In dem Buch "Geheimsache Italien. Politik, Geld, Verbrechen" wird an die reale P 2-Verschwörung erinnert, wollten doch Eliteangehörige in den 1970er und 1980er Jahren konspirativ ein autoritäres Regime etablieren. Als zuständiger Staatsanwalt ermittelte damals Giuliano Turone, der den ganzen Fall mitunter zu detailliert, aber inhaltlich überzeugend veranschaulicht. Eine beklemmende Gefahr für die Republik wird dargelegt.
Es gibt haltlose Konspirationsideologien, es gibt aber auch reale Verschwörungen. In Italien steht für letzteres das Kürzel P 2. In ihrer in Deutschland viel gelesenen Geschichte Italiens schrieb Friederike Hausmann, dass dort seit Kriegsende "ein verborgener Staat im Staat oder vielmehr hinter dem Staat" bestanden habe, "ein weitreichendes Netz von Verbindungen zu den Geheimdiensten, zum CIA und zu neofaschistischen Gruppen".
Gemeint ist eben jener Komplex, wobei P 2 für "Propaganda Due", also "Propaganda Zwei" steht. Dabei handelte es sich um eine logenartige Geheimorganisation, die aus Angehörigen der italienischen Elite der 1970er Jahre bestand. Sie entstammten Geheimdiensten, Militär, Politik und Wirtschaft. Das gemeinsame Ansinnen war es, Italien in ein autoritäres System umzuwandeln. Dabei kooperierten die Akteure nicht nur mit der kriminellen Mafia, sondern auch mit neofaschistischen Terroristen. Was wie der Inhalt eines überdrehten Polit-Thrillers klingt, ist durch Gerichtsprozesse und Recherchen gut belegt, wobei aber nicht alle Fragen zu Hintergründen, Unterstützern und Verantwortlichkeiten geklärt sind.
Dies gelingt in seinem Buch "Geheimsache Italien. Politik, Geld, Verbrechen" auch Giuliano Turone nicht, der die seinerzeitigen Ermittlungen gegen P 2 leitete und am Kassationsgerichtshof als Richter gearbeitet hat. Demnach handelt es sich bei dem Autor nicht um einen Journalisten, der mal schnell eine spannende Geschichte recherchiert, sondern um einen erfahrenen Staatsanwalt. In seinem Buch beschreibt er die gemeinten konspirativen Handlungen, alles sorgfältig aus den Gerichtsakten abgeleitet und ohne wilde Spekulationen.
Die ganze Darstellung ist überaus komplex und man muss sich viele Institutionen und Namen gut merken, wenn der Überblick nicht verloren gehen soll. Insofern beschreibt der Autor eher den juristischen Erkenntnisgewinn, was anhand von langen Ermittlungsschilderungen ebenso wie von umfassenden Zeugenaussagen deutlich wird. Das ganze Ausmaß einer Konspiration gegen die Republik wird offenbar, es gab denn auch eine "Strategie der Spannung": Angebliche Anschläge der Linksterroristen sollten dafür die öffentliche Stimmung schaffen. Der Anschlag auf den Bahnhof von Bologna 1980 mit 85 Toten steht bis heute dafür.
Ausführlich ist etwa Giulio Andreotti, der damalige Ministerpräsident, mit seiner Kooperation mit der Mafia ein Thema. Aber auch die Bedeutung eines Pippo Calò, der zwischen Geheimdiensten, Mafia und Neofaschisten ein Scharnier bildete, ist ein Schwerpunkt.
Von Beginn an gehörten hochrangige Carabinieri und Militärs zu den Verschwörern. Und es gab auch ein entwickeltes Konzept für das Vorgehen, zynisch als "Plan zur demokratischen Erneuerung" betitelt. Änderungen im Bereich der Justiz sollten die ersten Schritte einleiten, danach würde es um das Presse- und Verlagswesen gehen. Geheime Aktionen sollten die Demokratie von innen heraus aushöhlen, ein schleichender Staatsstreich war demnach das Ziel. Kooperationen erfolgten darüber hinaus mit der neofaschistischen "Ordine Nuovo", die für etliche terroristische Anschläge verantwortlich war. All dies wird in eher trockenem Ton veranschaulicht. Turone neigt nirgendwo zu dramatisierenden Darstellungen oder Überinterpretationen. Selbst bei hierfür möglichen Fragen, wozu etwa die Ermordung von Aldo Moro zählt, hält sich der Verfasser um der Seriosität willen zurück.
Dies gilt ebenso häufig für allgemeine Einschätzungen, welche die geschilderten Ereignisse gewichten und einer politischen Wertung zuführen. Auch bestimmte Details sind nicht näher ein Thema, wozu etwa die Frage gehört, inwieweit von einer Freimaurerloge P 2 die Rede sein kann. Bereits 1974 war ein offizieller Ausschluss erfolgt, welcher aber nicht in aller Konsequenz umgesetzt wurde.
Silvio Berlusconi ist nur ganz am Rande ein Thema. Er wurde der Mitgliedschaft bezichtigt, stritt eine solche aber öffentlich mit einem Meineid ab, denn mittels einer Quittung konnte man ihm die Zugehörigkeit nachweisen. Berlusconi setzte später an der Regierung einige der eingeforderten Veränderungen um. Wie dieses Agieren mit diesem Wissen einzuschätzen ist, ist eine von vielen auch im Buch offen bleibenden Fragen.
Wie ausgeführt macht die Detailverliebtheit die Lektüre von Turone nicht leicht, er kann auch als Autor den inneren Staatsanwalt nicht ablegen. Gleichwohl legt er ein Buch mit vielen beklemmenden Informationen vor. Sie machen auf die Bedrohung der Demokratie nicht nur von außen durch Extremisten, sondern auch von innen aus Institutionen heraus aufmerksam.
Giuliano Turone, Geheimsache Italien. Politik, Geld, Verbrechen, Wiesbaden 2023, Marix-Verlag, 416 Seiten, 29,90 Euro