmanöver. Zitat Seite 170: "Erzählten Lehrer von Mädchen, die von ihren Brüdern kontrolliert werden, landen die Vortragenden bei Diskriminierungserfahrungen junger muslimischer Männer. Lässt man dennoch nicht locker, wird auf die mangelnde Gleichberechtigung in der österreichischen Mehrheitsgesellschaft hingewiesen. Letztendlich läge alle Verantwortung für das Gelingen von Integration bei Lehrern und Schulleitern."

Frau Wiesinger bietet als einen Teil der Problemlösung den verpflichtenden Ethikunterricht für alle an. Auch der Großteil der Lehrerschaft unterstützt diesen Ansatz, sogar bei konservativen Politikern findet dieses Konzept Zustimmung. Als Frau Wiesinger diesen etablieren wollte, erhielt sie – trotz des diesbezüglichen grundsätzlichen Wohlwollens im Bildungsministerium – folgende Antwort (S. 15): "Aber man sei der katholischen Kirche und dem damaligen Koalitionspartner FPÖ verpflichtet und dürfe daher den konfessionellen Religionsunterricht nicht schwächen." Überrascht war Frau Wiesinger hier von der Machtlosigkeit des Ministers. Auch Herr Fassmann hätte gerne den verpflichtenden Ethikunterricht für alle eingeführt. Die Rücksichtnahme auf die Empfindlichkeiten der Religionsgemeinschaften blockierte hier aber jeglichen Fortschritt. Das Kabinett war sogar dagegen, dass die Ombudsfrau diesbezügliche Gespräche mit den Religionsgemeinschaften führte. Als Frau Wiesinger dann dennoch in Kontakt mit den Vertretern der katholischen Kirche trat, war sie einigermaßen überrascht, dass es unzureichend wäre, allein der Kirche den "schwarzen Petrus" zuzuschieben. Die betreffenden Beauftragten waren nicht nur offen für einen verpflichtenden Ethikunterricht für alle, sie hatten auch bereits ein diesbezügliches Konzept ausgearbeitet.

Das eigentliche Problem bei der Einführung des Ethikunterrichtes scheint nach dieser Darstellung weniger bei der Kirche als vielmehr bei der ÖVP zu liegen. So sieht es auch der frühere Grünen-Bildungssprecher Harald Walser: "Aber meiner Wahrnehmung nach ist das größte Problem die ÖVP, die teilweise wesentlich konservativer ist als die Kirche."

Das Buch schließt mit zehn Vorschlägen für Verbesserungen im Bildungssystem und den Zahlen, Daten und Fakten zu Sprachverteilung und Migrationshintergrund in den Bundesländern und den einzelnen Schultypen.

Susanne Wiesinger (Autor), Konrad Paul Liessmann (Vorwort), Jan Thies (Mitwirkender), Machtkampf im Ministerium – Wie Parteipolitik unsere Schulen zerstört, Edition QVV, Wien, 2020, ISBN 978-3-200-06697-7, 22,00 Euro

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